Rede an die Nation: Dem Erpresser nicht nachgeben
Kanzler Olaf Scholz erklärt seinen Kurs. Keinesfalls Kriegspartei werden, aber: Ja zu schweren Waffen. Der Stimmungstrend ist dagegen.
Z wei Tage, ein Ereignis, zwei Deutungen. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg, Nazi-Deutschland hatte bedingunglos kapituliert vor den Streitkräften der Alliierten. In Deutschland feiert man die Kapitulation als Tag der Befreiung. Russland feiert den Tag am 9. Mai als Tag des Sieges. Mit Spannung wird erwartet, welche Worte der russische Präsident Wladimir Putin an diesem Montag findet und mit Sorge, ja Furcht beobachtet, welche Taten wohl folgen.
Russland hat den 9. Mai als Tag des Sieges für sich gekapert, obwohl es die Sowjetarmee war, die die Wehrmacht ab 1942 unter riesigen Verlusten zurückdrängte, eine Armee, in der neben Russ:innen und anderen Völkern auch 6 bis 7 Millionen Ukrainer:innen kämpften. So wie Russland ja auch ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine heute als Teile des eigenen Herrschaftsgebietes wieder für sich reklamieren möchte.
Den Krieg gegen die Ukraine deutet Putin nun als Fortsetzung des Sieges über Nazi-Deutschland um – auch hier geht es ja angeblich um Denazifizierung. Geschichtsfälschung, die sich gerade verselbständigt und ins Absurde gesteigert wird, bis hin zu der Behauptung des russischen Außenministers, Hitler habe jüdische Wurzeln gehabt. Dafür immerhin musste sich Wladimir Putin bei Israel entschuldigen.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat seine eigenen Worte gefunden am Tag der Befreiung. Er hat die Geschichtsklitterung zurechtgerückt, hat noch einmal deutlich gemacht, dass Russen und Ukrainer gemeinsam den Nationalsozialismus niedergerungen haben. Hat erneut betont, dass Deutschland sich an beiden Nationen schuldig gemacht habe.
Nur Putin ist der Feind
Das ist eigentlich alles längst bekannt und selbstverständlich. Doch was bis gestern selbstverständlich schien, ist heute diskutabel. Scholz weist damit jene Kritiker:innen, vor allem aus dem linken Spektrum, in die Schranken, die meinen, Deutschland dürfe keine Waffen an die Ukrainer:innen liefern, denn aus historischer Verantwortung dürften nie wieder deutsche Waffen gegen russische Soldat:innen gerichtet werden.
Zum anderen erteilt er jenen eine Absage, die finden, die deutsche Politik sei immer noch viel zu russophil und aktuell seien alle Russ:innen Feinde der Ukrainer:innen. Scholz behauptet stattdessen unverdrossen: Putin wolle die Ukraine unterwerfen, es sei Putins Angriffskrieg. Natürlich wird man im Kanzleramt wissen, dass Putin erhebliche Unterstützung in der russischen Bevölkerung genießt.
Der Kreml muss keine Statisten anwerben und bezahlen, damit genügend Menschen der Militärparade am 9. Mai auf der Twerskaja zujubeln. Dennoch verzichtet Scholz darauf, Russland als Nation an den Pranger zu stellen. Auch das ist eine Lehre aus der Geschichte. Schließlich haben es die Nachbar:innen auch den Deutschen verziehen, dass sie mehrheitlich die NSDAP gewählt und Hitler zugejubelt haben.
Die Geschichte lehrt uns auch: Mit Diplomatie allein lassen sich Diktatoren nicht abschrecken. Deutschland unterstützt die Ukraine deshalb mit Waffen – aus historischer Verantwortung, wie Scholz betont. Der Kanzler hat die Gelegenheit genutzt, seinen Kurs erneut zu erläutern, der da lautet: Umsicht (eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten), Rücksicht (auf unsere Interessen), Vorsicht (bloß nicht Kriegspartei werden) und keine Alleingänge.
Weniger Zustimmung für schwere Waffen
Vier Prinzipien, die viele Menschen umtreiben. Die Zustimmung zur Lieferung von Panzern und ähnlich durchschlagkräftigen Waffen ist seit Kriegsbeginn gesunken, die Bevölkerung ist gespalten. Gespalten ist sie auch im Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland. Im Osten Deutschlands sind diese stark umstritten, jede zweite findet sie falsch. Das ist o.k., denn Furcht ist kein Makel, wie manche meinen, sondern zutiefst menschlich.
Es ist deshalb richtig, dass Scholz nun verstärkt die Öffentlichkeit sucht und seine Politik erläutert – auch wenn die Erklärung diesmal zeitlich wie zufällig die Nachrichten über ein historisch schlechtes Landtagswahlergebnis der Sozialdemokraten überlagert. Ein Tipp: Vielleicht sollte sich Scholz bei der nächsten Regierungserklärung von einer Gruppe Rufer:innen flankieren lassen, wie am 1. Mai auf der DGB-Kundgebung in Düsseldorf.
Die belebende Wirkung eines solchen Schreichors auf den Kanzler war erstaunlich. Fehlenden Mut hatte ihm nach diesem Auftritt jedenfalls niemand attestiert.
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