Foto-Ausstellungen über Herbert List: Das Geheimnis hinter dem Bild
Hamburg zeigt zwei Ausstellungen über den Fotografen Herbert List. Bekannt war der bekennende Homosexuelle für die „Fotografia Metafisica“.
Ein anderes: Alexander Calder mit halb verletzlichem, halb verschlagenen Blick – oder Pablo Picasso, Nägel kauend, beobachtet von einer selbst gemalten Eule. Sein Alter Ego? Graue Eminenz?
Man weiß es nicht, und dieser Mix aus Humor und Spiel zieht sich durch das ganze Werk des 1975 verstorbenen Fotografen, der eigentlich Kaufmann werden sollte und zunächst in die Kaffeefirma seines Vaters eintrat. Auf Geschäftsreisen nach Mittelamerika fing er an, sich für Fotografie zu begeistern.
Zurück in Hamburg, begann er unter dem Einfluss des Fotografen Andreas Feininger mit Street Photography. Und in der Tat, er hatte den Blick: für die Hafenarbeiter, die beim Schichtwechsel vom Anleger zur Elbtreppe strömen und auf geheimnisvolle Weise choreographiert wirken wie mäandernde Magnetspäne – dabei war das Foto nicht gestellt.
Der Surrealismus Magrittes
Das Geheimnisvolle hinter dem Sichtbaren faszinierte List von Anfang an; für seine „Fotografia Metafisica“ in den Stillleben aus den Jahren vor 1939 wurde er unter anderem bekannt. Den Surrealismus René Magrittes umd Max Ernsts zitiert zum Beispiel der „Geist des Lykabettos“ aus Athen: ein weiß gewandeter Mensch zwischen Felsen, das Gesicht von einem Spiegel verdeckt.
Herbert List: Das magische Auge: bis 11. September, Hamburg Bucerius Kunst Forum
Präuschers Panoptikum. Ein Bilderbuch von Herbert List: bis 18. September, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
Seine rechte Hand ist im Gewand versteckt, die linke hält er vorm Spiegel und erzeugt so eine „neue“ zweite Hand. Ein feines Spiel mit Schein und Sein und Illusion. Der weibliche Halbtorso auf einer Art Käfig-Drahtgerüst wiederum erinnert an die bizarren Wesen in der Pittrua Metafisica de Chiricos oder Dalis.
Auch Lists jetzt erstmals im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gezeigtes Fotobuch-Projekt „Präuschers Panoptikum“ mit Bildern aus dem Wachsfigurenkabinett des Hermann Präuscher auf dem Wiener Prater zählt, obwohl später entstanden, zu dieser Serie. Masken, Figuren, Skulpturen erwachen im Foto zum Leben und erstarren, sobald man die Illusion bemerkt.
Was der bekennende Homosexuelle List sonst noch fotografierte? Junge Männer. Freunde und Bekannte seines Umfeldes hat er tagebuchartig verewigt, in Hamburg sowie auf Reisen nach Italien, Griechenland, Frankreich, Tunesien. Es sind sehr private Fotos geworden – erotisch, aber nicht voyeuristisch übergriffig – weder für die Porträtierten noch für die Betrachtenden. Schlafend, aufwachend, lachend, am Wasser tobend findet man sie, auch den berühmten „Amor“ aus Hammamet in Rückenansicht.
Kein NS-Männlichkeitsideal
Diese Männer sind attraktiv und verletzlich zugleich und entsprechen so gar nicht dem damals gängigen heroischen Männlichkeitsideal, schon gar nicht dem der Nationalsozialisten. Und auch wenn der schwarzhaarige Jüngling „Unter dem Poseidontempel“ den muskulös markigen Typen des NS-Bildhauers Arno Breker am ehesten nahekommt: Er ist kein nordischer Typ und passt so gar nicht in die „Arier“-Ideologie.
Verdächtig war dem NS-Regime dagegen der bekennend homosexuelle List mit seinen jüdischen Großeltern. 1936 floh er, von Freunden gewarnt, in die Schweiz, nach Italien, dann nach Paris, wo ihm andere Künstler halfen, finanziell Fuß zu fassen, ihm Aufträge bei Zeitschriften vermittelten.
Das war nötig, denn im selben Jahr hatte List die Teilhaberschaft an der Firma seines Vaters aufgegeben, um ganz von der Fotografie zu leben. Sein lebenslanger Sehnsuchtsort wurde dann allerdings Griechenland, wo er von 1937 bis 1941 großteils lebte. Das besondere Licht dort galt ihm als Symbol einer idealisierten Antike, in der Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert war. Wie Heroen wirken Reste antiker Säulen auf Lists Fotos, als Arkadien erscheint der „Heilige Hain“ mit Resten der Echohalle in Olympia – Steine, verstreut zwischen Bäumen wie Kalligraphen des Vergangenen. Gelebt hat List damals von Architekturfotos im Auftrag der Stadt Athen.
Kurz vor dem deutschen Einmarsch in Griechenland forderte ihn das NS-Regime allerdings zur Ausreise nach Deutschland auf; andernfalls drohe Haft. In Deutschland wiederum fürchtete er – neben der Verfolgung als Homosexueller und Halbjude – die Einberufung zur Wehrmacht und versuchte einen „Deal“ mit dem System: bewarb sich als Bildjournalist im Reichsverband der Deutschen Presse, wurde aber abgelehnt. Auch ein Auftrag des Ostministeriums für „künstlerische Bildberichte“ in den besetzten Ostgebieten wurde nach einigen Wochen zurückgezogen, weil er kein „Arier“ sei.
Wunderbare Irreführung
Darüber hinaus passierte ihm allerdings nichts, und auf Intervention der nicht dem NS-Propagandaministerium unterstellten Zeitschrift Tele wurde er bis 1944 vom Wehrdienst zurückgestellt, danach von der Wehrmacht als Verwalter nach Norwegen geschickt. Warum er letztlich unbehelligt blieb, ist nicht ganz klar; es mag am seinem Lavieren, vielleicht auch an persönlichen Kontakten gelegen haben. Generell galt List als unpolitischer Mensch, der nur fotografieren und publizieren wollte, etwa sein Buch „Licht über Hellas“, das 1953 erschien.
Einige wichtige politische Aufnahmen machte er allerdings doch: 1945 hat er im Auftrag der Alliierten die Entdeckung von NSDAP-Mitgliederkarteikarten unter Papierbergen in einer Fabrikhalle dokumentiert. Es waren Tausende; und die Papierberge erinnerten zynisch an die Leichenberge aus den befreiten KZ.
Abgesehen davon aber begab sich List seit den 1950er-Jahren wieder auf Reisen, inzwischen mit einer Leica-Kleinbildkamera, mit der er spontaner und unauffälliger Straßenszenen einfangen konnte als bis dato. Heraus kam zum Beispiel das Foto weinender Frauen beim Abschied im Hafen von Neapel – in Mimik und Kleidung ähnlich und individuell zugleich. Oder die elegante Alte in Rom, die mitten auf einer Straße vorm Kühler eines Autos steht und deren Blick sagt: „Was bist du für ein fremdes Geschöpf? Und übrigens, die Straße gehört mir.“
Spielerisch wirkt auch das „Spiel mit dem Reifen“ aus der Serie „Blick aus dem Fenster“. Ein Motorrad fährt dort an einem Jungen vorbei, der in entgegengesetzter Richtung hinter einem Reifen her rennt. Unwillkürlich denkt man, das Motorrad habe den Reifen verloren. Ist natürlich Unsinn. Aber welch wunderbar irreführende Suggestion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!