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Social-Media-App „Be Real“Alles wieder natürlich

Die App „BeReal“ feiert unretuschierte Momentaufnahmen und will so Instagram herausfordern. Klappt das?

Das Zwischenmenschliche soll im Vordergrund stehen Foto: Screenshot/taz

Wer kennt’s nicht: Man wischt gemütlich auf dem Sofa liegend auf dem Handy rum und, ups, aktiviert versehentlich die Frontkamera. Plötzlich schaut einem ein Pfannkuchengesicht mit Doppelkinn entgegen – das eigene. Schnell die Kamera wieder schließen. Nicht die vorteilhafteste aller Perspektiven, aber hat ja zum Glück niemand gesehen.

Eine neue Social-Media-App könnte genau das ändern und ungeschönten Schnappschüssen mehr Öffentlichkeit verschaffen. „BeReal“ heißt sie und will, wie der Name schon sagt, mehr Realität und weniger Inszenierung in die Welt der sozialen Medien bringen. In Frankreich, wo sie herkommt, den USA und Dänemark zählte sie in den vergangenen Monaten regelmäßig zu den Top 10 der am meisten heruntergeladenen Apps. Auch in Deutschland breitet sie sich seit diesem Jahr aus. Genutzt wird sie vor allem von der Gen Z, der Gruppe also, die nie auf Facebook war und stattdessen Instagram, Tiktok oder Snapchat nutzt.

Der Aufbau der App ist einfach: Man kann bloß ein Foto am Tag posten, und zwar nur dann, wenn die App eine entsprechende Benachrichtigung sendet. Nach Öffnen der App hat man zwei Minuten Zeit, ein Bild aufzunehmen. Front- und Rückkamera fotografieren dabei gleichzeitig, in der Vorschau ist aber nur die Ansicht einer der Kameras zu sehen, gepostet werden beide Bilder. Kontrollverlust also, auch darüber, zu welcher Zeit und an welchem Ort die App-Benachrichtung einen erwischt.

Zugemüllter Instafeed

Die „BeReals“ der eigenen Kontakte werden erst sichtbar, wenn man selbst eines hochgeladen hat. Niemand kann mehr nur stil­le*r Be­ob­ach­te­r*in sein. Das Ergebnis ist meist beruhigend banal: Leute am Laptop, auf dem Sofa liegend, beim Essen mit Freund*innen. Nach 24 Stunden werden die Posts automatisch gelöscht.

Damit reagiert die App auf viele Aspekte, die erst Facebook und zunehmend Instagram unbeliebt gemacht haben. Da wäre die Fakeness: Je­de*r weiß, dass Fotos auf Instagram gestellt sind. In­flu­en­ce­r*in­nen lassen für den perfekten Shot auch mal 900 Fotos von sich knipsen. Das bearbeiten sie dann – und zwar nicht nur die Sättigung: Mit Apps wie Facetune lassen sich ohne Bildbearbeitungskenntnisse die Nase kleiner oder die Taille schlanker machen. Echt ist auf Instagram nicht mehr viel. Dagegen rebellieren die Nut­ze­r*in­nen immer mehr: Hashtags wie #instagramvsreality enthüllen, wie viel Gepose und Bearbeitung hinter einem Bild steckt. Instagram-Trends wie der „Photo Dump“, in dem eine Reihe von Alltagsschnappschüssen gepostet wird, zeigen das Bedürfnis nach Authentizität.

Auch spielt der Ursprungsgedanke von sozialen Netzwerken, das Zwischenmenschliche, eine immer geringere Rolle. Auf Instagram und Facebook werden Use­r*in­nen zugemüllt mit Inhalten, die sie gar nicht wirklich interessieren: Ohne Ende Werbung oder fremde Beiträge „basierend auf Bild XY“. Posts von Menschen, die einem nahestehen, dringen da oft gar nicht mehr durch. Auf BeReal ist das Default-Setting der chronologisch sortierte Freund*innen-Feed. Man sieht, was die Leute im Alltag machen, wodurch man sich ihnen tatsächlich ein Stückchen näher fühlt. Das liegt auch daran, dass BeReal noch so neu ist. Wenn es irgendwann über 100 Freun­d*in­nen nutzen, wird auch dort einiges untergehen.

Her mit den Sofa-Doppelkinn-Selfies!

Auch Werbung wird irgendwann ein Thema werden, schließlich muss sich die Plattform finanzieren. Die zwei Franzosen Alexis Barreyat und Kévin Perreau launchten die App im Februar 2020. Viel weiß man nicht über sie: Barreyat arbeitete zuvor bei GoPro, beide studierten an der Coding-Schule „42“. Ein Geschäftsmodell hat ihr Unternehmen noch nicht. Die Finanzierung kommt von Investor*innen, im vergangenen Monat soll das Unternehmen zum dritten Mal Geld eingesammelt haben.

Bleibt fraglich, wie lange die Leute noch Bock auf BeReal haben, ob es weiterwächst oder nach einem kurzen Hype in Vergessenheit gerät wie einst Clubhouse. Das zwar langsame, aber stetige Wachstum der App ist zumindest eine gute Voraussetzung für einen längerfristigen Platz am Social-Media-Markt. Außerdem spricht BeReal Nutzungsbedürfnisse an, die nur noch wenige Plattformen bedienen: Spontaneität und Intimität. Dass auch mal ein gammliges Sofa-Doppelkinn-Selfie im Feed landet, ist da nämlich fast schon erwünscht.

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1 Kommentar

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  • Habe ich das richtig verstanden: Die App sendet mir eine Benachrichtung, ich mache ein Foto - das aber noch freiwillig, immerhin wird nicht von außen die Kamera aktiviert - und meine Follower können nachverfolgen, wie ich aussehe und wo ich gerade bin? Also, wenn ich oft zu Hause bin nach und nach all meine Zimmer kennenlernen? Sehen, ob ich mich immer im gleichen Areal bewege oder viel unterwegs bin? Welches Auto ich fahre, ob ich öffentliche Verkehrsmittel verwendet, einen Hund habe, wer bei mir ist (je nachdem, ob derjenige gerade vor mir steht? Sehen, ob ich oft auswärts esse oder was ich in der Freizeit so mache, ob ich Geld habe oder nicht?

    Das wäre mir zu viel Einmischung.

    Und es ist dann eine App NUR für Selfies + Umgebung? Also wirklich nur "was mache ich gerade"? Es geht NUR um mich, NICHT ums Fotografieren?

    Diese App muss dann aber eine sehr spezielle Zielgruppe haben und sollte wirklich ausschließlich ab 18 sein!

    Nicht, dass Fakeness kein Problem wäre, aber "mein Leben, mein Gesicht, einmal alle 24 Stunden" klingt auch irgendwie gruselig und einigermaßen narzisstisch!