Abkommen über Getreideexporte: Weg frei für den Weizen

Separat unterzeichnen Kiew und Moskau Vereinbarungen zum Getreideexport. Hafen-Blockaden sollen fallen, die EU lockert dafür Sanktionen.

Ein Mann steht in einer Lagerhalle mit Weizen und fegt

Weizenlager im Osten der Ukraine: Nicht zuletzt in Afrika sind sie auf das Getreide angewiesen Foto: ap/dpa

Istanbul taz | Nach wochenlangen Verhandlungen war es am Freitagnachmittag so weit: Die Ukraine und Russland unterzeichneten unter der Ägide der Vereinten Nationen (UN) und der Türkei als Garantiestaat separate Vereinbarungen, die es ermöglichen sollen, dass in den nächsten Tagen Millionen Tonnen ukrainischen Weizens wieder exportiert werden können.

Der Istanbuler Dolmabahçe-Palast, Sitz der letzten osmanischen Sultane, hat schon viele historische Treffen erlebt. Dennoch dürften die Unterschriften, die am Freitagnachmittag von der Ukraine, Russland, der Türkei und den UN an dem ehemaligen Herrschersitz geleistet wurden, zu den wichtigsten gehören, die in den Gemäuern abgegeben wurden. Denn anders als außenpolitische Absichtserklärungen sonst, wird diese Vereinbarung unmittelbare Auswirkungen für Millionen von Menschen haben. Es ist „ein Zeichen der Hoffnung“, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, der extra persönlich zur Vertragsunterzeichnung nach Istanbul gereist war.

Aus Russland war Verteidigungsminister Sergei Schoigu gekommen, die Ukraine schickte ihren In­fra­struk­tur­mi­nis­ter Olexander Ku­bra­kow. Von türkischer Seite unterschrieb Verteidigungsminister Hulusi Akar – aber selbstverständlich ließ es sich Präsident Recep Tayyip Er­do­ğan nicht nehmen, bei der Vertragsunterzeichnung persönlich anwesend zu sein. Denn ebenso wie die UN mit Generalsekretär Guterres hatte sich Erdoğan sehr für einen entsprechenden Vertrag en­gagiert.

Seit Russland im Februar seinen Angriff auf die Ukraine begann, redet Erdoğan von Verhandlungen, um den Krieg zu beenden. Am selben Ort, an dem jetzt der Getreideexportvertrag unterschrieben wurde, fanden im März die letzten direkten Verhandlungen zwischen der Ukrai­ne und Russland statt. Das jetzt tatsächlich der Vertrag über das Getreide nicht zuletzt durch türkische Vermittlung zustande gekommen ist, ist für Erdoğan ein Beweis dafür, dass Verhandlungen am Ende erfolgreich sein können.

Die ein- und auslaufenden Schiffe sollen kontrolliert werden

Das am Freitag unterzeichnete Abkommen soll dafür sorgen, dass aus insgesamt drei bislang blockierten ukrainischen Häfen, der wichtigste davon ist Odessa, wieder Weizen und anderes Getreide exportiert werden kann. Ukrainische Schiffe sowie Schiffe aus Drittstaaten sollen durch gesicherte Korridore bis in den Bosporus und von dort in alle Welt weiterfahren können. In Istanbul soll ein Kontrollzentrum der UNO eingerichtet werden, in dem neben türkischen Teams auch ukrainische und russische Experten anwesend sein sollen.

Die UN hoffen, dass Hungersnöte im Nahen Osten und Afrika so vermieden oder gemildert werden

Dieses Kontrollzentrum regelt, wann und von wo ein Schiff ablegt, und sorgt dafür, dass im Bereich des genutzten Korridors eine Waffenruhe eingehalten wird. Auf türkischem Territorium werden die auslaufenden Schiffe darauf kontrolliert, ob sie tatsächlich nur Getreide geladen haben – die in Richtung Ukraine einlaufenden Frachter hingegen darauf, dass sie keine Waffen transportieren.

Im Gegenzug schreibt die Vereinbarung fest, dass die EU Sank­tio­nen lockert, die bislang russische Getreide- und Düngemittelexporte behindert haben. So sollen zukünftig Transportunternehmen, die russisches Getreide auf die Straßen und Meere bringen, sowie Versicherungen, die diese absichern, nicht mehr sanktioniert werden.

Die UN hoffen, dass beides zusammen dazu führen wird, dass Hungersnöte in den Ländern im Nahen Osten und in Afrika, die bislang stark von ukrainischen Ge­trei­de­im­por­ten abhängig waren, vermieden oder zumindest abgemildert werden können.

Insgesamt geht es um rund 20 bis 25 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine, das bislang in den Silos zu verrotten drohte und eine unbekannte Menge an russischem Getreide, dass nun wieder auf den Weltmarkt kommen kann. Für die Bauern in der Ukraine bedeutet es zudem, dass die Ernte dieses Sommers, die gerade eingebracht wird, auch wieder Platz in den Getreidesilos finden wird und verkauft werden kann.

Beide Seiten haben lange um eine Vereinbarung gerungen. Dabei ging es nicht nur um inhaltliche, sondern auch um formelle Fragen. Die ukrainische Regierung betonte am Freitag, man werde keinen Vertrag mit Russland unterzeichnen, sondern nur eine Vereinbarung mit der UNO und der Türkei. Spiegelbildlich gilt das auch für Russland. Der Vertrag soll zunächst für vier Monate gelten und verlängert sich automatisch, wenn keine der beteiligten Seiten Einspruch erhebt.

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