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Auswirkungen von Depressionen auf LustEhrlich und ohne Scham

Als Anhedonie bezeichnet man den Verlust der Fähigkeit, Freude für Dinge zu empfinden. Depressionen können sich auch auf die sexuelle Lust auswirken.

Depressionen können dazu führen, dass betroffene Personen nicht angefasst werden möchten Foto: getty images

L et’s talk about Sex – und Depressionen. Beides schambesetzte Themen, über die viele eher ungern sprechen. Umso wichtiger, es zu tun, denn an einer depressiven Episode zu leiden, hat meist unweigerlich Auswirkungen auf das Sexleben. Als Anhedonie bezeichnet man den Verlust der Fähigkeit, Freude für Dinge zu empfinden, die vorher noch Freude machten. Sie ist ein wesentliches Merkmal der depressiven Störung und kann sich auch auf die sexuelle Lust auswirken.

In manchen Fällen möchte die betroffene Person gar nicht angefasst werden, hält die körperliche Nähe zu einem anderen Menschen kaum aus. Für den*­die Part­ne­r*in ist das irritierend, und nicht selten belastet das eine Beziehung ungemein. Frustrierend ist auch, wenn die Lust zwar mental gegeben ist, der Körper aber nicht mitspielt. Bei Frauen kann es während depressiver Episoden zu vaginaler Trockenheit und damit verbundenen Schmerzen beim Penetrationssex kommen. Männer leiden vermehrt an Erektionsstörungen.

„Das Geschlecht sagt, pass auf: Solange du da oben noch beschäftigt bist […] – krieg das erst mal auf die Kette. Und wenn oben alles klar ist, kannste dich bei mir unten wieder melden“, beschreibt Kurt Krömer seine depressionsbedingte Impotenz im Podcast „Danke, gut“ (übrigens eine absolute Hörempfehlung!). Tatsächlich neigt man schnell dazu, zu unterschätzen, wie sehr Psyche und Körper miteinander verbunden sind. Mir kommt es so vor, dass selbst Fachleute dem nicht immer genug Aufmerksamkeit schenken. Vermutlich auch, weil zu wenig darüber gesprochen wird.

Keine Reaktion

Als ich unlängst bei meiner Psychiaterin war, um zu besprechen, wie es mir mit meinem aktuellen Medikament, einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, geht, merkte ich an, dass meine sexuelle Lust momentan quasi nicht existiere. Die Reaktion war ziemlich ernüchternd, blieb sie doch weitestgehend aus. Stattdessen bekam ich einfach ein neues Rezept ausgestellt. Vielleicht hätte ich nicht erwähnen sollen, dass ich momentan gar keinen (Sexual-)Partner habe, so wirkte es wohl nicht dringlich genug.

Störungen der Sexualfunktion würden von Ärz­t*in­nen und Apo­the­ke­r*in­nen nicht genug ernst genommen, sagt auch der Arzneimittelexperte Wolfgang Becker-Brüser im ZDF. Dabei werde durch das fehlende Empfinden (wenn es denn vorher anders war) die Lebensqualität stark beeinträchtigt, so Becker-Brüser.

Auslöser für eine sexuelle Dysfunktion muss gar nicht immer die Depression sein. Auch die Medikamente dagegen können dazu führen, dass man keine Lust mehr empfindet. Tendenziell finde ich es nicht dramatisch, mal eine Weile keinen Sex zu haben. Doch spätestens wenn das fehlende Lustempfinden Probleme verursacht, egal ob in Beziehungen oder bei der Partner*innensuche, wünsche ich mir wenigstens ein offenes Ohr seitens der Fachkräfte. Und sei es, dass sie zugeben, keine Ahnung zu haben, und Betroffene an entsprechende Ex­per­t*in­nen vermitteln.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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7 Kommentare

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  • In bestimmten Fällen können die sexuellen Dysfunktionen und andere unerwünschte emotionale Nebenwirkungen (z.B. Anhedonie, emotionale Abgestumpftheit) auch über die Einnahme des Antidepressivums hinaus permanent bestehen bleiben.



    Das Phänomen nennt sich Post SSRI Sexual Dysfunction und ist noch nicht gut erforscht. Die Symptome schränken die Lebensqualität der Betroffenen so massiv ein, dass es regelmäßig zu Suiziden kommt. Bis heute gibt es keine Behandlung dagegen. Es muss dringend mehr Forschung erfolgen und über diese Risiken VOR Einnahme des Medikaments aufgeklärt werden, damit Patient*innen für sich persönlich abwägen können, ob sie das Medikament nehmen möchten.



    Ich (26) bin persönlich von PSSD betroffen und es hat meine Lebenspläne zerplatzen lassen.

  • "So wirkte eswohl nicht dringlich genug"

    Aus meiner Erfahrung mit Psychatern und Therapeuten glaube ich, dass sie ein gewisses Repertoire haben, das im Studium gelehrt wird. Damit kann man vielleicht 80% erfolgreich therapieren. Danach hieße es vermutlich Eigeninitiative zeigen, möglicherweise etwas Neues versuchen. Das macht aber kaum ein Arzt. (Genaugenommen kenne ich bisher noch keinen einzigen, nur eine Ergotherapeutin, die sich diese Mühe macht).

    Es ist egal, wie dringlich ich etwas schildere, ob ich heule oder einfach nur noch trostlos verzweifelt bin: Beim Arzt werde ich nur verwaltet. Der/die hört zu, und fragt dann, was ich an neuen Medikamenten brauche. Lösungsversuche gibt es keine.

    Ich laste das nicht mal dem Arzt/der Ärztin persönlich an. Wie auch bei 5 Minuten pro Patient...

  • Wichtig zu erwähnen ist, dass insbesondere Antidepressiva bei vielen Patienten/innen zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Wie auch die Autorin schildert, ist es oft sehr schwierig, darüber mit Ärzten oder Therapeutinnen zu sprechen. Wenn eine solche Störung erstmals unter Medikamenteneinnahme auftritt, sollte man sich aber nicht einreden lassen, dass das die Depression ist, vor allem wenn die durch das Medikament gleichzeitig besser wird.

    In seltenen Fällen kann es leider auch passieren, dass Antidepressiva zu dauerhaften sexuellen Funktionsstörungen führen, die auch nach dem Absetzen nicht besser werden. Typisch sind neben fehlender Lust u.a. Taubheitsgefühle. Das nennt man dann Post-SSRI Sexual Dysfunction. Mehr Infos dazu gibt es unter www.pssd-hilfe.de

    • @PSSD Hilfe Deutschland:

      „Seltenen Fällen“ das ist doch lächerlich, PSSD ist überhaupt nicht selten.



      Nur nicht jeder hat so einen extremen Fall das er merkt das etwas nicht mit ihm stimmt, die meisten kriegen gesagt es seien Depressionen oder Angst..

      • @Lucas Schmidt:

        Die dauerhaften Störungen sind tatsächlich selten. Das ist einerseits gut, denn es ist sehr belastend, darunter zu leiden. Andererseits ist es schlecht, da auch Ärzte, die von der Problematik wissen, kaum mit dem Problem in Kontakt kommen und entsprechend wenig Erfahrung im Umgang damit haben.

        Als Verein haben wir einen guten Überblick und können mit Sicherheit sagen, dass das Phänomen eher selten ist. Das bestätigen auch die Reaktionen auf Berichte in Medien. Es ist also nicht „lächerlich“, von seltenen Fällen zu sprechen. Trotzdem muss man natürlich von einer Dunkelziffer ausgehen und sicherlich treten sexuelle Funktionsstörungen häufiger auf, als man lange dachte.

  • Gibt auch noch andere Auswüchse als die oben beschriebene Variante. Beispielsweise sagt Unten "Mach mal Betrieb hier!" aber Oben sagt "Geht nicht, bin mit der Hölle beschäftigt". Ohne Partner gibt man (oder die Batterie) halt irgendwann auf, mit Partner kann das aber ziemlich frustrierend sein - auch (und manchmal besonders) für den Partner, wenn diese*r sein/ihr bestes gibt und trotzdem nichts draus wird. Da hilft nur drüber Reden und sich klar werden, dass manchmal (nur) der Weg das Ziel ist.

  • Sexuelle Dysfunktionen und sexuelles Desinteresse können sowohl Folge der Depression wie der dagegen wirkenden Medikamente sein. Aber man ist ja schließlich krank. Wichtig ist es, darüber Bescheid zu wissen und bei Bedarf zu reden. Nicht uninteressant ist ja auch die Frage, ob die bisherige Sexualität nicht Teil des Problems ist oder die tieferen Probleme bisher übertüncht hat. Andere Formen der Nähe oder eine zeitweilige Abkopplung von Nähe und Sexualität sind vielleicht nicht nur ein neues Erlebnis, sondern begründen möglicherweise auch mehr Vertrauen.