Nancy Pelosis Reise nach Taiwan: Reisen ohne Aufhebens
Politikerbesuche in Taiwan sind schon aus Solidarität mit der Demokratie richtig. Nur muss man im Vorfeld nicht unbedingt so laut darüber reden.
E in Leak weniger, und wer sich bisher nicht besonders für Taiwan interessierte, könnte es in Ruhe weiter ignorieren. Hätte die Financial Times nicht schon Mitte Juli die Reisepläne öffentlich gemacht, wäre Nancy Pelosi wohl ohne Vorankündigung in Taipeh gelandet, wie es bei US-Delegationen öfter vorkommt. Peking hätte dann keine Gelegenheit für Drohungen gehabt, denen es nun – Gesichtsverlustgefahr vor dem wichtigen Parteitag! – Taten folgen lassen will.
Dabei rüttelt Pelosis Besuch keineswegs am Status quo. Seit Jahren geben sich hochrangige Delegationen in Taipeh die Klinke in die Hand, aus Ländern, die keine diplomatischen Beziehungen mit Taiwan unterhalten und der einen oder anderen Form einer „Ein-China-Politik“ folgen. Bis zum Wochenende waren vier japanische Parlamentarier vor Ort, darunter ein früherer Verteidigungsminister. Vor zwei Wochen kam Nicola Beer nicht als FDP-Politikerin, sondern als Vizepräsidentin des Europaparlaments nach Taiwan.
Es war der bislang ranghöchste Besuch einer amtierenden EU-Funktionsträgerin. 2020 schüttelte Taiwans Präsidentin mit dem damaligen Gesundheitsminister einem leibhaftigen US-Kabinettsmitglied die Hand. Kurz zuvor hatte der tschechische Senatspräsident seinen inneren Kennedy entdeckt und im Parlament in Taipeh festgestellt: „Ich bin ein Taiwaner.“ Das alles passierte fast unbemerkt, ohne Aufschrei und Drohungen, denn Chinas Proteste sind eben nicht unvermeidbar und naturgegeben.
Wann Peking sich aufregt und wann nicht, ist Frage taktischer Abwägungen. „Als die Männer kamen, haben sie nichts gesagt“, erinnerte Pelosi an den Besuch von sechs männlichen US-Parlamentariern im April, der geräuschlos ablief. Doch Pelosi, die in den USA eine polarisierende Figur ist, birgt die Chance, den Keil noch weiter in die amerikanische Gesellschaft zu treiben.
Politiker, Medien – wer über welches Stöckchen springt, wird genau registriert. Taiwans bedrohte, isolierte, dabei aus vielen Gründen wichtige Demokratie braucht Fürsprecher und Aufmerksamkeit. Die expansionistische Volksrepublik – ein Blick ins Südchinesische Meer oder zur Grenze mit Indien reicht aus – braucht eine Weltöffentlichkeit, die reflexartig zurückschreckt, sobald sich „Spannungen verschärfen“, als sei das keine bewusste Entscheidung.
Schon droht Chinas Botschafter in London britischen Parlamentariern, die eine Reise planen. Auch Bundestagsabgeordnete werden Taiwan wieder besuchen wollen. Sie sollten sich nicht davon abhalten lassen.
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