piwik no script img

Debatte um TriageEin unbegabter Minister

Er galt mal als Gesundheitsminister der Herzen. Aber mit seiner Politik bleibt Minister Karl Lauterbach bisher erfolglos.

Gerät zunehmend in die Kritik: Gesundheitsminister Karl Lauterbach Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Karl Lauterbach ist Experte, wenn es um gesundheitspolitische Fragen geht. Als Fachpolitiker schien er vielen der Richtige, um das Gesundheitsministerium in der Pandemie zu leiten. Sie freuten sich, als er am 8. Dezember Gesundheitsminister wurde. Zuvor tingelte er monatelang durch Talkshows, erklärte die Pandemie und kritisierte die Coronapolitik seines Vorgängers Jens Spahn.

Dabei nannte er Zahlen, verwies auf Studien und zitierte sehr geschätzte Kolleg*innen. Aber Loblieder auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach – die singt gerade niemand. Für die einen ist er weiterhin der übertreibende Mahner, die anderen hat der Fachpolitiker auf dem Ministerposten enttäuscht. Warum? Das war diese Woche wieder bei der Triage zu beobachten.

Triage ist ein heikles Thema: Was sollen Me­di­zi­ne­r*in­nen tun, wenn sie mehr Pa­ti­en­t*in­nen haben als Kapazitäten, um sie zu behandeln? Im Zweifel entscheiden die Ärz­t*in­nen dabei über Leben und Tod. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im vergangenen Dezember, um solche Situationen zu regeln, müsse die Bundesregierung ein Gesetz erlassen.

Neun Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen hatten geklagt, weil sie befürchteten, Me­di­zi­ne­r*in­nen würden sie bei Triage benachteiligen. Sie bekamen vom Gericht recht, das gelte es zu verhindern. Nun arbeitet Karl Lauterbach an einem solchen Gesetz. Aber was über den ersten Referentenentwurf öffentlich bekannt wurde, führte zu Kritik und Entsetzen.

Diskussion über Ex-Post-Triage

Für das meiste Aufsehen sorgte die vorgesehene Ex-Post-Triage: Wären die Behandlungsmöglichkeiten knapp, hätten demnach drei Fach­ärz­t*in­nen gemeinsam die Therapie eines Menschen abbrechen können, um eine andere Person mit höheren Überlebenschancen zu versorgen. Therapie abbrechen hieße unter Umständen: sterben lassen.

Corinna Rüffer (Grüne) kritisierte, das wäre juristisch vermutlich als Totschlag zu werten. Umso erstaunlicher, dass wohl das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) auf die Ex-Post-Triage im Gesetz bestand. Ein kleines Déjà-vu: Die FDP prägt die Gesetze des Gesundheitsministeriums von Karl Lauterbach. Das irritierte im März bereits, als Lauterbach das neue Infektionsschutzgesetz vorstellte.

Doch mit der Ex-Post-Triage nicht genug: Unter anderem das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert, sie sei nicht das einzige Manko des Entwurfs. Die dort genannten Kriterien würden Menschen mit Behinderung nicht schützen, wie vom Verfassungsgericht gefordert. Einige Verbände und Betroffene argumentieren, das Gesetz sei sowieso beim Gesundheitsministerium falsch aufgehoben, wenn es um den Schutz von Menschen mit Behinderung ginge.

Schwache Kommunikation

Was Karl Lauterbach dann am Montag tat, war eigentlich nicht überraschend, betrachtet man seinen bisherigen Stil als Minister: Er zog die Ex-Post-Triage als Vorschlag zurück und behauptete das Gegenteil. Sie sei „ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten.“ Deshalb werde es sie nicht geben. Überraschend war lediglich, dass er nicht bis zur nächsten Talkshow wartete, um die Kehrtwende anzukündigen. Kaum einen Monat zuvor hatte er noch genau das getan, als sein Vorschlag auf Granit stieß, die Quarantäne für Infizierte durch eine freiwillige Isolation zu ersetzen.

Eins der großen Probleme von Karl Lauterbach scheint die Kommunikation seiner Politik zu sein. Dabei müsste er die Prozesse gut kennen: Seit 2005 sitzt er im Bundestag und schon lange tritt er in verschiedenen Rollen im Fernsehen auf. Dabei präsentierte er sich als der zerzauste Professor und Politiker mit der postmodischen Fliege um den Hals. Ein bisschen komisch, aber auch schlagfertig und selbstironisch.

Vor der Pandemie spielte er hin und wieder bei der „Heute Show“ im ZDF mit. Seit Corona war sein Wissen als Epidemiologe und langjähriger Gesundheitspolitiker gefragt. 2020 und 2021 war er laut Meedia der häufigste Gast bei politischen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender. Als Lauterbach im Verhörtalk „Chez Krömer“ beim rbb zu Gast war, witzelte Kurt Krömer: „Sie sind öfter bei Markus Lanz als er selbst.“

Doch leider ist die aktuelle Situation nicht zum Lachen. Weiterhin sterben Menschen an Corona. Viele eigentlich Genesene kämpfen mit Long Covid – unter anderem also mit unerklärlichen Schmerzen, maßloser Erschöpfung oder kognitiven Störungen. Bisher kämpfen sie ohne erfolgversprechende Therapien. Wie viele davon genau betroffen sind, ist unklar. Es gibt wenige Studien, aber zurzeit lässt sich davon ausgehen, dass etwa 5 Prozent der Geimpften und etwa 10 Prozent der Ungeimpften noch nach mehr als acht Wochen an Symptomen ­leiden.

Viele Ideen, kaum Umsetzung

Ein Teil davon kann nicht mehr arbeiten. Ihnen stellt sich aber nicht nur die Frage: Wo kommt das verdammte Geld her? Für sie ist unverständlich, dass viele Ärz­t*in­nen Long Covid offenbar nicht ernst nehmen, nicht diagnostizieren oder regelrecht falsch behandeln. Das geht nicht nur der früheren taz- und heutigen Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski so. Online-Selbsthilfegruppen sind voll mit Tausenden von erkrankten Menschen aus Deutschland, die sich ignoriert fühlen – auch von Karl Lauterbach.

Dabei waren die Erwartungen an ihn hoch, als er Gesundheitsminister wurde. Er schien genau zu wissen, was Stand der Forschung ist und welches Risiko Long Covid darstellt. Immer wieder nannte er die Langzeitfolgen als Argument für eine Impfung. Nur wer sich nicht mit Corona infiziert, ist vor Long Covid sicher, und Geimpfte haben laut der aktuellen Studienlage ein geringeres Risiko, anhaltende Symptome zu entwickeln. Unter Lauterbachs Schirmherrschaft entstand zudem der „Ärzte und Ärz­tin­nen­ver­band Long Covid“.

Doch auf dessen Website stehen immer noch keine eigenen Informationsmaterialien. Und zeigte Lauterbach zwar Ideen, setzte sie aber nicht um. Von einer Impfpflicht konnte er die Regierung nicht überzeugen. Das sei „insgesamt eine enttäuschende Erfahrung gewesen“, sagte er am Dienstagabend – na klar – in einer Talkshow der ARD. Enttäuschend ist auch die Erfahrung, einen so unklaren Kurs bei einem Fachpolitiker zu erleben. Vielleicht können andere Ex­per­t*in­nen überzeugen, wenn sie regieren dürfen. Aber seine Amtszeit ist nicht vorbei – noch kann Karl Lauterbach als Minister überraschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Lauterbach hat mit seiner Idee, die Quarantänepflicht aufzuheben, m.E.,für genug Überraschung gesorgt!

    Wie kann man als Fachmann nur auf derart widersinnige Gedanken kommen, präsentiert in aller Öffentlichkeit ?!

    Allein das hat ihm den Glaubwürdigkeit-Bonus in meinen Augen komplett entzogen.



    Sowas hätte selbst Jens Spahn nicht gebracht!

    • @93851 (Profil gelöscht):

      Durch seine Volte noch am selben Abend hat er in der Tat jede Glaubwürdigkeit zerstört.

      Der Vorgang, dass eine mit Beraterstab aus Experten getroffene Entscheidung aufgrund komplett erwartbarer Presse- und Twitter-Reaktionen im Alleingang über einen Talkshow-Auftritt rückgängig gemacht wurde, war vorher komplett unvorstellbar.

      Dass ein Minister nach einer solchen Aktion noch weiter im Amt ist, wäre zumindest in der "Vor-Scheuer-Ära" kaum möglich gewesen.

  • Ein Politiker der sich begründet widerspricht ist mir lieber als ein geradliniger, der auf Kosten neuer Einsichten nichts anders macht.



    Warum soll ein Journalist es nicht als seine Aufgabe ansehen , das Gemeinte , wenn es gut ist für uns, zu übersetzen?

    • 9G
      93851 (Profil gelöscht)
      @Wolfgang Hanspach:

      "...sich begründet widerspricht..."?

      Ach so, wohl getreu dem altbewährten Motto à la Adenauer, den sein "Geschwätz von gestern" , genau so "begründet" erst gar nicht mehr interessierte... !.

      In beiden — "Begründungen" — sehe ich keinen Unterschied, denn:

      zuvor Nachdenken über etwas, bevor es ungehobelt unter's Volk gejubelt wurde, hat sich nicht nur in diesen beiden Fällen wohl schier erübrigt.

      Sie vergessen wohl, was Politiker unverhohlen an ständig steigenden Diäten inkl. höchst erbaulicher Privilegien kassieren. In der freien Wirtschaft flöge man für solchen Unsinn "vierzehnkantig aus dem Paradies!"

      Dass gerade ein K. Lauterbach, bzgl. Viren wohl unzweideutig vom Fach, sich Äußerungen erlaubt, die qua seines Amtes jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung entbehren, sollte m.E. ein Grund sein, ihn seines Amtes sofort zu entheben.

      Was Politiker sich qua Beamtenstatus leisten können, kann man für meine Begriffe nicht mehr als "demokratiefreu ndlich" bezeichnen, wenn Gesundheit, Staatsfinanzen (wohlbemerkt deutsche Steuergelder!) auf dem Spiel stehen:



      Beispiele für haarsträubende Misswirtschaften (Spahn, Scheuer etc.) gibt es ja wohl bereits genug.

      Und den nur allzu bekannten Ausspruch, den Frau Merkel vollkommen eigenmächtig anfangs der Flüchtlingskrise heraus posaunte, werden sich noch in Jahrzehnten gerne Menschen auf die Fahne schreiben, die Deutschland "als Paradies" zum Leben aufsuchen.



      Integration? Schauen Sie sich mal um...

      Wie "schön", dass auch diese Politikerin nun fein raus ist und für nichts mehr geradezustehen hat, oder?!



      Von HartzIV jedenfalls — Lichtjahre entfernt.

      "....wenn es für uns gut ist..." ?!

      Dass ich nicht lache.....

      Ich(!) entscheide, was für mich gut ist.



      Wer diese Entscheidung aus der Hand gibt, braucht m.E. schon gar nicht mehr denken ...;-))

  • Er galt nie als Gesundheitsminister der Herzen. Das hat nur die Presse generiert um Schlagzeilen zu schaffen, damit der Werbe Rubel rollt.

    Jemand der am gleichen Tag, in 2 verschiedenen Talkshows völlig unterschiedliche Positionen vertritt ist einfach nur ein Schwaetzer.

    Aber die Fliege find ich stylisch Karl ;)

    • @Beowulf:

      Fliegen sind cool!

      "Gesundheitsminister der Herzen" stimmt schon: Satte Umfragemehrheiten wollten ihn haben, und insbesondere viele Ärzt*innen sprachen sich für ihn aus, auf ergreifende Weise.

      Der Gute Karl, ich stehe weiter hinter ihm. Aber ob es einem allein gelingen kann, Welle 6 zu verhindern, da seh ich leider schwarz. Die gesamte Gesellschaft ist zu doof, die Inzidenz so weit zu drücken, dass nicht mehr täglich hunderte Menschen grausam sterben müssen, im künstlichen Koma erstickt. Das werd ich euch nicht vergessen, Landsleute!

      Und das Scheitern der Impfpflicht laste ich allein der CDU an und ihren falschen Maßstäben, da all die eigentlichen Befürworter weder kooperiert, noch verantwortlich abgestimmt haben.

      • @What would The Doctor do?:

        Der Fehler liegt in der Tat bei der CDU. Aber er liegt in der Frühphase und dem gebetsmühlenartigen Wiederholen der Phrase "Eine Impfpflicht wird es nicht geben."

        Eine Impfpflicht wäre im letzten Sommer geboten gewesen, ab dem Zeitpunkt, wo mehr Impfstoff als Nachfrage vorhanden war. Da hätte Sie extrem viel Gutes bewirken können.

        Jetzt 2-3 große Wellen später und bei einer Variante, die nicht mehr als gesundheitssystemkritisch eingestuft wird, ist das, was durch eine Impfpflicht noch erreichbar ist, eben deutlich geringer. Eine Impfpflicht im letzten Sommer nicht, aber jetzt doch einzuführen, ist genau genommen ziemlich widersinnig.

        Das sagt zwar nicht aus, dass es jetzt sinnlos wäre, aber die Unklarheit, was denn nun da überhaupt in Richtung Herbst verimpft werden sollte, erschwert eine Entscheidung weiter. Eine merkliche Impfkampagne mit einem reinen Omikron-Impfstoff beispielsweise könnte sich sogar komplett negativ auswirken, da die Verbreitung von Delta wieder gegenüber Omikron bevorteilt würde.

        So einfach, wie Sie das darstellen, war die Entscheidung leider nicht. Im letzten Sommer wäre sie dagegen medizinisch gesehen ziemlich eindeutig gewesen, aber - und da haben sie recht - das hat hauptamtlich die CDU bzw. Spahn auf dem Gewissen.

        • @Co-Bold:

          Omikron ist gefährlich genug, bei vielleicht 5 – 10 % Long-Covid-Fällen. Einen "reinen" Omikron-Impfstoff wird es nicht geben, der vor "herkömmlichen" Varianten nicht mehr schützt. Man wird mit dem impfen, was wir dann haben.

          Ich bereue es heute, dass ich mich kritisch zu einer Impfpflicht äußerte bei Impfstoffen, die den R-Wert nicht allein unter eins drücken können, da so kein Herdenschutz möglich ist. Es könnte zumindest helfen, angesichts des erschreckenden Ausmaßes an Unvernunft in Eigen"verantwortung". Eine Parlamentsmehrheit wollte das, bekam aber keine Einigung zustande – und es lag nicht an den Regierungsfraktionen. Die Blockpartei der Verantwortungslosigkeit machte sich einen Spaß daraus, die Regierung vorzuführen.

          Die verfügbaren Impfstoffe sind leider noch viel zu schlecht, um Übertragungen zu unterbinden, insbesondere, weil sie die oberen Atemwege mangelhaft immunisieren. Sieht aber nicht so aus, als ob irgendjemand daran noch etwas ändern wollte.

          Dazu kommt typisch deutsch eine komplett desaströse Datenerhebung und Studienlage. (häufigste Übertragungswege? Bevölkerungsstichproben? Antigentests? und miserable Schnelltests)

          • @What would The Doctor do?:

            Bei Moderna weiß ich, dass ein gemischter Impfstoff entwickelt wird, der gegen die Ursprungsvarianten und Omikron helfen soll.

            Bei BionTech habe ich nur vernommen, dass an einem Omikron-Impfstoff gearbeitet wird, aber nicht dass auch gegen Delta wirksame mRNA mit enthalten sein soll.

            Ein auf Omikron optimierter Impfstoff wäre in meinen Augen aber dann klar abzulehnen, wenn er die Omikronverbreitung proportional stärker eindämmt als Delta. Denn Delta war ein viel größeres Problem, dass durch die intensivere Verbreitung in der Lunge und über diese als Einfallstor in den Körper zu im Durchschnitt deutlich schwereren Verläufen und logischerweise auch zu mehr Langzeitfolgen geführt hat.

            Dass Delta dauerhaft keine Rolle mehr spielt ist bis jetzt noch sehr fraglich. Aktiv zu seiner Rückkehr beizutragen wäre geradezu fatal.

          • @What would The Doctor do?:

            Dass sich jeder mit Omikron infizieren wird, ist nunmal nicht zu verhindern. Wir haben derzeit einfach keine Impfstofftechnologie, die ein Atemwegsvirus in der Art von Omikron niedrig halten kann und wie sie schon schreiben, ist diese auch nicht akut absehbar.

            Bei 5-10% Long-Covid-Fällen unter den Infizierten müsste man von etwa 2 Millionen Fällen allein durch die Omikron-Wellen ausgehen. Das halte ich doch für etwas übertrieben, es sei denn man würde mit der ursprünglichen Definition arbeiten nach der verbleibende Auffälligkeiten bereits 4 Wochen nach Infektion mit aufgenommen werden.

            Der größte Hebel liegt mittlerweile in der Erforschung der Vorbeugung und Behandlung von Post-Covid. ME/CFS - in etwa die Hälfte der langfristigen Nachwirkungen - ist z.B. nicht neu, aber erst durch Corona als eine Folge von Atemwegserkrankungen wirklich anerkannt und wird nicht mehr rein als psychische Störung abgetan.

            www.deutschlandfun...e-syndrom-100.html