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Hamburger Werbeflächen werden digitalMehr Medienkonsum als gewünscht

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

In Hamburg werden Werbeflächen zu digital bespielten Monitoren umgerüstet. Das Ergebnis ist eine zwanghafte Berieselung mit Info-Schnipseln.

Dauerberieselung mit fragwürdigem Energieverbrauch: digitale Werbetafel in Hamburg Foto: Marcus Brandt/dpa

E s war im Mai auf dem Weg mit dem Rad zum Einkaufen, als ich in Rahlstedt an der breiten Ausfallstraße B75 wartete, dass es endlich grün wird. Ein bärtiges Gesicht erschien auf der Werbetafel gegenüber, ein Name vor rotem Hintergrund, da wurde jemand polizeilich gesucht. Dann kam der nächste Beitrag. Auf dem Rückweg blieb ich extra stehen, schaute bewusst zur Tafel. Aber die Meldung kam nicht wieder.

Ein paar tausend solcher Tafeln stehen in Hamburg. Wie die Volksinitaitive „Hamburg Werbefrei“ publik machte, hat die Stadt Hamburg kürzlich die Verträge mit den Beitreiberfirmen Ströer und Wall bis 2026 verlängert und ihnen zudem die Digitalisierung aller Anlagen erlaubt. Das heißt: Die alten Plakatwechselanlagen werden durch Monitore ersetzt.

Die Volksinitiative kritisiert, dass die Tafeln viel Strom verbrauchen, und macht auf den Widerspruch aufmerksam, dass die Regierung ausgerechnet auf diesen Geräten die Bürger zum Erergiesparen ermahnt. Weshalb die Ini „Hamburg Werbefrei“, die bis 22. Oktober 10.000 Unterschriften braucht, nun auch die Unterstützung von Umweltverbänden erhält. Begründung: So würde man Klima schützen, die Lichtverschmutzung eindämmen und Unfallrisiken reduzieren.

Zu Hause fiel mir der Name wieder ein. Autsch. Nach ein bisschen Internet-Suche stellte ich fest, dass ich den Gesuchten sogar mal kannte. Gruselig. Mir gefällt deshalb von allen Gründen für „Hamburg werbefrei“ der einer passiven Informationsfreiheit am besten. Will ich fernsehgucken, Zeitung lesen oder im Netz surfen, bestimme ich Ort, Zeit und Bedingung. Hier aber bin ich am Straßenrand den Informationsschnipseln unvorbereitet ausgesetzt.

Lauter sinnlose Fragen

Solche Monitore gibt es in U-Bahnen schon lange. Nun stehen sie an jeder Ecke. Statt drei Werbeplakaten im Wechsel kann dort ständig das Programm geändert werden, etwa mit so sinnlosen Fragen wie: „Wie viel Brücken hat Hamburg?“

Die Polizeipressestelle sagt, von ihr direkt kämen solche Suchmeldungen nicht. Es müssten Presseberichte sein, die auf den Stadtmonitoren gezeigt werden. Auf den Bildschirmen der Firma Ströer läuft zum Beispiel das Informationssystem „Kiss“, das ein „redaktionelles Programm“ wie Nachrichten ihres Partners T-Online und Infotainment in Form von Wetteranzeigen und Wissensfragen bietet. Auch Kulturtipps, Ad-hoc-Warnungen und Suchmeldungen können hier „in Echtzeit“ platziert und die Bürger im öffentlichen Raum jederzeit erreicht werden.

Nur scheint die Kommunikation etwas einseitig. Als die Links-Fraktion vom Senat wissen wollte, wie viele Werbeanlagen inzwischen digital sind, antwortete der, es sei den beiden Firmen nicht möglich, dies in der für die Beantwortung für Anfragen verfügbaren Zeit zu beantworten. Auch die taz hatte kein Glück. Eine Firma antwortete nicht, die andere schickte nur die Antwort des rot-grünen Hamburger Senats.

Der hat sich gegen die Öko-Argumente übrigens gefeit. Der Stromverbrauch moderner LEDs sei geringer als der von alten Neonröhren, man spare Papier, die Tafeln würden nachts gedimmt. Nur auf die Frage der Links-Fraktion, ob es Untersuchungen über den Einfluss von Außenwerbung auf psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit gibt, heißt es: Damit habe man sich „nicht befasst“.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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4 Kommentare

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  • Werbung in der heutigen Form, dürfte zu den größten Treibern des Klimawandels zählen.!!

    ...schon sehr erstaunlich, dass auch ein rot-grün geführter Senat das dennoch unterstützt...

    (ganz abgedehen davon, dass die Dinger einfach nerven...man aber keine Chance hat ihnen zu entgehen)...

  • Werbedisplays abschalten. Jeder Beitrag zählt.

  • Was für eine tolle Idee. Ich hätte für den hamburger Öko-Senat noch weitere gute Vorschläge:

    1. Alte Düsenjäger umfunktionieren. Die könnten richtig schön im vollen Nachbrenner über der Stadt Transparente schwenken: "Fliegt weniger! Spart Treibstoff!"

    2. Nachts, wenn man die Düsenjäger nicht mehr so gut sehen kann, sollten Flak-Scheinwerfer auf die Plakate gerichtet werden. Außerdem bietet sich bei Bewölkung eine Hochleistungs-Lasershow an, damit die Leute auch nachts nicht vergessen, Energie zu sparen und das Licht auszumachen.

    3. Wenn keine Wolken da sind, könnte man mit sehr großen und lauten Beschallungsanlagen die Hamburger an ihre Pflichten erinnern, zum Beispiel: "HALTET RUHE! HALTET RUHE! HALTET RUHE!"

  • Abschalten! Sofort!

    (Ausnahmsweise sind dafür ! angebracht. Die Dinger nerven nur und verbrauchen recht sinnfrei Energie.)