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Protest und die LinkeKritik in der Krise

Werden die Rechten radikal, werden die Linken automatisch gemäßigt. Das ist ein Problem für Demokratien, die nur noch von Rechts getrieben werden.

Um gegen die Regierung und ihre Corona-Maßnahmen zu protestieren, wird der Slogan von Black Lives Matter gekapert Foto: M. Golejewski/AdoraPress

D er Systemkritiker hat die Eliten und ihre Herrscher-Netzwerke unter Generalverdacht, und er macht sich, von diesem Verdacht ausgehend, auf Entdeckungstour. Er recherchiert, stöbert in den unterdrückten Nachrichten, kommt unbekannten Verbindungen auf die Spur, verdeckten Geheimnissen, über die man in den Konzernmedien der herrschenden Mächte niemals lesen würde. Er sieht, wie das alles zusammenhängt, wie die Etablierten ihre Macht absichern, die normalen Menschen ausbeuten, er entschließt sich, ihre Machenschaften aufzudecken.

Der Systemkritiker ist erregt ob seiner Entdeckungen, fühlt sich aber auch erhaben, weil er ein Wissen hat, das die anderen nicht haben. Die Angepassten, die von der Macht gegängelt sind, die in einem raffinierten Kokon von Komplizenschaft gefangen sind, der die Unterdrückten noch zu Kumpanen ihrer eigenen Unterdrückung macht. Ein bisschen ist der Systemkritiker wie ein Detektiv, der Puzzlesteine zusammenfügt, eine Art Hercule Poirot, insofern ist das Systemkritisieren auch eine äußerst lustvolle Tätigkeit.

Dass die Täter unentdeckt bleiben, ist übrigens gänzlich ausgeschlossen, was ein glückliches Ende der Unternehmung von vorneherein garantiert. Die Täter werden immer entlarvt, und es sind nicht zu wenige, mal heißen sie Merkel, mal Scholz, mal Gates und immer Soros. Die aktiveren Gesellen unter den Systemkritikern gründen Anti-Mainstream-Medien, in denen all die Stimmen und Fakten ausgebreitet werden.

Krise und Kritik sind eng miteinander verbunden, das wissen schon die Etymologen, die gerne auf den gemeinsamen Wortstamm der beiden Begriffe hinweisen, auf das griechische Krisis, was so viel wie „unterscheiden“, „trennen“ aber auch „zuspitzen“ heißen kann. Erstens, Kritik ist sowieso immer gut und wichtig. Zweitens: In der Krise ist die Kritik besonders notwendig. Denn drittens: Eine Krise wird nur überwunden werden, wenn kritikwürdige Umstände dem Säurebad der Subversion ausgesetzt werden. Kritik ist aber nicht nur die Antwort auf die Krise, sondern kann selbst in die Krise geraten: Die Krise der Kritik.

Kritik der Vernunft und fanatische Verbohrtheit

Die oben hingepinselten Strukturen der Verschwörungserzählung haben einige Elemente des kritischen Denkens gekapert: das Hinterfragen des Hergebrachten, des scheinbar Evidenten. Den aufklärerischen Gestus des detektivischen Enthüllens. Den gesunden Verdacht gegenüber der Macht. Distanziert betrachtet ist es erstaunlich, wie gut es gelingt, Motive des Aufklärerischen, des Emanzipatorischen in den Dienst der Verblendung, der Erzählung von Lügengeschichten und Propagandamärchen, ja, einfach in den Dienst des Fanatismus zu stellen.

Die nagende Kritik der Vernunft und fanatische Verbohrtheit und Glaubenseifer sind gar nicht immer leicht zu unterscheiden. Nun kann man es wie jener frühere US-Höchstrichter halten, der über Pornos den legendären Satz sagte, was ein Porno sei, sei schwer zu definieren, aber wenn er einen sehe, dann erkenne er ihn. Was den Unterschied zwischen aufklärerischer Kritik und verschwörungstheoretischem Dauerressentiment anlangt, wird der Unterschied ähnlich leicht erkennbar sein wie der zwischen einem Arthouse-Film mit Sexeinsprengsel und Hardcore-Pornografie.

Systemkritik ist nach Rechtsaußen gewandert

Aber: Radikale Systemkritik ist nach Rechtsaußen gewandert, sie bedient sich dabei auch Rhetoriken, die früher ausschließlich von der radikalen Linken benützt wurden (wenngleich auch meist der blödesten Rhetoriken der radikalen Linken). Zugleich ist nicht ganz klar, wo berechtigte, aber schwerst versimpelte Kritik aufhört und die Verschwörungstheorie und das Lügenmärchen schon anfängt. Ist die linke Kritik am „Neoliberalismus“ und den „Masters of the Universe“, die sich allen Reichtum krallen und bei Treffen sinistrer Figuren in Mont Pèlerin verschworen haben, eine etwas unterschlaue Kritik realer Vorgänge – oder schon eher eine Conspiracy Theory?

Nun würde dumme rechtsradikale Anti-System-Kritik nicht notwendigerweise ein Problem darstellen, wenn die Linke einfach die schlauere Kritik hätte, die die herrschenden Verhältnisse unterminiert oder sukzessive zum Besseren verändert, oder einfach eine breite, intelligente Protestbewegung triggert. Irgend so etwas halt. Das Problem ist die Neigung zur relationalen Ordnung im politischen Diskursfeld. Klingt jetzt etwas deppert akademisch. Wie könnte man das einfacher beschreiben? Dass man die eigenen Positionen nicht immer nur quasi aus sich heraus entwickelt, sondern in Abgrenzung und im Konflikt zu Positionen, die andere haben. Was dann auch heißt: Wird der breite Strom der Rechten blöde und radikal, dann werden die Linken automatisch gemäßigt, halten die Vernünftigkeit hoch, bestehen darauf, dass einfache Wahrheiten meist einfache Dummheiten sind, dass man jedes Argument zehnmal durchdenken und alle Ambiguitäten beachten solle.

Rechte haben schon „Wutherbst“ organisiert

Dass die Welt komplex sei, man nicht einfach gegen „die Teuerung“ demonstrieren könne, denn wer wäre denn der Adressat des Protestes? Putin, den das nicht scheren würde, die Bundesregierung, die dies und jenes tut, von dem manches klüger, manches schlechter sei …? Während man also über alle Kompliziertheiten von Krise, Kritik, von Systemveränderung, Transformation, Revolution und Reform räsoniert, haben die Rechtsradikalen dann schon einen „Wutherbst“ organisiert.

Ich hab da jetzt auch nicht sofort die super Lösung für dieses Problem, aber man soll auch nicht so tun, als wäre es nicht vorhanden. Im Gegenteil: Das ist ein ziemlich großes Problem, nicht nur für die Linke, sondern für die pluralistischen Demokratien als solche. Die nurmehr von Rechts vor sich her getrieben werden, während Linke daran scheitern, eine akzentuierte Alternative zu präsentieren, oder, wenn sie radikal sind, sich untereinander in die Haare kriegen, welche Frisuren man tragen darf oder ähnlichen Unsinn.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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8 Kommentare

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  • Werden die Linken radikal, werden die Rechten automatisch …?

  • Mit dem Versagen der Energiepolitik aller Parteien, die Regierungsverantwortung tragen und trugen, ist es wie mit den Pornos. Man erkennt es auf den ersten Blick, dass die Energiewende auf Sand gebaut war und ist. Dafür braucht man keine Systemkritik. Die Rechten üben auch keine Systemkritik. Die greifen einfach die Wut auf die Regierenden auf, die sich hierzulande ganz von alleine breit macht.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Das Problem liegt in der Mentalität der "arbeitenden Mittelschicht" (Lindner). Sie ist allen Problemen, die wir jetzt haben, voraus- und hinterher gerannt. Was zählte, war der unaufhaltsame Angleichungstrieb. Dazugehören ist alles. Das konsumierende Bürgertum in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf. - "Irgend so etwas halt" ... ;-)

    Was die Rechten jetzt tun, ist schlicht die Umsetzung der Strategie, mit in der Krise mit Protest Macht zu generieren. Das machen alle so. Welche Themen und Formen dabei in diesen Zeiten verfangen, haben vor der Phase der Social Media die v. a. bürgerlich-privaten Fernsehanstalten mit verdummenden, vorgeblich enttabuisierenden Formaten getriggert. Das war die vorlaufende Stimmungserprobung der Aufpeitschung. Radau gefällt. DT ist eine Kopiervorlage dafür. - "Irgend so etwas halt" ... ;-)

    Rechte Aasgeier sind nun das Problem, nicht die eine früher und heute regierende Mitte, die das Ding vermasselt hat.



    Aufgaben können nicht erfüllt werden mit Mitteln, die in engem Zusammenhang stehen mit der Verursachung der Probleme, die gelöst werden sollen. - "Irgend so etwas halt" ... ;-)

  • ... immerhin hat Scholz ja die " Zeitenwende " wie er es nennt , erkannt- was wohl soviel bedeutet wie politische Aufgaben können nicht einfach mehr ausgesessen werden... " warum schweigen die Lämmer " von Reiner Mausfeld so laktuell wie nie und einfach schon fast " Pflichtlektüre ".

  • Danke. Wiederhol mich gern:

    “Wo Robert Misik draufsteht!



    Ist auch Robert Misik drin!“



    & ergänz mit ihm - auch gern zu tazis - wa!



    “Aufrecht stehen, nicht auf Knien, das muss der zeitgenössische Journalismus erst üben“



    Robert Misik - misik.at/ -

    unterm——servíce —-btw but not only -



    tazelwurm.de/category/allgemein/ - 🙀🥳🤫 -

    So geht das © Kurt Vonnegut



    “„Darum hat Kurt Vonnegut einmal gefragt: "Was ist das für eine Presse, die wir heute haben, wenn man Bücher lesen muss, um zu wissen, was in der Welt passiert?"“ — Kurt Vonnegut Armin Wertz: Meister der geheimen Kriege, 22. März 2017 heise.de www.heise.de/tp/fe...riege-3650452.html. "And still on the subject of books: Our daily sources of news, papers and TV, are now so craven, so unvigilant on behalf of the American people, so uninformative, that only in books can we find out what is really going on. I will cite an example: House of Bush, House of Saud by Craig Unger, published near the start of this humiliating, shameful blood-soaked year." - „I Love You, Madame Librarian“. 6. August 2004 inthesetimes.com inthesetimes.com/a...u_madame_librarian

    Quelle: beruhmte-zitate.de...gefragt-was-ist-d/

  • Danke für den Artikel!

    Was mir hier fehlt: Der Text beschreibt sehr klar die letzten zwei Jahre. Die Linken waren zu Hause, die Rechtsextremen auf der Straße. Der Grund ist aber, dass die meisten Linken andere Menschen schützen wollten und deswegen Großdemos vermieden haben, während den Rechtsextremen Tote egal waren.

    Und das ist, was auch im Winter wieder gefährlich wird: ist es verantwortungsvoller, auf eine Demo zu gehen, um den Rechten nicht das Feld zu überlassen, oder ist es verantwortungsvoller, zu Hause zu bleiben, um Corona nicht den Boden zu bereiten?

    Was Rechtsexteme wieder machen werden ist klar, denn was schert es sie, wenn ihre eigenen Leute in der Intensivstation krepieren — im Zweifel haben sie sich eh schon so in ihrer Idiotie verrannt, dass sie das selbst dann noch für unmöglich halten, wenn sie selbst an der Beatmungsmaschine hängen.

    Und es sei auch im Kopf behalten, dass Rechte reichlich finanziert werden, auch durch Betrug der eigenen Leute. Ein Ballweg-Querdenkerchef, der sich binnen zwei Jahren durch Spendenbetrug und Steuerhinterziehung knapp eine Million holt. Natürlich wird das eine andere Dynamik als bei den Linken, die Proteste ehrenamtlich in ihrer Freizeit stemmen.

    • @Arne Babenhauserheide:

      „Zu Hause bleiben“, das war doch immer schon das Credo der bürgerlichen Mitte und das hat mit Corona eigentlich nichts zu tun … nur insofern, dass die Linke in den vergangenen zwei Jahren diesen Glaubenssatz offenbar ebenfalls verinnerlicht hat. Mit Blick auf die Pandemie mag das noch vernünftig sein, da kann ich mich Ihrer Argumentation anschließen.



      Aber jetzt kuscht die Vernunft auf breiter Flur vor der Idiotie, weil man dieser erlaubt, lauter brüllen bzw. sich auf der Straße austoben zu dürfen.