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Radtour in FrankreichDem Fluss folgen

Von Europa bis Jugendstil: Eine Radtour entlang der französischen Moselle hat viel zu bieten. Das hat auch mit den wechselnden Landschaften zu tun.

Noch Luxemburg, aber vor allem Europa: Schengen an der Mosel Foto: Jochen Tack/imago

Die Mosel zeigt sich hier noch einmal von ihrer romantischen Seite. Eingebettet zwischen drei Weinbergen liegt das luxemburgische Schengen. Ein Winzerdorf im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg. Gegenüber auf deutscher Seite liegt Perl. Auf dem Moselradweg sind es rund 56 Kilometer von Perl nach Trier. Gleich hinter Schengen beginnt der französische Teil des Moselradweges, die „voie bleu“. Wie ein „blaues Band“ führt der Radweg 700 km entlang der Mosel, des Vogesen-Kanals und der Flussufer der Saône von der luxemburgischen Grenze bis Lyon. Durch abwechslungsreiche Kultur- und Naturlandschaften.

Reisefreiheit in Europa, das erscheint uns heute selbstverständlich. Ausgehandelt wurde das „Europa ohne Grenzen“ hier in Schengen. Die inzwischen 26 Länder des Schengen-Raums mit ihren mehr als 400 Millionen Menschen verzichten untereinander auf Grenzkontrollen. Wer ein Schengen-Visum hat, kann sich innerhalb Europas frei bewegen.

Direkt am Moselufer liegt das Europamuseum. Auf dem Vorplatz stehen drei Stahlstelen. Sie symbolisieren die Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Die Sterne auf den Stelen stehen jeweils für ein EU-Land. 40.000 Besucher kommen jedes Jahr nach Schengen, in die kleine Grenzstadt. Das Museum ist ein Besuchermagnet.

Begonnen hatte der lange diplomatische Prozess mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, der Montanunion. Mit diesem Vertrag beschlossen 1951 Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ihre Schwerindustrie und damit die Schlüsselindustrie für die Rüstung gemeinsam zu organisieren.

Im Museum ist die Geschichte Europas interaktiv aufbereitet. Im Mittelpunkt steht das Schengen-Abkommen. Im Juni 1985 trafen sich die Vertreter von fünf Ländern – Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Deutschland – in Schengen und einigten sich darauf, an ihren Binnengrenzen die Personenkontrollen schrittweise abzuschaffen.

An Bord des Schiffes „Prinzesse Marie-Astrid“ unterzeichneten am 14. Juni 1985 die Vertreter der Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland auf der Mosel das „Schengener Abkommen“. Von Ostern bis September fährt die Nachfolgerin der MS „Princesse Marie-Astrid“ zwischen Remich, Grevenmacher und Trier. Auch Touren nach Neumagen-Dhron und Bernkastel-Kues stehen auf dem Fahrplan.

Im Industriebecken

Hinter Schengen ist Kilometer 0 des französischen Radweges „voie bleu“. Er führt fast immer auf Wegen abseits der Straße inmitten der Natur direkt am Flussufer entlang. Die Landschaft ändert sich. Sierck-les-Bains ist der erste französische Ort am rechten Ufer der Mosel in diesem Dreiländereck Frankreich-Luxemburg-Deutschland.

Die Mosel in Frankreich

Die Voie Bleue Moselle-Saône Radweg ist ein französischer Radweg, der von Apach an der luxemburgischen Grenze bis nach Lyon führt. Die Route durchquert Frankreich von Norden nach Süden, ein wesentliches Bindeglied zwischen Nordeuropa und der Mittelmeerregion. Der Parcours schlängelt sich gemächlich an der Mosel entlang, folgt dem Vogesenkanal und begleitet schließlich die Saône bis in die Stadt der Lichter Lyon. Von dort aus geht es dann auf der ViaRhôna (EuroVelo 17) geradewegs zum Mittelmeer …https://de.lavoiebleue.com

Die starken Befestigungsanlagen der Burg erinnern an die strategische Bedeutung der Stadt im Lothringischen Becken. Nicht weit davon sieht man die Türme von Cattenom. Das umstrittene französische Kernkraftwerk, das durch die neue energiepolitische Entwicklung wieder aufgewertet wurde. Die Landschaft wird nun flacher. Es ist das nördliche Industriebecken von Lothringen.

Mit 94 Prozent der Eisenerzgewinnung, 33 Prozent der Kohleförderung und 60 Prozent der Eisenerzeugung stellt Lothringen die schwerindustrielle Kernregion Frankreichs dar. Seit den 80er Jahren wird die Industriehochburg umgebaut.

Schon von Weitem sieht man den letzten erhalten Hochofen von Uckange. Er wurde 1991 außer Betrieb gesetzt. Jean Larger hat 45 Jahre hier gearbeitet. Er führt durch die imposante, aufgelassene Industrieanlage im „Parc du haut fourneau“. Eine Ausstellung zeigt die Geschichte des Hochofens, eine audiovisuelle Show führt in die Produktionshallen. Jean Larger erinnert sich gerne an seine Arbeitsjahre hier. Es war sein Leben.

„25 touristische Unternehmen sind am Moselradweg unter acceuil-velo aufgelistet“, sagt Jean Luc Michael. Er ist bei „voie bleu“ zuständig für die Logistik und begleitet mich auf diesen 65 Kilometern der ersten Etappe. Mit E-Bike ist das machbar. Wem dies zu weit ist, der kann jederzeit in Uckange oder Thionville einige Kilometer nach Metz mit dem Zug abkürzen. „Ohne Reservierung kann es in der Hochsaison schwierig sein, ein Zimmer zu bekommen, außer man campt, wie die meisten, die die Route machen“, sagt Jean Luc.

25 Kilometer weiter erreichen wir Metz, die Mirabellenstadt. Seife, Bonbons, Likör, Limo – alles Mirabelle. Von 1871 bis 1918 in der Zeit der kaiserlichen Monarchie war Metz deutsch. Dadurch entstand ein architektonischer Mischmasch aus der französisch geprägten Altstadt und der deutschen Neustadt. Metz lohnt sich.

Man lebt sich hier rein

Die Innenstadt ist verkehrsberuhigt, am Abend ist viel Leben in den Kneipen und Restaurants rund um die Kathedrale. Ein gotischer Prachtbau gleich gegenüber der überdeckten Markthalle. Hier im Zentrum liegt auch das Hotel Mercure, wo man im Innenhof sein Rad sicher abstellen kann. Das neue Centre Pompidou in Bahnhofsnähe ist ein ultramodernes Kunstzentrum.

Die 37 Kilometer von Metz nach Pont-à-Mousson, immer am Fluss entlang und unter schattigen Bäumen und Wäldern, sind eine erholsame Etappe. Guy Ros, der Tourismuschef von Pont-à-Mousson, zeigt mir die Stadt, das Kloster, die Abbaye de Prémontrés, den Yachthafen, die Halbinsel Île d’Esch, wo er jeden Morgen joggt. Guy Ross erinnert nicht nur vom Alter und Aussehen an Michel Houellebecq, auch weil er völlig gelangweilt die touristischen Vorzüge der kleinen Stadt preist.

Seit 1964 ist der große Klosterkomplex ein Kulturzentrum und Sitz des Europäischen Zentrums für sakrale Kunst. In den Gebäuden des ehemaligen Jesuitenkollegs mit der Kirche Saint-Martin befand sich zwei Jahrhunderte lang die Universität, die dann nach Nancy verlegt wurde. Heute kann man hier gut übernachten.

Die 1856 gegründete Eisenhütte S.A. des Hauts-Fourneaux et Fonderies de Pont-à-Mousson war lange Zeit einer der führenden französischen Industriekonzerne. In Pont-à-Mousson werden hauptsächlich Kanalrohre und Kanaldeckel aus Gusseisen hergestellt.

„Man lebt sich hier rein. Ich fühle mich sehr gut hier“, sagt der Kölner Günther Mickan. Sein Boot, ein fast 100 Jahre altes Lastschiff, liegt ganzjährig im Hafen von Pont-à-Mousson, wenn er nicht gerade durch die Kanäle Frankreichs schippert. Den Frachtkahn hat er als Wohnschiff ausgebaut. Rund acht Monate bleibt er hier. „Als kölsche Jung habe ich immer ein Faible für die Lastkähne gehabt“, sagt er. Und das Leben auf dem Schiff sei vor allem in Pont-à-Mousson sehr unterhaltsam und nie langweilig.

Die Jugendstil-Hochburg

Nach Nancy ist es von Pont-à-Mousson ein Katzensprung. 20 km. Nancy ist eine Flussstadt in der Region Grand Est, die für ihre Jugendstilarchitektur und den Spätbarock der lothringischen Herzöge bekannt ist. Durch ein goldverziertes Gittertor betreten wir die Place Stanislas. Klassizistische Prachtbauten umrahmen den Platz, flankiert von Neptun- und Amphitrite-Brunnen. Der Place Stanislas aus dem 18. Jahrhundert befindet sich neben verzierten Palästen und Kirchen in der historischen Altstadt. Dahinter liegt im mittelalterlichen Altstadtkern das Ausgehviertel.

Anne Bouigeon, Fremdenführerin mit Schwerpunkt Jugendstil, führt durch den Saurupt-Park. Hier sollten auf 16 Hektar Villen für die Reichen gebaut werden. Eine exklusive Gartenstadt komplett im Jugendstil sollte es werden. Hundert Villen seien geplant gewesen – aber nur sechs wurden gebaut, die anderen Bauten sind fantasievolle Häuser für die Mittelklasse mit Jugendstilelementen.

Das schönste Beispiel für den Jugendstil von Nancy ist die Villa des Künstlers und Industriellen Louis Majorelle, die er für seine Familie im Schatten der Kirche Sacré-Coeur erbauen ließ. Das Haus wurde von außen komplett restauriert; im Inneren dauern die Arbeiten noch an. Es gehört zum Museum der Schule von Nancy.

„Im Krieg 1870 zwischen Deutschland und Frankreich wurde Nordlothringen deutsch. Viele Franzosen in den annektierten Gebieten zogen ins französische Nancy. Nancy wuchs“, erzählt Anne Bouigeon. Die Bürger von Nancy ließen sich moderne Villen im angesagten Stil der Schule von Nancy bauen. „Es war die Zeit des Jugendstils. Für die Handwerker und Künstler hieß das viele Aufträge. Es gründete sich eine Gruppe von Jugendstil-Handwerkern in Nancy“, sagt Anne Bouigeon.

Ganze Straßen wurden komplett in diesem Stil angelegt, die Fassaden mit Blumen- und Blättermotiven verziert. Motive, die sich an der Natur orientieren, wie schwungvolle Linien und Formen, sowie Ranken und Wellen gelten als zentrale Merkmale des Jugendstils. Jugendstil prägte die Malerei, die Bildhauerei, die Architektur und das Möbeldesign sowie die Fertigung von Schmuck und Glaswaren.

Auch in den Straßen der Innenstadt von Nancy findet man Jugendstil, wie etwa das Schmiedeeisen an der Industrie- und Handelskammer in der Rue Henri-Poincaré oder das elegante Glasdach in der Schalterhalle der Bank Crédit Lyonnais in der Rue Saint-Georges.

Von Nancy könnte man immer weiter radeln. Richtung Vogesen. Ein neues Landschaftsfenster nach romantischen Weindörfern, aufgelassenen Industrieanlagen neben Kernkraftwerken und historischen, lebenswerten Städten, die von der deutsch-französischen Geschichte erzählen. Eine Radtour entlang der voie bleue ist einsam, vielfältig, grün und verkehrsarm.

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