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Arbeitsbedingungen in der PflegeEinigung in NRW-Klinikstreit

Das Personal der Unikliniken Nordrhein-Westfalens setzt sich durch, nach elf Wochen Streik. Die Arbeitsbedingungen sollen verbessert werden.

Erfolg für das streikende Klinikpersonal in NRW: Für sie soll es künftig Entlastungen geben Foto: Christian Knieps/dpa

Berlin taz | „Nach 77 Streiktagen haben die Klinikbeschäftigten solidarisch und aufrecht diesen wichtigen Erfolg errungen“, lässt verdi-Verhandlungsführerin Katharina Wesenick verlauten. Die Beschäftigten in den Kliniken Nordrhein-Westfalens haben einen Tarifvertrag erstreikt, der ihnen zusichern soll, dass sie zukünftig besser auf Überlastung bei der Arbeit reagieren können. Am Dienstagnachmittag hat die Tarifkomission in Köln der Einigung zugestimmt. Ein Erfolg für das Bündnis „Notruf NRW“. Der Streik an den sechs Uniklinken in NRW für einen Tarifvertrag „Entlastung“ war gerade in die zwölfte Woche gegangen.

Vorgesehen ist nach einem Eckpunktepapier, dass der Tarifvertrag „Entlastung NRW“ Anfang 2023 in Kraft tritt und verschiedene Modelle beinhaltet, die die Beschäftigtengruppen im Klinikalltag wirksam entlasten. Für weite Teile der Pflege inklusive der psychiatrischen Stationen und der Notaufnahmen soll schichtgenau das Zahlenverhältnis von Beschäftigten und Pa­ti­en­t*in­nen festgelegt werden.

Wird diese Quote unterschritten oder kommt es zu anderweitig belastenden Situationen, erhalten die Betroffenen Belastungspunkte. Für jeweils sieben Punkte wird ihnen ein zusätzlicher freier Tag als Belastungsausgleich gewährt. Im ersten Jahr der Umsetzung können bis zu elf freie Tage zusammenkommen. Im zweiten Jahr sind es 14 und ab dem dritten Jahr maximal 18 zusätzliche freie Tage.

Bundesweit erstmalig werden in dem Tarifvertrag auch konkrete Entlastungsregeln für Auszubildende geschaffen. Unter anderem sollen Mindeststandards für die Praxisanleitung und die Zahl der Lehrkräfte festgeschrieben werden, bei deren Unterschreitung die Auszubildenden einen Belastungsausgleich erhalten.

Vorreiter bei Entlastungen: Die Charité

Mit der Einigung von Dienstag geht der bisher längste Arbeitskampf im Gesundheitswesen in NRW zu Ende. Zuvor hatte es auch juristische Versuche gegeben, den Streik zu beenden, die Klinikleitungen zeigten sich lange nicht verhandlungsbereit. Auf die Streikenden wurde auch aufgrund der dadurch verschobenen Operationen Druck ausgeübt. Ein zuvor ausgestelltes 100-Tage Ultimatum, um auf die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen einzugehen, ließen die Klinikleitungen in NRW Anfang des Jahres verstreichen.

„Insgesamt ist der Tarifvertrag ein wichtiger Etappensieg der Beschäftigten. Er dient der eigenen Gesundheit und dem Wohl der Pa­ti­en­t*in­nen und musste gegen die Profitlogik des Krankenhauswesens durchgesetzt werden“, erklärte verdi-Verhandlungsführerin Wesenick in einer Pressemitteilung. Der Ärztliche Direktor der Uni Münster, Alex W. Friedrich, sieht in der Einigung eine „deutliche Zeitenwende“, die „die Zukunft nicht nur in der Pflege, sondern allgemein in den Kliniken in Deutschland maßgeblich prägen wird“.

In einigen Teilen Deutschlands gibt es bereits Tarifverträge zur Entlastung, die genaue Personalbemessungen für einzelne Krankenhausbereiche regeln. Vorreiter dafür war die Berliner Charité.

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8 Kommentare

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  • Die 77 Streiktage konnte man in der Presse "unter ferner liefen" eventuell finden. Wäre ich ein Newsportal, hätte ich den Streik jeden Tag auf die Titelseite gesetzt!

  • Gestern noch von einem Fall gehört wo in einem Altenheim eine ganze Station bei der Personalplanung "vergessen" wurde.

    Als man dann auf dem letzten Drücker Leute aus dem Urlaub bzw. Freizeitausgleich holen wollte, musste man Personal von einer mehr als 50 km entfernten Einrichtung des gleichen Trägers abkommandieren.

    Sicher sehr angenehm für die Pfleglinge, wenn zur Körperpflege immer wieder andere Personen auftauchen.

    Und den Behörden liegen dutzende, was sag ich: hunderte Meldungen vor.

    Aber da kommt politisch der Deckel drauf. Darf nichts nach außen dringen.

    Erst wenn's ruchbar geworden ist oder Leute daran gestorben sind wird mit großem Tamtam mal eine Betriebsuntersagung für eine einzele Station ausgesprochen - obwohl es in den anderen Stationen kein Deut besser aussieht. Und das natürlich nur bei einem "kleinen Träger" denn die Großen haben ja eine "Teflonbeschichtung"

    Die Träger füllen sich die Taschen noch und nöcher - da würde sogar ein Tim Thaler vor Neid erblassen.

    Also, liebe Journalisten, wie wäre es mal mit einer Investigativrecherche über Altenheime und Kliniken ?

    Günter Wallraff, übernehmen sie !

  • Sehr schön! Meinen herzlichen Glückwunsch nach diesem sehr langen Arbeitskampf mit so vielem Gegenwind! Mit großer Solidarität lässt sich so vieles erreichen...



    Ich hoffe sehr, dass das Thema Pflege eine positive Wendung erfährt und mehr von den Entscheidern in den Kliniken, dem Gesundheitsbereich, der Politik und auch der Gesellschaft wahrgenommen wird!

  • 1. Die Unikliniken in NRW können "sich" das leisten, ihre dreistelligen Millionendefizite werden sowieso durch das Land (vulgo Steuern) ausgeglichen. Nicht-universitäre Kliniken haben nicht diese Möglichkeit. Die getroffene Regelung schafft eine neue Pflege-Elite.



    2. Es gibt nicht zu wenig Pflegepersonal in Drutschland, sondern es wird falsch eingesetzt (z.B. für die Verteilung von Essen oder das Auffüllen von Medikamentenschtänken) und es muss sich um Patienten kümmern, die in Skandinavien oder Niederlanden gar nicht im Krankenhaus landen (Überkapazität).

    • @Ignaz Wrobel:

      ... und vor allen Dingen für das Ausfüllen von Formularen, Formularen, Formularen ...

  • Ist es Zufall, dass sich taz LeserInnen kaum für das Thema interessieren?

    Medial fast in die Versenkung geriet der Streik des Pflegepersonals. Und überhaupt werden die drängenden sozialen Fragen kaum beachtet. Wäre es nicht purer Zynismus, könnte man sagen, dass der Krieg in der Ukraine eines der wichtigsten deutschen sozialen Themen unsichtbar gemacht hat.



    Wenn sich Corona zu einer neuen lebensbedrohlichen Mutante entwickeln würde, käme der nächste temporäre Aufschrei. Aber sobald es der satten deutschen bürgerlichen Mitte nicht an den Kragen geht, kann alles bleiben, wie es ist.

    Keine Selbstkritik, keine Empathie für Arme und Kranke. Aber die Welt retten geht gerade noch.

    • @Rolf B.:

      Tja, lieber Rolf!



      Ähnliche böse Gedanken beschlichen auch mich. Ich habe aber erstmal nen Tag abgewartet, um mal zu sehen was denn da nun für Reaktionen kommen. Und...? - Nix! Das ehrenwerte Publikum enttäuschte leider meine Erwartungen nicht.



      Ist schon so wie der gute alte Brecht Bertl einst konstatierte: "Die Befreiung der ArbeiterInnenklasse muss das Werk der Arbeiterklasse sein".



      Wir ahnten es schon: Vom Mittelstands-Balkon kommt nicht mehr als bestenfalls pflichtschuldigst verhaltener Applaus und ein paar übrig gebliebene Krümel vom Wohlstandsbankett.



      Den wackeren Kolleginnen aber, die so lange diesen mutigen Kampf führten, gebührt unser Respekt und unsre Solidarität! Euer sei die Welt! - Naja... wenn die Satten was davon übrig gelassen haben.

      • @LittleRedRooster:

        Danke, dass Du mit mir den Respekt teilst.



        Was B.B. betrifft, so vermute ich, dass er nicht im Traum daran dachte, dass wir im Jahre 2022 immer noch die gleichen strukturellen Probleme haben, jedoch mit wesentlich verschärfteren Abwehrkräften gegen eine soziale Gesellschaft.