Rüstungskooperationen mit Russland: Schmutzige Geschäfte
Im Jahr 2008 führte Moskau in Georgien Krieg. Dennoch begannen Europa und Russland danach eine intensive Rüstungszusammenarbeit.
Dass der Kreml kurz darauf den Georgien-Krieg vom Zaun brach, ließ die deutsche Politik nicht zweifeln. Dort galt die breite Überzeugung, dass sich das Kurshalten auszahlen werde. Das fein ausgedachte Kalkül: Sich verflechten schafft Abhängigkeiten. Diese würden auf lange Sicht zum ultimativen Gewalthemmer, schließlich wolle sich niemand selbst schaden. Für die selbst ernannte Friedensmacht Deutschland war „Wandel durch Handel“ das vermeintliche Supertool, mit dem sich auch gefallene und damit aggressive Ex-Supermächte wie Russland sedieren ließen, sodass deren imperiale Phantomschmerzen abklingen.
Das Investitionssignal der Politik für Russland musste insbesondere die deutsche Wehrindustrie ansprechen. Denn das russische Pendant ist eine zentrale Größe der dortigen Wirtschaft. Klaus Mangold, der langjährige Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, sagte 2018 in einem Interview: „Wenn Sie den Rüstungssektor herausrechnen, ist Russland bei einem Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung, der, denke ich, kleiner ist als die 20 bis 25 Prozent, die man für ein echtes Industrieland ansetzt.“
Zudem wurde 2007 Anatoli Serdjukow russischer Verteidigungsminister – ein auf westliche Managementmethoden getrimmter Ex-Geschäftsmann einer Möbelhandelskette. Dieser legte das Modernisierungsprogramm der russischen Streitkräfte von 2011 bis 2020 explizit für europäische Beteiligungen aus, um den Preis- und Innovationsdruck auf den heimischen Rüstungskomplex zu erhöhen. Dabei half ihm die dürftige Performance der russischen Armee im Georgien-Krieg, Widerstände aus Industrie und Militär übergehen zu können.
Soldaten-Drill dank Rheinmetall
Somit leitete Deutschlands wichtigster Rüstungskonzern Rheinmetall 2011 das Großprojekt eines hochmodernen Ausbildungszentrums für die russische Armee ein, zum Drillen von 30.000 Soldaten im Jahr. Das Auftragsvolumen betrug 120 Millionen Euro. Der Konzern in seiner damaligen Pressemitteilung: „Der Auftrag ist von besonderer strategischer Bedeutung. Mit ihm ist der deutschen Wehrtechnik erstmals in bedeutendem Umfang der Zugang zum russischen Markt gelungen. Im Hinblick auf die Modernisierung der Ausrüstung der russischen Streitkräfte bieten sich damit gute Chancen für Folgebeauftragungen aus der Russischen Föderation.“ Rheinmetall beschreibt sich hier als Türöffner zu einem Eldorado für Deutschlands Waffenschmieden, in dem sie mit ihren Zulieferfirmen üppig verdienen könnten.
Russland war auch Verheißung, weil die Bundeswehr weiter verkümmerte. Im Jahr des Rheinmetall-Deals wurde in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt – Teil eines Ad-hoc-Sparpakets von acht Milliarden Euro bei den bereits ausgehöhlten Streitkräften, um die Nachwehen der Finanzkrise zu bewältigen. Damals rechnete man mit einem weiteren Schrumpfkurs des Wehretats. Für Deutschlands Waffenindustrie galt es daher dringend, neue Märkte zu erschließen. Ein Kalkül, das auch für die europäische Konkurrenz galt. Schließlich sparten die meisten EU-Mitgliedstaaten zu der Zeit bei ihren „Bonsai-Armeen“ – so ein geflügelter Ausdruck unter Militärexperten – noch weiter.
In der Folge begann eine Reihe ambitionierter Rüstungskooperationen mit Russland. Ebenfalls 2011 startete Renault mit der russischen Rüstungsschmiede Uralwagonsawod das Projekt eines neuen Schützenpanzers für das russische Heer. Davor hatte Frankreich bereits mit Russland vereinbart, für 1,3 Milliarden Euro zwei Helikopterträger der Mistral-Klasse zu bauen, samt Technologietransfer und der Erlaubnis zur Lizenzproduktion.
Der deutsche Maschinenbauer MTU sollte gleich für mehrere neue Schiffstypen der russischen Marine die Dieselmotoren liefern, so für die Korvetten der Gremjatschi-Klasse, die seit 2020 im Dienst sind. Symbol dieser russisch-europäischen Symbiose war vor allem der Vertrag der italienischen Iveco, sagenhafte 1.775 Infanteriekampffahrzeuge für die russischen Streitkräfte zu produzieren. Das Iveco-Modell M65 setzte sich sogar gegen das russische Konkurrenzfahrzeug Tigr durch.
Lieferungen noch bis 2018
Das vermeintliche Goldene Zeitalter war jedoch vorbei, bevor es richtig begonnen hatte. Erste dunkle Wolken zogen bereits 2012 auf. Damals wurde Radikalreformer Serdjukow geschasst und der jetzige Verteidigungsminister Sergei Schoigu übernahm das Ruder. Sein Kurs: maximal machbare Unabhängigkeit in der Rüstung, und zwar zügig. Eines der ersten Opfer war 2013 der Iveco-Deal. Nun setzten die Russen doch auf ihr Eigengewächs, das Fahrzeug Tigr.
Im Jahr darauf annektierte Russland die Krim und begann einen verdeckten Angriffskrieg im Osten der Ukraine. Russlands Diktator Wladimir Putin zeichnete damals umgehend ein großes Programm ab, um aus EU und Nato-Staaten eingeführte Militärtechnik durch russische zu ersetzen.
Die großen Rüstungsvorhaben wie Rheinmetalls Ausbildungszentrum und die Mistral-Helikopterträger kollabierten nun, da sie politisch nicht mehr haltbar waren – auch wenn die EU-Sanktionen Altverträge nicht berührten. Auf deren Basis gingen weiter Rüstungsgüter nach Russland. Ab 2014 verzeichneten die Rüstungsexportberichte der Bundesrepublik noch Genehmigungen bis 2018. Zwei Mehrzweckschiffe, Jagdwaffen, geschützte Geländewagen sowie Satellitentreibstoff. Die Luft- und Raumfahrt blieb bis zur Ukraine-Invasion ein letztes enges Kooperationsgebiet der Europäer mit Russland.
Dessen größter europäischer Rüstungspartner war über die Jahre Frankreich, zeigen die Exporterhebungen der EU. Der Waffenexportexperte Pieter Wezeman vom Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstitut Sipri im Gespräch mit der taz: „Für Frankreichs Wehrfirmen wie Thales und Safran machten die Russland-Lieferungen nur einen kleinen Teil ihrer Gesamteinnahmen aus. Allerdings war der potenzielle Markt wegen des groß angelegten Modernisierungsprogramms beträchtlich.“
Technologie aus Frankreich für russische Panzer
Zum einen halfen die Franzosen bei zentralen Aspekten der Armeemodernisierung. Von der französischen Wehrschmiede Thales kamen Wärmebildkameras für den T-72 – der die Masse der russischen Panzerbestände ausmacht. Zum anderen profitierten die Franzosen beim Waffenexport der Russen. Die beliefern hauptsächlich Schwellenländer, die sich teure westliche Hightech nicht leisten können, mit aufgewertetem Sowjet-Material.
Die Upgrades stellten die staatlichen Wehrfirmen der Grande Nation. Dazu gehörte vor allem modernere Avionik für Kampfjets. Sie findet sich beispielsweise in den SU-30MKI-Geschwadern Indiens. Der russische Kampfjet ist das Rückgrat der indischen Luftwaffe.
Wärmebildkameras und Avionik fallen in der EU-Militärgüterliste unter die Positionen 15 und 11. Wertet man die Exportberichte Frankreichs seit Sanktionsbeginn 2014 aus, fällt die Masse der genehmigten Exportlizenzen für die Russische Föderation auf genau diese beiden Positionen. Die französische Rechercheplattform Disclose zeigte jüngst solche trotz der Sanktionen von 2014 weiterlaufenden Lieferungen. Als Reaktion darauf ließ das französische Verteidigungsministerium verlauten: Alles rechtens, es gab lediglich Export aus Altverträgen. Verbotene Neuverträge hätte es nie gegeben.
Allerdings warten zurzeit MiG-29 Kampfflugzeuge für Algerien in Russland auf ihre Fertigstellung. Diese sollen französische Avionik und Optronik von Thales und Safran erhalten. Die Einschätzung von Sipri-Fachmann Pieter Wezeman: „Algerien kauft seit der Unabhängigkeit vor allem russische Waffen. Frankreich fiel es lange schwer, in diesen Markt einzubrechen.“ In Branchenkreisen ist bekannt, dass die Verträge für die algerischen MiGs erst 2019 im Rahmen der Moskauer Luftfahrtmesse geschlossen wurden.
Windelweiche Rahmenverträge
Lieferung und Einbau französischer Waffentechnik über Altverträge scheint wenig glaubhaft. Ein Sprecher der EU-Kommission antwortet auf Nachfrage der taz ausweichend: „Für die Einhaltung des EU-Waffenembargos sind die Mitgliedstaaten selbst verantwortlich.“ Das französische Wehrressort sowie Thales äußerten sich auf Anfrage nicht. Eine Sprecherin von Safran zum MiG-Deal gegenüber dem Autor: „Safran erfüllte nur Altverträge, die nun beendet wurden. Seit 2014 wurden keine neuen Verträge für Wehrtechnik mit Russland geschlossen.“
Der MiG-Deal von 2019 zeigt: Es ging nicht nur um das Auslaufenlassen von Geschäften, die vor der Krim-Annexion vereinbart worden waren. Frankreich agierte in Russland auch mit Altverträgen in der Form windelweicher Rahmenvereinbarungen, über die stetig neue Bestellungen zugelassen wurden. Eine bauernschlaue Praxis, die wohl munter weitergegangen wäre, hätte Putin seinen verdeckten Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht zur offenen Invasion eskaliert.
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