Vorwürfe gegen Hamburger Polizei: Staat ließ Waffendealer gewähren
Guido W. hat Kriminelle mit Maschinenpistolen versorgt. Ein Journalist wirft der Polizei vor, ihn jahrelang geschützt zu haben.
Wo setzt man an mit dieser Geschichte? Vielleicht im November 2021, als das Landgericht Hamburgein klares Urteil fällt: Guido W. ist Waffenhändler. Gemeinsam mit einem Kumpanen hat er illegal Waffen und Munition, Schalldämpfer und anderes Waffenzubehör ausgeliefert. Fünf Jahre und neun Monate muss er in Haft.
Vier einzelne Verkaufsaktionen zwischen 2019 und 2021 kann das Gericht im Detail nachvollziehen, gegeben hat es vermutlich mehr. Die genannten „Uzis“ und „Skorpione“, Maschinenpistolen also, die unters Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, hat der verurteilte Waffenhändler W. zwar offenbar zwischendurch besessen – bei der Durchsuchung seiner Lager im Frühjahr 2021 wurden sie aber nicht gefunden; sie waren offenbar schon verkauft. „So weit hätte es nie kommen müssen“, meint Winkelsdorf, „wenn man den Fall einfach von Anfang an ordentlich bearbeitet hätte.“
Denn der Anfang, so wie Winkelsdorf das sieht, der steht viel früher – es lohnt ein Blick in die Archive: W. stand schon oft vor Gericht, ein paar Mal wegen Führerscheindelikten, einmal wegen eines gefälschten Ausweises, einmal aber auch wegen Waffenhandels – 2010 war das.
Indizien werden vor Gericht vernachlässigt
60 illegale Schusswaffen hatte das Hamburger Landeskriminalamt damals bei ihm und zwei weiteren Mitgliedern des Schützenvereins Kaltenkirchen beschlagnahmt; es gab abgehörte Telefonate mit Rockern des Rotlichtmilieus; und Terminhinweise auf Partys beim Hells Angels Charter Northend Alveslohe. Es bestehe der „dringende Tatverdacht“ der illegalen Herstellung von und des Handels mit Waffen, heißt es in einem LKA-Vermerk aus jener Zeit, den die taz später zitiert.
Doch bei der Hauptverhandlung gegen die drei beschuldigten Schütz*innen 2010 ziehen Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt den Vorwurf des Waffenhandels überraschend zurück. Auch von Verbindungen ins Rotlichtmilieu will man plötzlich keine Kenntnisse mehr haben, trotz der Telefonate, trotz der Terminkalender. Die Angeklagten seien nur „Waffennarren“ und hätten eben illegal Waffen gesammelt – ein minder schweres Verbrechen, es folgt eine Bewährungsstrafe.
Lars Winkelsdorf, Journalist
Ins Rollen gebracht hatte den Fall 2007 Lars Winkelsdorf selbst mit einer Anzeige bei der Polizei: Der Hauptbeschuldigte W. hatte ihm gegenüber gesagt, er liefere Waffen an Bandidos und Hells Angels. Doch statt nur als Zeuge geladen zu sein, landet Winkelsdorf selbst mit auf der Anklagebank.
In einem Fernsehinterview hatte W. diverse Waffen vorgezeigt und auch vor der Kamera gesagt, er sei Waffenhändler. Zu der neuen Überzeugung von LKA und Staatsanwaltschaft, dass W. nur Waffennarr sei, passte das nicht. Das Interview, so der Vorwurf, sei gefälscht – der Journalist habe den Schützen zur Falschaussage gedrängt. In zweiter Instanz wurde Winkelsdorf dafür tatsächlich verurteilt. Dabei, so sagt er heute, war er für den fraglichen Fernsehbeitrag nicht einmal verantwortlich; ein Gerichtsverfahren soll in dieser Frage bald für Klarheit sorgen.
Winkelsdorf vermutet in W. einen V-Mann
So richtig los lässt Winkelsdorf die Geschichte seitdem nicht mehr: Mehrfach versucht er den Fall neu aufzurollen und stellt außerdem Strafanzeigen gegen die Beamt*innen von LKA und Staatsanwaltschaft wegen „Strafvereitelung im Amt“.
Aber als 2014 zumindest die Ermittlungen gegen die Mitglieder des Schützenvereins nach mehreren Fehlversuchen wieder aufgenommen wurden, zieht Winkeldorfs Zeuge die Aussage zurück, die er zuvor eidesstattlich versichert hatte – das Dokument liegt der taz vor. „Die Polizei kam bei ihm vorbei und hat ihn dazu gedrängt“, sagt Winkelsdorf; sein Zeuge habe ihm das so weitergegeben.
„Warum schlachtet die Polizei Hamburg einen Journalisten mit einer Verschwörungstheorie, statt einen Waffenhändler zu verfolgen?“ fragt Winkelsdorf heute. „Ich habe bis heute nur die Erklärung, dass W. ein V-Mann war und geschützt werden musste.“ Echte Beweise dazu fehlen; das Urteil erwähnt immerhin, dass W. 2013 mit einem gefälschten Pass ins Ausland reisen wollte; sein sonstiger Lebenslauf legt nicht nahe, warum oder wie er das getan haben sollte.
Polizei äußert sich zu den Vorwürfen nicht
Verbindungen sieht der Journalist heute überall; er zählt auf, für welche spektakulären Mordfälle der jüngeren Vergangenheit modellgleiche Waffen wie die verschwundenen Maschinenpistolen verwendet worden sind und erklärt, welche Rockergrößen seiner Erkenntnis nach bei W. eingekauft haben.
In den nächsten Tagen möchte er über seinen Twitter-Account Stück für Stück immer mehr Vorwürfe veröffentlichen. Misstrauisch macht ihn, dass er seine eigene Akte bei der Polizei nicht mehr einsehen konnte: Die sei verloren gegangen, teilte man ihm zu Prozessbeginn gegen W. mit, nachdem man seine Anfrage zuvor lange Zeit komplett ignoriert hatte.
Die Polizei will sich dazu nicht äußern. Auch nicht zu der Frage, ob man W. damals nicht ernst genug genommen habe; nicht zu der Frage, ob man mittlerweile wisse, wo die verlorenen Maschinenpistolen abgeblieben sind. All dies sei „Gegenstand von Ermittlungen, zu deren Ausgang sich eine Aussage durch die Polizei verbietet“, heißt es auf Nachfrage. Der Offene Brief sei an das Dezernat Interne Ermittlungen weitergeleitet.
Offener Brief sieht Verantwortung beim Polizeipräsidenten
Dass Winkelsdorf sich erst jetzt, viele Monate nach der Verurteilung W.s, noch einmal mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet, erklärt der Journalist und Waffenexperte damit, dass er durch den Ukrainekrieg zuvor keine Zeit gefunden habe. Auch hatte er mit weiteren Prozessen gegen sich selbst zu tun: Nachdem er ehemals eingezogene Waffen aus dem Prozess gegen W. wieder im freien Verkauf entdeckt hatte, brachte er diese öffentlichkeitswirksam zur Justizministerin – und wurde prompt wegen des Waffentransports angeklagt. Erst vor wenigen Monaten folgte der Freispruch und eine Entschuldigung der Staatsanwaltschaft.
Von der Polizei erhofft er sich eine derartige Entschuldigung wohl auch. Seinen Offenen Brief mit den Anschuldigungen richtet er denn auch direkt an den Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Meier und Vize-Polizeipräsident Mirko Streiber – beide waren während des Prozesses gegen W. und Winkelsdorf für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und hätten ihn „als Journalisten unterstützen müssen“, findet Winkelsdorf.
„Jedenfalls können sie sich heute nicht rausreden: Die beiden sind direkt verantwortlich und wussten von Anfang an Bescheid“, sagt er. „Dass Ralf Meier hier noch ehrenhaft aus dem Dienst entlassen wird, das kann nicht sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz