Krimi-Autor Martin Walker über Russland: „Wir hatten große Hoffnungen“
Bestsellerautor Martin Walker im taz-Gespräch über seine Liebe zum Périgord, russische Spione und seine Zeit als Korrespondent in Moskau.
taz am wochenende: Herr Walker, Sie kommen gerade aus …?
Martin Walker: … Frankreich. Normalerweise lebe ich etwa fünf Monate im Périgord. Die meiste andere Zeit in den Vereinigten Staaten, in Washington. Dort war ich Auslandskorrespondent für den britischen Guardian. Das war nach meiner Zeit als Journalist in Moskau.
Gerade erscheint mit „Tête-à-Tête“ der vierzehnte Kriminalroman mit dem Ermittler Bruno, Chef de police. Im Deutschsprachigen haben Sie ein Millionenpublikum. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeheimnis?
Nun, für mich ist das Leben in dem ländlichen Périgord sehr wichtig. Man sieht da Dinge, die man woanders weniger deutlich erkennt oder leicht übersieht. Und auch hier hat vieles mit internationalen Entwicklungen zu tun.
Aber es scheint doch ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein Schotte, der international viel unterwegs ist, den Deutschen französische Lebensart über Kriminalromane näherbringt?
geb. 1947 in Schottland. Schriftsteller, Historiker, politischer Journalist. Lebt in Washington und im Périgord in Frankreich. Berichtete für den britischen Guardian u. a. aus Moskau. Seine Bücher erscheinen im Diogenes Verlag, Zürich. Aktuell ist er mit seinem Kriminalroman „Tête-à-Tête. Der vierzehnte Fall für Bruno, Chef de police“ (394 Seiten, 25 Euro) auf Lesereise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Schon meine Mutter sagte mir, Martin, die Welt ist groß, das Leben kurz, Du musst reisen und so viel wie möglich sehen. Ich bin mit meiner Frau Julia um die halbe Welt gereist. Das Périgord, der Südwesten Frankreichs, beinhaltet vieles von dem, was ich schätze. Mich faszinieren auch die prähistorischen Funde. Ich laufe aus meinem Haus, gehe in eine Richtung und stoße nach kurzer Zeit auf eine der ältesten Grabstätten der Welt.
Archäologie und historische Fundorte spielen auch immer wieder eine Rolle in Ihren Kriminalromanen.
Man fand hier zum Beispiel die Überreste von Menschen in einem Grab, die vor langer Zeit nach einem würdevoll erscheinenden Ritual bestattet wurden. Es gibt im Périgord diese Höhlen mit wunderschönen Malereien, sie sind 20.000 Jahre alt. Die bekanntesten sind die von Lascaux, mit ihren Felsbildern. In einer Höhle sah ich neben Abbildungen von Tiergestalten den Abdruck von Kinderhänden an den Felswänden. Ist das nicht faszinierend? Männer, Frauen und Kinder waren zusammen, während sie Kunst und Wissen schufen.
Schreibt es sich mit der Distanz eines Zugereisten vielleicht leichter über Landleben und dörfliche Strukturen?
Haha, ich weiß es nicht. Das Périgord fasziniert mich wegen seiner Landschaft, der prähistorischen sowie mittelalterlichen Geschichte. Und natürlich ist das gute Essen und der Wein auch sehr angenehm.
Martin Walker
Also das klingt alles sehr wohlschmeckend bei Ihnen. Aber man kann vielleicht auch mit positiveren Gefühl über eine Region schreiben, in der man nicht geboren wurde. Oder könnten Sie mit so viel Wärme auch über Schottland schreiben?
Ich habe eine Idee für einen schottischen Roman, aber es ist nicht so leicht. Es stimmt wohl. Von Schottland verstehe ich mehr, als man auf den ersten Blick zu sehen meint.
Lassen Sie uns über Ihre Zeit in Moskau sprechen. Wann waren Sie für den Guardian dort?
Als Korrespondent von Anfang 1984 bis Ende 1988.
Gorbatschow und Perestroika?
Die sich anbahnende Perestroika.
Sie sprechen Russisch?
Ja. Später unternahm ich als Journalist weitere Reisen in die Sowjetunion, die dann in den 1990ern zur Russischen Föderation wurde. Ich berichtete von Treffen Bill Clintons mit Boris Jelzin 1993 und 1999. Clinton fand Jelzin damals interessant, aber sagte: Jelzin trinkt zu viel. Clinton hatte ein wenig Sorge vor ganztägigen Treffen mit Jelzin.
Sie kannten Clinton gut?
Ich kannte ihn von seinen zwei Studienjahren in Oxford, London. Als ich von Moskau als Korrespondent nach Washington wechselte und er Gouverneur von Arkansas war, besuchte ich ihn dort. Er zeigte sich gut informiert, hatte auch mein Buch über Gorbatschow gelesen.
Was meinte er?
Was wir alle dachten und hofften. Der Kalte Krieg ist mit dem Ende der Sowjetunion endlich vorbei. Clinton sagte, wie ich fand, intelligente Dinge: Schluss mit Atombomben und Raketen. In Zukunft wird die Weltwirtschaft, der Handel sowie die Entwicklung neuer Technologien das Wichtigste sein. Wir blicken in eine ganz neue Zukunft. Wir hatten alle große Hoffnungen. Ich war dann später auch mit Clinton und Jelzin in Helsinki.
Das war 1997?
Ja. Da schien die Geschichte noch offen. Aber es gab bereits neue Spannungen. Jelzin war für mich der tragische Held. Er hatte den Putsch gegen Gorbatschow und gegen die Demokratisierung abgewehrt. Aber er trank immer mehr. Und seine Familie, seine Umgebung versank in Korruption. Die Hoffnung in Russland ging nun in Richtung einer nationalen Erneuerung, ein „starkes Russland“. Hinter Jelzin lauerten bereits die neuen Oligarchen.
Das war alles schon sichtbar?
Ja. Genauso wie auch diese Putin-Leute, die alten Seilschaften aus dem KGB, den früheren Diensten der Sowjetunion, die ja weitgehend nun in den neuen Institutionen waren. Sie standen bereit, um Jelzin abzulösen. Ich war 2001 in Ljubljana dabei, als sich Putin und Bush trafen. Man sprach damals von einer vorsichtigen Annäherung. Putin zeigte 2001 bei seinem Treffen Bush ein Kreuz und sagte, dass er es immer bei sich trage. Seine Mutter sei mit ihm immer in die Kirche gegangen. Er war schlau. Bush hat es gefallen. Auch Putins Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik mit Sonderwirtschaftszonen, ebenso seine Flat-Tax-Überlegungen. Doch da war schon der zweiten Tschetschenienkrieg, der sehr, sehr hart geführt wurde.
Vom Tschetschenienkrieg berichteten Sie aber nicht direkt?
Nein, von dort nicht. Die Nachrichten aus Russland verschlechterten sich nun insgesamt. Es gab die Cyber-Attacke der Russen auf Estland 2007. Dann folgte 2008 der Angriff Russlands auf Georgien, mit der Abspaltung von Südossetien und Abchasien. Putin machte deutlich, dass er nicht die Sowjetunion, aber ein großes russisches Reich zurückhaben wollte. Ich habe viele russische und ukrainische Freunde. Die begannen dann in den Westen auszuwandern, nach Großbritannien und die Vereinigten Staaten.
Der russische Überfall auf die Ukraine kam für Sie also nicht überraschend?
Nein. Leider. Überraschend sind allerdings Stärke und Patriotismus, mit der die Ukraine sich verteidigt. Diese schreckliche russische Armee ist schwächer als angenommen. Und scheint auch nicht sehr kompetent. Aber sie haben so viele Menschen und so viele Waffen, die sie noch in den Krieg schicken können.
Es ist eine furchtbare Situation mit sehr hohen Verlusten auf beiden Seiten. Putins Armee begeht große Verbrechen. Wissen die jungen russischen Männer, was sie da tun?
Russische Kriegsführung erfolgt immer über den demografischen Faktor. Aber ob sie diese hohen Verluste einkalkuliert haben? Ich habe in der Spätphase der Sowjetunion 1987 und 1988 in Russland Frauen auf der Straße gesehen, die nach ihren in Afghanistan verschollenen Söhnen fragten. Sie waren sehr mutig, haben sich mitten im Zentrum Moskaus auf die Straßen gestellt. Polizei und Armee hatten Skrupel, einzugreifen. 1941 hatte eine sowjetische Mutter fünf Kinder. 1988 waren es durchschnittlich nur noch eineinhalb Kinder. Will eine Mutter, dass ihr einziger Sohn in Afghanistan stirbt? Oder jetzt in der Ukraine?
Haben Sie aktuell Kontakt zu Menschen, die in Russland oder der Ukraine leben?
Direkte Kontakte sind schwierig. Internet und Social Media sind blockiert. Also das geht im Moment kaum.
In Ihrem vorletzten Roman, „Französisches Roulette“, unterhält sich Bruno, Chef de police in der Kleinstadt Saint-Denis, mit einem Freund aus Paris. Der sagt leicht resigniert: „Die meisten Leute hier in Frankreich wissen überhaupt nicht, dass in der Ukraine Krieg herrscht.“?
Diesen Roman hatte ich 2017/18 verfasst. Seit 2014, dem Überfall auf den Osten der Ukraine und Putins Annexion der Krim, gab es einen faktischen Kriegszustand.
Für Ihre Kriminalromane arbeiten Sie auch mit professionellen Rechercheteams zusammen. Ist es eine Übertreibung, die in der Freiheit des Schriftstellers liegt, oder reichen die kriminellen Machenschaften russischer Oligarchen tatsächlich mitunter bis ins beschauliche Périgord?
Ein wenig Empirie schadet nie. So viel Journalist bin ich noch immer. Man konnte in ganz Europa in den letzten Jahren beobachten, wie überall reiche Russen auftauchen, sich prächtige Häuser kaufen, manche gleich einen EU-Pass dazu, ohne hier Steuern zu zahlen. Man hat einen Pass aus Malta, ein Büro in Monaco, eine Villa am Mittelmeer, ein Haus in London und verschiebt die Gelder über Panama, Virgin oder Cayman Inseln.
Auch Ihr nun vierzehnter Kriminalroman, „Tête-à-Tête“, mit Bruno als Chef de police von Saint-Denis, ist vor dem jetzigen Kriegsausbruch geschrieben. Doch auch hier führt die Spur zurück in die Zeiten des Kalten Kriegs. Zu einem Mordfall in Verbindung mit der DDR?
Mich fasziniert die Geschichte dieser Rosenholz-Dateien. Die Stasi, also die Staatssicherheit der DDR, hatte darin die Leute erfasst, die für sie in Ostdeutschland, aber auch im Ausland für sie gearbeitet haben. Die Rosenholz-Dateien enthalten etwa 350.000 Datensätze. In den Wendezeiten gelangte ein kompletter Datenbestand in den Besitz des amerikanische CIA.
Das ist belegt?
Ja, das ist Fakt. Vermutlich von einem Stasi-Mitarbeiter verkauft. Mit den Amerikanern befreundete Länder wie Großbritannien, die Bundesrepublik oder Schweden bekamen Kopien, zumindest der für sie relevanten Teile. Nur Frankreich nicht.
Warum nicht?
Die Beziehungen zwischen französischen Diensten und amerikanischen sind seit Langen relativ schlecht. Man hat sich gegenseitig misstraut, was mit der Politik von Präsident de Gaulle ab 1959 zu tun hat. Rivalitäten und gegenseitige Spionage gab es auch bei der Entwicklung von Waffen- und Atomtechnik. Und es gab in der Geschichte einen prominenten Überläufer.
Aber wie kommt die Geschichte nun in das Périgord?
Über Umwege, die wir hier nicht alle verraten können. Es hat auch mit Finnland zu tun, einem deutschen Diplomaten, den man irrtümlich für einen russischen Spion hielt. Doch da spielt wieder das Rosenholz-Dossier eine Rolle. Es war sein Bruder, der tatsächlich ein Spion war. Man musste ihn also mit Geld entschädigen, aber seine Karriere war zerstört. Und dann kommt auch ein Franzose ins Spiel. Es ist ja keine Erfindung, dass die Sowjetunion spezielle, abgeschottete Einrichtungen unterhielt, in denen sie ihre Berufsspione von klein auf heranzogen und ausbildeten. Die konnten dann tatsächlich akzentfrei englisch oder amerikanisch sprechen und sich im Ausland als Einheimische ausgeben. Das ist der Hintergrund für einen rätselhaften Fall, der in „Tête-à-Tête“ gelöst werden muss.
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