Hochschulpolizei in Griechenland: Proteste gegen Cops auf dem Campus
Polizisten durften in Griechenland bis 2019 keine Unis betreten. Jetzt will die Regierung sogar eine Campuspolizei schaffen.
Die beiden regt ein Thema ganz besonders auf: die Hochschulpolizei, die nach den Plänen der griechischen Regierung bald auch an ihrer Uni, der Nationalen und Kapodistria-Universität Athen, patrouillieren wird. Iosif und Dimitra gehören linken Studierendenorganisationen an und haben in den vergangenen Monaten immer wieder gegen Polizeipräsenz an der Uni protestiert. Seit Bekanntwerden der Pläne vor mehr als einem Jahr gehen landesweit regelmäßig Tausende Studierende auf die Straße.
Die auf Hochschulen spezialisierten Polizeieinheiten sollen zum Schutz der Studierenden und des Lehrpersonals eingesetzt werden. So rechtfertigt zumindest die Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis die Pläne. Der 22-jährige Iosif glaubt nicht daran. Die Polizei, dein Freund und Helfer? „Nicht in Griechenland“, meint er. „Das sage ich nicht einfach so, das habe ich schon oft erlebt.“
Regelmäßig werde er von der Polizei angehalten, nach seinem Ausweis gefragt und als illegaler Einwanderer beschimpft, weil sein Hautton etwas dunkler sei. Und wenn die Polizisten bei der Durchsuchung seines Rucksacks auch noch linke Literatur finden, bekomme er spöttische Kommentare zu hören. „Wie soll ich mich mit solchen Erfahrungen durch eine Hochschulpolizei sicher fühlen?“
Regierung will mehr Überwachung an Unis
Seine Freundin Dimitra sagt, als junge Frau habe sie keine vergleichbaren Erfahrungen gemacht. Doch auch sie ist überzeugt, dass die Regierung mit der Hochschulpolizei weiterreichende Ziele verfolgt. Das zeige das Gesamtpaket, das vergangenes Jahr durchs Parlament ging und nun umgesetzt wird: „Das Gesetz sieht nicht nur Polizisten an den Unis vor, sondern auch Überwachungskameras, Einlasskontrollen und Drehkreuze“, erklärt die 23-Jährige.
„Ich glaube, sie tun das, um uns Studierende einzuschüchtern, sodass wir uns nicht mehr gegen die Regierungspolitik auflehnen.“ Schließlich seien die Studierenden in Griechenland eine der politisch aktivsten Bevölkerungsgruppen. „Genau das wollen sie bekämpfen“, meint Dimitra.
Erbe der Studentenrevolte von 1973
Dieser Kampfgeist ist ein Erbe der großen griechischen Studierendenproteste der 1970er Jahre, mit dem die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia nur bedingt umgehen kann. Als unter der griechischen Militärjunta die Bevölkerung unterdrückt wurde, lehnten sich die Studierenden – beeinflusst von der weltweiten Studentenbewegung dieser Zeit – gegen die Diktatur auf.
Höhepunkt der Proteste war die Besetzung des Athener Polytechnio, der Polytechnischen Hochschule im Herbst 1973. In der Nacht zum 17. November durchbrach ein Panzer das Eingangstor zur Hochschule, die Proteste wurden blutig niedergeschlagen, 24 Menschen wurden von Scharfschützen rund um das Hochschulgebäude getötet.
Die sozialistische Pasok-Regierung erklärte 1981 den Tag der „Revolte des Polytechnio“ zum Nationalfeiertag. Das Datum ist auch heute noch vor allem für linke und sozialistische Parteien sowie Gewerkschaften ein Anlass für Demonstrationen. Konservative Parteien hingegen konnten sich nie mit dem Feiertag anfreunden. Als im vergangenen November zwei Abgeordnete der Nea Dimokratia ausnahmsweise an der traditionellen Kranzniederlegung teilnehmen wollten, wurden sie von linken Gruppierungen daran gehindert.
Übergriffe gegen konservative Studierende?
Das sei nur ein Beispiel für die Situation an den griechischen Hochschulen, beklagen Vertreter der DAP-NDFK, der Jugendpartei der Nea Dimokratia. Immer wieder würden Studierende, die der konservativen Regierungspartei nahestehen, von linksradikalen oder autonomen Gruppierungen angegriffen und sogar geschlagen, sagt die Sprecherin der Organisation, Katerina Koronia. So ein Angriff habe erst vor Kurzem an der Juristischen Fakultät der Universität Athen stattgefunden. Eine Studentin der DAP-NDFK habe deshalb ins Krankenhaus gebracht werden müssen.
Die griechische Bildungsministerin Niki Kerameos verspricht, solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern, ebenso wie den Drogenhandel und den Vandalismus. Dafür werde die Hochschulpolizei sorgen, so Kerameos. Zusammen mit anderen Maßnahmen – etwa der Abschaffung des Hochschulasyls – würden die Hochschulen wieder sicherer.
Tatsächlich durfte die griechische Polizei bis 2019 den Campus einer Universität nur unter sehr strengen Bedingungen betreten: wenn eine schwere Straftat im Gange war und der Hochschulrektor sein Einverständnis gegeben hatte. Wegen der Studierendenrevolte von 1973 und ihres blutigen Ausgangs wurde diese Regelung lange Zeit nicht infrage gestellt.
Unis als Zufluchtsorte von Randalierern
Davon profitierten auch Gruppen, die nichts mit dem Hochschulleben zu tun hatten, etwa Randalierende, die sich nach Straßenschlachten mit der Polizei in den Hochschulgebäuden der Athener Innenstadt verbarrikadierten, so der Festnahme entkamen und oft die Einrichtung der Hochschulen beschädigten.
Als die Nea Dimokratia 2019 an die Macht kam, schaffte sie dieses sogenannte Hochschulasyl umgehend ab. Dass die Universitäten dadurch sicherer geworden seien, wie die Regierung versprochen hat, bezweifeln jedoch viele. Erst kürzlich wurden durch einen Polizeieinsatz an der Aristoteles-Universität Thessaloniki mehrere Studierende verletzt.
Die neuen Hochschulpolizisten hingegen seien „eine Spezialeinheit nur für die Unis, mit einer speziellen Ausbildung und ohne Schusswaffen, aber mit allen anderen Schutzmaßnahmen, die ein Polizist bei sich trägt“, sagt die Bildungsministerin Kerameos. Die ersten 400 hätten ihre viermonatige Ausbildung schon absolviert und seien nun einsatzbereit.
Verwaltungsgericht gibt grünes Licht für Regierungspläne
Die Oppositionsparteien Syriza (Linke), die Sozialisten (Pasok/Kinal) und die Kommunistische Partei (KKE) hatten im Parlament gegen die Hochschulpolizei gestimmt und diese als verfassungswidrig eingestuft. Das oberste griechische Verwaltungsgericht gab nun jedoch grünes Licht für die Pläne. Mitte Mai lehnte es zwei Sammelklagen gegen die Hochschulpolizei ab. In der Begründung heißt es, dass die Polizei an den Unis nicht gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Selbstverwaltung der Universitäten verstößt.
Geklagt hatten Hochschulprofessorinnen und -professoren, Verwaltungspersonal und Studierende. Unter ihnen auch der Politikprofessor Dimitris Christopoulos, der an der Athener Pandeion-Universität lehrt. Das Urteil wundert Christopoulos nicht: „Wie bei allen gesellschaftlich besonders heiklen Themen basiert diese Entscheidung der obersten Richter vor allem auf politischen und weniger auf juristischen Argumenten.“ Immerhin hätten sich aber sechs Richter distanziert und die Verletzung des Selbstverwaltungsprinzips durch die Hochschulpolizei anerkannt.
Ideologische Gründe für Einrichtung der Campuspolizei
Der Politikprofessor sieht hinter dem Vorhaben vor allem ideologische Gründe. Die Regierung übertreibe bewusst mit kleineren Kriminalitätsproblemen an einigen Hochschulen, um die Notwendigkeit einer Hochschulpolizei begründen zu können. Auch die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen politischen Gruppen seien eher eine Ausnahme und würden eine permanente Präsenz von Polizistinnen und Polizisten an den Hochschulen auf keinen Fall rechtfertigen.
Die griechische Regierung hält trotzdem an ihrem Vorhaben fest. Schon im Juni sollen die ersten Einheiten auf dem Campus der Aristoteles-Universität Thessaloniki eingesetzt werden und später auch an drei Hochschulen in Athen. Eine davon ist die Nationale und Kapodistria-Universität, an der Iosif und Dimitra studieren. Sie wollen sich damit nicht abfinden und werden weiterhin an den Protesten gegen die Hochschulpolizei teilnehmen, sagen sie. Die beiden hoffen, dass die Regierung einen Rückzieher macht und die Hochschulpolizei so schnell wie möglich wieder abschafft.
Wie wenig realistisch das ist, zeigt die Reaktion von Bildungsministerin Niki Kerameos auf das Urteil des obersten Gerichts: „Wir machen dynamisch weiter mit unserer Politik für ein modernes, sicheres Wissens-, Lehr- und Forschungsumfeld, das unsere Hochschulen verdienen.“
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