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Videokunst in BraunschweigEs geht um große Themen

Systemkritische Bewegtbilder, schwules Begehren: Der Kunstverein Braunschweig zeigt die Videokünstlerin Eli Cortiñas und den Maler João Gabriel.

Wenn sie ihre (bewegten) Bilder sammelt, hat Eli Cortiñas noch keine genaue Idee, was daraus wird Foto: Joe Clark

Braunschweig taz | Eigentlich gibt es da ja diese Absprache: Die Stadt Braunschweig und der dortige Kunstverein, über die sogenannte Kontinuitäts­förderung von der Kommune finanziell getragen, haben sich darauf geeinigt, dass der Verein keine Angehörigen der Braunschweiger Hochschule für bildende Künste (HbK) ausstellt; diesen Output behält sich die Stadt für ihre eigene Galerie vor, die Halle 267.

Nun aber unterläuft der Interimsdirektor des Kunstvereins, Nuno de Brito Rocha, diese Konvention – durch einen trickreichen Kunstgriff allerdings: Gezeigt wird die erste institutionelle Ausstellung von Eli Cortiñas. Die Künstlerin teilte sich seit 2019 an der HbK eine Professur für Raumkonzepte mit Candice Breitz, wurde aber vor Kurzem an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig berufen; dort ist Cortiñas zuständig für Medienkunst im Grundstudium.

Ihre Braunschweiger Solo-Ausstellung sei also ein Abschiedsgeschenk, sagt de Brito Rocha. Und das fällt respektabel aus: Zu sehen sind eigens für die Erdgeschossräume der Kunstvereins-Villa konzipierte Präsentationsinstallationen, neue Collagen auf Papier, wandfüllende Fototapeten sowie zwei aktuelle und zwei ältere Videoarbeiten.

Cineastische Bildwelten, plakative Collagen

1979 im spanischen Las Palmas de Gran Canaria mit kubanischen Wurzeln geboren, hat Cortiñas an der Kunsthochschule für Medien in Köln bei Matthias Müller und Marcel Odenbach studiert sowie in Dänemark am European Film College in Ebeltoft. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin.

In Braunschweig kann man sie kennen, seit ihrem kommentierenden Beitrag zur Ausstellung „Film, Footage, Fotografie: Bildnerische Augenblicke mit filmischen Bezügen“, 2017 im Museum für Photographie. Ihr Markenzeichen schon damals: cineastische Bildwelten zu systemkritischen Videos zu verarbeiten oder als plakative Collage in der Tradition einer Hannah Höch.

Indirekt beteiligt, nämlich als Lehrende, war Cortiñas auch, als im vergangenen Jahr Josephin Hanke ihr dystopisches Meisterschul-Video „Leaders*“ im Kunstverein zeigte; zwei Avatare kämpften sich darin durch eine hetero-patriarchale Welt und Zeit, die es zu überwinden gilt. Hanke stand Cortiñas jetzt auch für die technische Unterstützung zur Seite.

Harmlos Gefälliges sollte niemand erwarten. Im Gegenteil: Bei Eli Cortiñas geht es um große Themen. Früher war das sehr stark die stereotype Rollenzuschreibung der Frau im Film, prototypisch festgemacht am schwarz-weißen Neorealismus italienischer Provenienz: Da wäre etwa die alternde Prostituierte, die nur noch mit Mühe Kunden findet, da ihr Körper an Attraktivität verliert.

Solche weiblichen Leidensperspektiven deutet Cortiñas aber gezielt um, verschneidet dazu originale Filmsequenzen, populäres – wie sie selbst sagt „demokratisches“ – Bildmaterial, von Youtube etwa oder kommerzielles Stock Footage, mit selbst Inszeniertem. Da werden dann lapidare Arrangements oder serielle Folgen aus Alltagsobjekten schon mal erlösend zerstört.

Entscheidend ist die Montage

Ihre Bewegtbilder produziert Cortiñas im Voraus, noch ohne direkte Verwendungsidee. Der kreative Akt sei dann der Prozess der Montage: Sie vergleicht ihn mit dem Schreiben, der Wortschöpfung. Auch man­che:r Kri­ti­ke­r:in empfindet die Ergebnisse als visuelle Lyrik. Biografisches spielt hinein, Eli Cortiñas’ Mutter etwa fungiert als Gesprächspartnerin. Und die Sprache, gern auch gleich mehrere davon, ist bei ihr nie nur Idiom, sondern hat genauso auch eine lautmalerische Dimension.

Die Ausstellung

Eli Cortiñas: „The Body is the House, The House is But Haunted“; João Gabriel: „Almost Blue“: bis 2.10., Kunstverein Braunschweig.

Umfangreiches Begleitprogramm, etwa eine Stadtführung zu queeren Sozialräumen (am 10.8.): www.kunstverein­braunschweig.de

Im ersten Teil des aktuellen Ausstellungstitels, „The Body is the House“, reflektiert Cortiñas die Verbindung von Architektur und Körper. Ihr Videoessay „Walls have Feelings“ von 2019 untersucht dazu ganz konkret die Auswirkungen von Arbeitssituationen und -räumen auf den Menschen.

So konfrontiert Cortiñas darin die gebaute Unterwerfungsgeste, die Büros wie die von Hitler oder Mussolini für jeden Gast bedeuteten, mit der chaotisch kreativen, alle Probleme einer diktatorischen Arbeitsteilung überwindenden Fabrikszene aus Chaplins „Moderne Zeiten“. Kontemplative Momente wechseln mit Bildern von Zwangsarbeit, auch der modernen Variante in heutigen Sweat Shops: Erfüllender Sinn und drangsalierender Fluch liegen dicht beieinander.

Dass es im Haus nichts als spukt – so der zweite Teil des Ausstellungstitels, „The House is but haunted“ –, scheint sie im Totalarrangement des Erdgeschosses unter Beweis stellen zu wollen: Nicht mal die eindrucksvollen Bitcoin-Tapeten in den Repräsentationsräumen der ehemaligen Kaufmannsvilla versprechen da noch tröstende Rettung.

Auch für João Gabriel, ausgestellt nun in den ehemaligen Privaträumen im Obergeschoss, ist es der erste Einzelauftritt in Deutschland. Sein Thema, nicht minder nachdrücklich verfolgt, ist die Lebenswelt schwulen Begehrens und Agierens in den Landschaften entlang der portugiesischen Strände. Gabriel, 1992 in einem kleinen Dorf geboren, hat in Caldas da Rainha nördlich von Lissabon Kunst studiert und lebt dort weiterhin.

Queer Underground

Seine Malerei hat etwas Altmeisterliches, weiß mit Licht und Schatten als Metaphern des immer noch verdeckt Auszulebenden seiner männlichen Protagonisten zu operieren. Motive generiert er etwa aus Filmstills alter „Queer Underground“-Pornofilme der 1970er- und 1980er- Jahre. Mit seiner an die französischen Fauvisten erinnernden, bewegten Malweise versteht er aber auch die Flora Portugals in kleinformatigen, intensiven Stücken zu porträtieren.

Seit Längerem arbeitet Gabriel mit zwei Namensvettern zusammen, den experimentellen Filmemachern João Pedro Rodrigues und João Rui Guerra da Mata. Das Paar lebt und produziert mittlerweile seit 31 Jahren zusammen und dekonstruiert so lust- wie hintersinnig humorvoll ikonografische Topoi teils auch religiösen Ursprungs.

Im Film „Der Ornithologie“ etwa missbrauchen chinesische Pilgerinnen auf dem Jakobsweg den gestrandeten Vogelforscher Fernando für ein blutrünstiges Re-Enactment des Martyriums des Heiligen Sebastian. Und der filmische Kommentar „Black and White“ könnte mit seiner Parodie handfester homosexueller Aktion für einen sommerlichen Aufreger sorgen – im ansonsten so gesitteten Braunschweiger Kulturbetrieb.

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