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EU-Perspektive für Balkan und UkraineHaben sie einen Plan?

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Statt gemeinsam vorzugehen, buhlen Kanzler Scholz und Kommissionschefin von der Leyen um Aufmerksamkeit. So stürzen sie die EU womöglich in die nächste Krise.

Er muss kämpfen – zur Not auch gegen von der Leyen: Kanzler Scholz am Samstag in Sofia Foto: reuters

R eden Olaf Scholz und Ursula von der Leyen eigentlich noch miteinander? Haben der deutsche Kanzler und die deutsche Kommissionspräsidentin einen Plan, wie die Europäische Union in den nächsten Jahren aussehen soll? Oder arbeiten sie gegeneinander, stolpert die EU blindlings in die nächste Krise, eine Erweiterungskrise?

So wie Scholz und von der Leyen agieren, deutet alles auf Chaos hin. Just in dem Moment, da der SPD-Kanzler seine lange geplante Reise auf den Westbalkan machte, um für den EU-Beitritt Albaniens und Nordmazedoniens zu werben, eilte die CDU-Politikerin zu einem Blitzbesuch nach Kiew, um die Aufnahme der Ukraine vorzubereiten. Abgesprochen war das offenbar nicht. Von der Leyen hat Scholz die Show gestohlen und viel zu große Erwartungen geweckt. Sie will der Ukraine nicht nur den Kandidatenstatus gewähren, sondern auch noch ein milliardenschweres Wiederaufbauprogramm finanzieren. Es gehe um „historische Entscheidungen“, kündigte sie vollmundig an. Dabei fallen diese Entscheidungen erst beim nächsten EU-Gipfel.

Von der Leyen kann bloß Empfehlungen abgeben, das letzte Wort haben die Staats- und Regierungschefs. Zudem muss die Behördenchefin noch ihr eigenes Team überzeugen. Auch die EU-Kommission ringt um den richtigen Kurs. Der ist nicht so leicht zu bestimmen, wie von der Leyen vorgibt. Der letzte Beitritt – Kroatien 2013 – liegt neun Jahre zurück. Statt weiter zu wachsen, ist die EU seitdem geschrumpft: Der Brexit war ein schwerer Rückschlag für das europäische Einigungsprojekt. Die bittere Wahrheit ist, dass die EU nicht „reif“ für neue Mitglieder ist – weder politisch noch finanziell. Die Länder des Westbalkans könnte sie gerade noch verkraften, wenn sie die Bedingungen erfüllen. An der Ukraine hingegen würde sie sich übernehmen; ein Blitzbeitritt wäre gefährlich und ungerecht.

Schließlich ist nicht nur die Ukraine, sondern auch der Westbalkan von Krieg gezeichnet. Nach den Balkankriegen der 90er Jahre haben Deutschland und die EU den Ländern der Region eine „europäische Perspektive“ versprochen – es wäre unfair, wenn sie nun zugunsten der Ukraine zurückstehen müssten. Scholz hat dies erkannt, seine Reise setzte die richtigen Akzente. Von der Leyen hingegen führt die EU auf abschüssiges Terrain.

Von ihrem Besuch in Kiew geht das Signal aus, dass die Erweiterungspolitik in eine geopolitische Phase übergeht – ohne Rücksicht auf andere Kandidaten, aber auch auf die EU und ihre strikten Beitrittsregeln. Der EU-Gipfel sollte diese Botschaft korrigieren und den Ländern des Westbalkans den Vorrang geben. Scholz muss kämpfen – zur Not auch gegen von der Leyen.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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4 Kommentare

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  • "....um für den EU-Beitritt Albaniens und Nordmazedoniens zu werben"

    "Die albanische Mafia oder albanische organisierte Kriminalität sind die allgemeinen Begriffe für kriminelle Organisationen mit Sitz in Albanien oder zusammengesetzt aus ethnischen Albanern."

    de.knowledgr.com/0...nischen%20Albanern.

    Haben wir noch nicht genug Probleme in Europa?



    Warum mach Scholz und v.d. Leyen alles falsch.



    Offenbar geht`s hier nur um Geostrategie, d.h. man hat Angst, dass der Russe hier Fuß fasst.



    Wir Bürger zahlen dafür einen hohen Preis.

    • @cuba libre:

      Genau so ist es. Jetzt wird die EU zu einer riesigen Organisation aufgebläht als Bollwerk gegen Russland. Dabei hatte sie das nie als Ziel. Und was an der von einer Bürokratenkaste regierten EU noch demokratisch sein soll, ich kann da wirklich nichts dergleichen finden.

  • Man muss befürchten, dass Scholz einen Plan hat. Einen schlechten Plan. Statt die EU zu einigen, zu vertiefen, zu straffen und eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu entwickeln, macht er das genaue Gegenteil. Statt überhaupt eine echte, nämlich auch



    militärisch fundierte, Sicherheitspolitik zu betreiben, macht er auch das Gegenteil. Was er macht ist exakt das, was bisher auch gemacht wurde: eine Art wirtschaftspolitischer Vernetzung als Ersatz für wirkliche gemeinsame Werte und gemeinsame Politik. Dasselbe das gegenüber Russland, aber auch Ländern wie Polen oder Ungarn gescheitert ist, wird hier munter wiederholt. Irgendeine Art von Verflechtung, von Payoff- Struktur, gerne dominiert von den berühmten deutschen Scheckbüchern, soll es richten. Die EU wird erweitert und so im Kern immer weiter geschwächt. Man sehe sich doch nur das europäische Ölembargo an. Was Scholz treibt ist letztendlich das was auch schon Kohl und Merkel getrieben haben. Es ist das alte Spiel mit den vielen Partnern, das letztlich dazu führen muss, dass man nachher keine Freunde mehr hat. Das ist heute schon so: Deutschland hat keine Freunde mehr, Deutschland wird gebraucht, benutzt, verflucht, belogen, aber daran ist es komplett selber schuld.

  • Ein Problem der europäischen Institutionen ist das Vetorecht noch so kleiner Länder bei bestimmten Entscheidungen und deren Über-Repräsentierung im EU-Parlament und mehr noch in den anderen Gremien.

    Das ist bei Nordmazedonien (2 Mio. Einwohnern) natürlich problematischer als bei der Ukraine, die mit rund 40 Mio. auf Augenhöhe mit den anderen, größeren EU-Staaten (ES, IT, FR, PL, bedingt DE) ist.

    Der Westbalkan bringt außerdem das Kosovo-Problem mit.