piwik no script img

Rinderhaltung und CO2-EmissionAuf der Weide grast sich's schöner

Weidehaltung kann umwelt- und tierfreundlicher sein als die Fütterung im Stall, sagt eine Studie. Sind Rinder doch keine Klimakiller?

Freier Auslauf auf der grünen Wiese fördert nicht nur die Tiergesundheit Foto: imago

München taz | Kühe haben mittlerweile ein denkbar schlechtes Image. Sie gelten als Klimakiller und Wasserverseucher – Fleisch und Milch steht daher auf dem Index von umweltbewussten Zeitgenossen. Doch es mehren sich Studien, dass es einen Unterschied macht, wie die Tiere gehalten werden, also ob die Rinder im Stall gehalten und mit Kraftfutter gemästet werden oder regelmäßig auf der Weide grasen. Ist Milch und Fleisch von Weidekühen vielleicht sogar umweltfreundlicher?

Bei der Produktion von Rindfleisch und Milch entstehen erhebliche Mengen an Treibhausgasen, vor allem Methan. Die Krux: Methan ist rund 28-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Die Kuh bildet es bei ihrer komplizierten Verdauung. Tatsächlich entsteht sogar pro Liter Milch mehr Methan, wenn die Kuh auf der Weide frisst und nicht aus dem Futterbottich. Denn: Die Mikroorganismen müssen hier mehr arbeiten, um die Fasern aufzuspalten. Allerdings wird auf Dauergrünland mehr Kohlendioxid im Boden nachhaltig in den Wurzeln unter der Grasnarbe gebunden als auf Äckern.

Umgekehrt entstehen bei der Produktion von Kraftfutter auch noch weitere Klimagase, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Kraftfutter besteht vor allem aus Soja und Mais. Soja kommt jedoch meist aus Übersee, wo für den Anbau erhebliche Mengen mineralischer Dünger und Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen und im schlimmsten Fall sogar Regenwälder dafür abgeholzt werden.

Bei der Herstellung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln als auch bei der Landnutzungsänderung vom Urwald zur Sojaplantage entstehen wiederum klimaschädliche Gase, vor allem Kohlendioxid und Lachgas. Auch der lange Transportweg nach Europa trägt zur schlechten Klimabilanz bei.

Klimagase sind nicht vermeidbar

In der sogenannten Grazing-Bewegung wird darum sogar behauptet, dass bei der Weidehaltung so viel Kohlendioxid im Boden verschwindet, dass sich die Bilanz ins Negative kehrt, die Produktion von Milch und Fleisch also mehr Klimagase aufnimmt als ausstößt. Die Organisation Sustainable Food Trust gehört etwa zu den Verfechtern dieser Theo­rie und schlussfolgert in einer Studie aus dem Jahr 2020, dass man darum lieber Milch aus Weidehaltung trinken sollte als Sojamilch. Das Rind sei also kein Klimakiller, sondern ein Klimaretter.

Hans Marten Paulsen, Agrarwissenschaftler am Thünen-Institut für Ökologischen Landbau hält jedoch dagegen: „Die Viehhaltung geht immer mit der Emission von Klimagasen einher, egal welches Haltungssystem man betrachtet.“ Auch eine Publikation mehrerer Forschungsinstitute unter der Leitung der Universität Oxford aus dem Jahr 2017 hat die Thesen der Grazing-Bewegung ausführlich widerlegt.

Paulsen und seine Kollegen haben zudem für die deutschen konven­tio­nellen und ökologischen Milchbetriebe belegt: Hinsichtlich der Klimawirkung bezogen auf einen Liter Milch gibt es nicht generell Unterschiede zwischen Weidegang oder reiner Stallhaltung, das hängt ganz vom Produktionssystem ab.

„Weil Weiden und Wiesen mehr Humus enthalten, ist ihr Erhalt jedoch sehr wichtig für den Klimaschutz“, sagt Paulsen. Carsten Malisch von der Universität Kiel, der ebenfalls eine Studie dazu veröffentlicht hat, ergänzt: „Weidegang kann aber besser abschneiden, wenn wenige Tiere mit hoher Milchleistung gehalten werden.“

„Grünland bietet mehr Biodiversität als ein Acker“

Wichtig wäre es darum, laut Malisch, dass die Tiere ein hochwertiges Futter erhalten, auf der Wiese also viel Klee oder Luzerne wächst. Denn diese Leguminosen enthalten viele Proteine, deren Umsetzung weniger Methan freisetzt. Und sie tragen Stickstoff in den Boden ein, sind also ein natürlicher Dünger.

Weideland hat zudem andere Umweltvorteile: „Grünland bietet mehr Biodiversität als ein Acker“, sagt Paulsen. „Eine Beweidung fördert dies noch, weil die Tiere selektiv fressen und durch ihren Tritt unterschiedliche Lebensräume schaffen.“ So gibt es mehr Tierarten wie Mistkäfer, Nektarsammler und Spinnen sowie mehr Gräser- und Blühpflanzen, davon profitieren wiederum Vögel und Hasen. In Kuhfladen nisten viele Insekten, und Samen werden über Fell, Hufe und Kot verteilt.

„Die Biodiversität hängt aber letztendlich vom Weidemanagement ab und von Besatzdichten.“ Zu viele Tiere auf der Weide sind also kontraproduktiv.

Zudem sind Grünlandflächen für den Menschen ohne Wiederkäuer nicht nutzbar, weil er Gras nicht verdauen kann. Es entsteht darum auch keine Nahrungskonkurrenz zum Menschen im Gegensatz zur Haltung von Hühnern und Schweinen, deren Futtergrundlage Getreide und Hülsenfrüchte sind. Dauergrünland ist auch weniger von Erosion betroffen, das Vermögen Wasser zu binden, ist ebenso größer. Dies wappnet den Boden gegen Dürre oder Landschaften gegen Hochwasser.

Weidemilch-Label auf der Milchtüte

Im Ökolandbau ist Weidegang von April bis Oktober vorgeschrieben. Ökotiere erhalten meist weniger Kraftfutter als konventionell gefütterte Tiere. Den Begriff „Weidemilch“ darf ein Landwirt auf die Milchtüte schreiben, wenn seine Kühe in der Sommersaison mindestens 120 Tage für sechs Stunden grasen dürfen. Prangt auf einem Milchkarton das „Pro Weideland-Label“, erfüllt es die Kriterien der Weidemilch, erweitert durch Zusatzregeln, wie etwa ganzjähriger Auslauf, notfalls auch im Stall.

Der Begriff „Heumilch“ bedeutet: Tiere werden vor allem mit frischem Gras und Heu gefüttert. Die Tiere haben also nicht unbedingt eine Weide gesehen. Dennoch: Heumilch hat immer noch eine bessere Ökobilanz als konventionelle Milch. „Weidefleisch“ kann hingegen auch von Tieren stammen, die eng gedrängt im Feedlot gehalten wurden. Hier gibt es für Verbraucher also wenige Orientierungsmöglichkeiten.

Echte Weidehaltung ist aber nicht nur besser für die Umwelt. Auch das Tierwohl profitiert. Wenn die Tiere mehr als sechs Stunden in der Sommersaison auf die Weide dürfen, dann geht es ihnen messbar besser. Vor allem leiden sie seltener an Gelenk- sowie Klauenerkrankungen, hat das Thünen-Institut belegt. Schließlich können Tiere sich auf der Weide besser bewegen, was die Knochen und Gelenke gesund hält, und sie können ihrem natürlichem Verhalten nachgehen.

Es gibt zwar Hinweise, dass die Tiere auch fruchtbarer sind und teilweise weniger unter Eutererkrankungen leiden. Dies ist allerdings nicht ausreichend belegt. Wenn Rinder die Wahl haben, halten sie sich aber lieber auf der Weide als im Stall auf, sogar nachts.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Mir fällt immer wieder auf, dass Beiträge, die die praktischen Lebensgrundlagen der Naturbewirtschaftung zur Erzeugung von Lebensmitteln und Rohstoffen betreffen, auf vergleichsweise wenig Resonanz bei den Lserkommentaren treffen. Die Erde ist anscheinend doch etwas zu weit unten bei hoch Gebildeten. ;-|

  • Ich vermute auch mal, dass bei echter Weidehaltung und Pro-Weidehaltung insgesamt weniger Tiere gehalten werden. Das müsste in den Vergleich vielleicht auch einfließen.

    • @sàmi2:

      Ja, so ist es bzw. muss es so sein: das ist der zentrale Punkt.

  • Gibt es bei der TAZ jemanden der über Landwirtschaft schreibt, der schon mal persönlich in einen Kuhstall war ??



    Kühe haben eine Wohlfühltemperatur von 16 Grad, alles darüber oder darunter ist für die Kuh Stress. Wenn Kühe die Wahl haben ob bei 30 Grad auf der Wiese zu sein oder im schattigen Stall, bleiben sie immer im Stall. Natürlich sind sie dann in der Nacht, oder bei Regen draußen, weil dann sind die Temperaturen niedriger und es sind weniger Insekten ( Fliegen, Bremsen ) unterwegs.



    Einen Aspekt, den Frau Burger komplett wegelassen hat, ist der CO2 Anfall pro Liter Milch. Auch dazu gibt es Untersuchungen : www.elite-magazin....achlich-13357.html

    • @Günter Witte:

      Ich zitiere aus Ihrem Link:

      "Dennoch ist eine reine Grasfütterung keine Lösung, um die Treibhausgase der Rinderhaltung zu reduzieren: Dadurch sänke die Milchleistung einer Kuh. Um gleich viel Milch zu erzeugen, müssten Landwirte mehr melken und mit einer Vergrößerung des Milchviehbestandes würden mehr Treibhausgase ausgestoßen."

      Ich picke mir den entscheidenden Satz heraus:

      "(...) um gleich viel Milch zu erzeugen(...)"

      Das ist eben nicht notwendig, da die Milchproduktion insgesamt heruntergefahren gehört.



      Guter Käse ist zwar schwer zu ersetzen, mit Hafermilch kann schon ein großer Teil der Kuhmilch ersetzt werden. Im Kaffee kann man sich mit gutem Willen sehr schnell umkonditionieren, Fortgeschrittenen schmeckt Hafermilch auch auf Müsli oder im Kakao... Wer Probleme mit der Haut hat, sollte Milch eh nicht literweise saufen wie ein Kalb sondern den Milchkonsum strikt minimieren.

      Die Rindviehhaltung die dann künftig verbleibt, sollte in der Vegetationszeit eine Weidehaltung sein, die Zu- und Winterfütterung vorwiegend aus Heu und heimischen Leguminosen bestehen und somit die Milchleistung und Fleischzuwachs aus dem Grundfutter und nicht aus Kraftfutter (Getreide&Soja) erzeugt werden.

      Die Kühe sind i.d.R. sehr, sehr gerne auf der Wiese, vor allem in den Übergangszeiten.



      Der erste Auslauf im Frühjahr (sobald genug neues Gras gewachsen ist und die Weiden trittfest sind) sind jedes Mal ein echtes Highlight für die Tiere und auch für die Landwirte, die sich das gerne ausführlich angucken.

      In den besonders heißen Wochen verdösen die Kühe die Tage im schattigen Außenklimastall und kommen abends nach dem Melken raus und grasen nachts beim Mondschein und werden nach Sonnenaufgang zum Melken eben wieder reingeholt.

      Das haben Sie ja auch schon in Ihrem Beitrag erläutert. Daher verstehe ich die Motivation zu Ihrer Gegenrede nicht:



      Weidehaltung von Milchvieh ist kein Hexenwerk und war es noch nie.