Experte über Handelsabkommen Ceta: „Deutliches Ja zu Paralleljustiz“
Der Experte für Handelspolitik Ludwig Essig warnt vor dem Handelsabkommen. Es berge Risiken für die Umwelt und gebe Unternehmen zu viel Macht.
taz: Herr Essig, die Ampelregierung will das europäisch-kanadische Handelsabkommen Ceta ratifizieren. Warum halten Sie das für falsch?
Ludwig Essig: Mit Ceta soll eine Paralleljustiz mit Sonderklagerechten für Großinvestoren eingerichtet werden, die Regierungen erpressbar macht. Und obwohl Ceta erst nach Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens unterzeichnet wurde, enthält es keine verbindlichen Regeln und Durchsetzungsmechanismen zum Schutz des Klimas. Das Gleiche gilt für weitere ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele, wie sie etwa im internationalen Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt oder in den Kernprinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vereinbart sind. Dagegen ist der zollfreie Handel mit klimaschädlichen Produkten wie dem besonders CO2-lastigen kanadischen Teersandöl durch ein zwischenstaatliches Schiedsgericht geschützt, das Strafzölle verhängen kann.
Die Regierung zieht den Schiedsgerichten doch die Zähne, indem sie eine Interpretationserklärung an den Vertrag fügen will, nach der nur noch Klagen bei direkten Enteignungen und Diskriminierung möglich sind.
Ja, das hat die Bundesregierung in ihrer neuen Handelsagenda angekündigt. Aber eine Interpretationserklärung schafft nicht das grundsätzliche Problem einer Paralleljustiz aus dem Weg.
Das grün geführte Wirtschaftsministerium hat angekündigt, das mit dem Ceta-Gesetz eine neue Handelspolitik beginnt, die auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz setzt. Ist das gelogen?
Ich möchte gar nicht verschweigen, dass die Einigung im ersten Kapitel der neuen Handelsagenda der Bundesregierung ein Fortschritt ist, in allen zukünftigen Abkommen soziale und ökologische Standards rechtlich zu schützen. Wir sehen das auch als unseren Erfolg an. Das Problem ist, dass die neue Handelsagenda aber einen großen Widerspruch hat.
Ludwig Essig,
Jahrgang 2001, ist Referent für Handelspolitik beim Umweltinstitut München und Koordinator des Netzwerks gerechter Welthandel, das aus der Stopp-TTIP und Stopp-Ceta-Bewegung hervorgegangen ist.
Welchen?
Im ersten Teil werden lauter tolle Sache verkündet, die zukünftig in Handelsabkommen gelten sollen, und gleichzeitig will die Ampel Ceta ratifizieren, wo genau alles das nicht der Fall ist. Die Tragweite dieses Vertrags ist zu groß, um zu sagen, bei den nächsten Abkommen machen wir es dann eben besser.
Nach der Willkür-Handelspolitik von Donald Trump und angesichts der derzeitigen Weltlage mit Ukrainekrieg, Energiekrise und massiven Lieferkettenproblemen: Ist die Kritik an einem Freihandelsabkommen mit einem so freundlichen Land wie Kanada nicht aus der Zeit gefallen?
Wir setzen uns ausdrücklich für einen sozial-gerechten und ökologischen Welthandel ein. Man darf nicht außer Acht lassen, dass der Ceta-Handelsvertrag seit fünf Jahren vorläufig in Kraft ist. Mit der Ratifizierung dieses Vertrages sagt man dann nur noch ganz deutlich Ja zu einer Paralleljustiz, weil alle Handelsteile des Abkommens schon in Kraft sind. Man sieht beispielsweise am Abkommen mit Neuseeland, dass die EU in der Lage ist, auch nachhaltige Handelsverträge zu verhandeln, denen gegenüber wir auch aufgeschlossen sind. Es geht uns in der Kritik weder um Kanada, noch um die EU. Denn viel entscheidender ist der Inhalt des Vertrags. Und gerade in diesen krisengebeutelten Zeiten brauchen wir handlungsfähige Parlamente und Regierungen. Dem stehen die Schiedsgerichte von Ceta entgegen.
Viele Grüne haben vor einigen Jahren gegen Ceta protestiert und Ihre Kritik geteilt. Fühlen Sie sich jetzt von den Grünen verraten?
Warten wir einmal ab, wie sich die grünen Abgeordneten bei der Abstimmung verhalten. Aber grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass die Grünen ihre ganzen guten Argumente seit Eintritt in die Ampel vergessen haben. Immerhin gingen wir jahrelang gemeinsam auf die Straße und die Grünen haben mit diesem Thema Wahlkampf betrieben. Das Vorgehen sowie das Vorhaben der Grünen, Ceta jetzt im Eilverfahren zu ratifizieren, ist ein massiver Fehler.
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