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Missbrauchsstudie im Bistum MünsterDie schuldigen Hirten

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die wissenschaftliche Untersuchung zum Bistum Münster setzt neue Maßstäbe: Die vom Klerus konstruierte Angst vor Sexualität wirkt sich verheerend aus.

Die Münsteraner Historikergruppe hat einen Pflock eingeschlagen Foto: Guido Kirchner/dpa

D ie am Montag vorgestellte Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche ist bahnbrechend. Was der Historiker Thomas Großbölting und Mitarbeitende herausfanden, kommt einer Ermittlungsakte gleich, deren Titel für sich spricht: „Die schuldigen Hirten“.

Die geschichtlich fundierte Arbeit besticht dadurch, dass sie Fälle von Missbrauch im Klerus akribisch aufarbeitet; etwa den Lebensweg eines in den fünfziger Jahren tätigen Priesters nachzeichnet, ein „Intensivtäter“, wie es heißt, ein Pädosexueller, der auch deshalb keine Scham empfand, weil er durch die Hierarchen sich gedeckt wissen konnte. Ihre Stärke liegt aber darin, exakt nachzuzeichnen, wie desinteressiert der katholische Klerus an der Aufklärung war – und in gewisser Weise noch ist.

Die His­to­ri­ke­r*in­nen weiten den Blick über die üblichen Schlagworte hinaus. Sie zeigen, wie intensiv der katholische Klerus gerade in der Nach-Nazizeit Angst vor Sexualität in die Seelsorge einbaute – und die Furcht vor sexuellem „Schmutz“ dazu nutzte, Missbrauch unsagbar zu machen.

Für die bundesdeutsche Geschichte hat die Erkenntnis Gewicht, dass der antisexuelle Horror, die Verdammnis aller Körperlust jenseits der Fortpflanzungszwecke, die eisige Verfolgungswut gegen Homosexuelle konstitutiv war, der Hass auf Frauen, die ihre Schwangerschaften abbrechen wollen, die Aversion gegen Pille und Kondom.

Dass Sexuelles als unrein zu gelten hat, steht zwar nicht in der Bibel, wurde aber etwa in Irland, Australien, den USA und Spanien vom Katholizismus gedeckt. Und: durchaus mitgetragen von den Gläubigen, die das katholische Regime der Antisexualität meist gern mitmachten.

Der hiesige Klerus verdient es nicht, in seinen viel zu schleppenden Mühen um Selbstaufklärung zu diesen verursachten Gewaltkulturen alleingelassen zu werden. Die Münsteraner Historikergruppe hat einen Pflock eingeschlagen. Andere mögen folgen, Staatsanwaltschaften und Polizeien müssen es. Es ist ein kriminelles, faktisch antichristliches Milieu, dem sie sich zu widmen hätten.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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7 Kommentare

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  • Die Kirche, eine kriminelle und pädophile Vereinigung?

    Zugegeben eine krasse Formulierung. Aber ist das Vertuschen und Verhalten der Kirche auf die Vorwürfe nicht mindestens genau so krass?

    • @Rudi Hamm:

      Nur die Kirche?

      Ein paar Jahre vor dem Untersuvungszeitraum war ganz Deutschland noch massenmordend in der Welt unterwegs.



      Die Hauptverantwortlichen sind in allen Parteien von links bis rechts untergekommen. Den Mund haben se alle gehalten. Keiner wollte es gewesen sein.

      Die Mörder saßen in jeder Familie mit am Küchentisch.

  • Is es gut oder schlecht, wenn sich der Feind dauerhaft mit einem MG in den eigenen Fuß zu schießt? Incl. Kollateralschaden, weil halt MG.



    Bin da unentschlossen. Auf der einen Seite, müssen Leute die Freiheit haben ihr Weltbild frei wählen zu können. Auf der anderen Seite, hat der Staat (sowie jeder Bürger) die Pflicht Auswirkungen von schädlichen Entscheidungen zu minimieren.

  • Die Freude am Sex musste zerstört werden.

    Wer happy ist, braucht keinen Agenten zu einem imaginären Gott mehr.

    Und wenn Sex noch mit Schuld behaftet ist, ist das eine tolle Sache für die Kirche.

    Denn wenn man es hinkriegt, dass andere sich schuldig fühlen und man diese auch wieder entlasten kann, gibt das der Kirche Macht.

    Sex ist im Grunde eine tolle Sache. Man kann ihn verwenden wie Meditation und totale Seligkeit und Einheit mich sich selbst, dem Partner, dem Leben, dem Universum erfahren. Nicht mehr mit dem Ego identifiziert. Die frühen buddhistischen Tantra-Lehren nutzten diesen Weg, so auch die ganz frühen hinduistischen Lehren, bevor diese vom Polit-Klerus zerstört wurden.

    Die glaubensorientierten Religionen haben den Menschen den Weg dazu verbaut. Ihnen ein Geburtsrecht auf Glück genommen.

    Tja, und ihre Agenten landen heute vor Gericht.

    • @shantivanille:

      "Tja, und ihre Agenten landen heute vor Gericht"

      Es war ja nicht so, dass die Prüderie erst hinter den Kirchentoren anfing. Das ging schon in den heimischen Betten los. Existierte in Schulen, in Gewerkschaften, am Arbeitsplatz, im Sport, Parteien, kurz im gesamten öffentlichen Leben.

      Nur deren "Agenten" sind so "schlau" keine eigenen Untersuchungen in die Wege zu leiten und die eigene Missbrauchsgeschichte aufzuarbeiten.

  • Die Bischöfe sind immer noch im Amt. So geht das nicht!



    Haben Sie soviel Anstand und geben sie endlich ihr Amt auf, egal was der Oberguru in Rom sagt.

    Wer seine Kinder als Messdiener in die katholische Kirche schickt, sollte im Falle von Missbrauch zur Rechenschaft gezogen werden.







    Noch ist die "Altlast" aber keineswegs aufgearbeitet.



    Man hat vertuscht, was das Zeug hält. Diese Typen müssen hart bestraft werden und sollten nicht mehr mit Kindern zu tun haben dürfen.

    • @cuba libre:

      "Wer seine Kinder als Messdiener in die katholische Kirche schickt, sollte im Falle von Missbrauch zur Rechenschaft gezogen werden."

      Was ist das denn für ein verqueres Rechtskonstrukt? Wollen Sie Eltern enspeeren, wenn Sie ihre Kinder zur Schule, in Sportvereinen, Jugendorganisationen, Nachbarn oder Verwandten schicken, einsperren, wenn sich herausstellt, dass es dort zu einem Missbrauch kam?

      Dann doch eher Fluggesellschaften verbieten, die Flüge nach Kuba anbieten, damit Touristen dort ihren Sextourismus ausleben, wovon der dortige Staat ebenfalls profitiert.