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Die Kunst der Woche für BerlinMit politischer Aufgabe betraut

Blasphemische Fabelwesen von Gert & Uwe Tobias, Blicke auf einen Grenzfluss bei Capitain Petzel und das Werk der Berliner Künstlerin Irene Wedell.

Ausstellungsansicht, Zoe Leonard, A View from the Levee, Capitain Petzel, Berlin, 2022 Foto: © Zoe Leonard. Courtesy Galerie Gisela Capitain, Cologne. Ph: Gunter Lepkowski

S chon das Format von 200 x 168 cm ist ungewöhnlich für einen Holzschnitt, ganz zu schweigen von der raffinierten bunten Farbigkeit. Sind Holzschnitte normalerweise nicht eher klein? Und wenn sie bei der Plakatgestaltung zum Zug kommen, nicht eher schwarzweiß?

Die Holzschnitte, die Contemporary Fine Arts derzeit ausstellt, sind all das nicht. Sie stammen von Gert & Uwe Tobias, die ihre Druckstöcke schon immer auf die große Leinwand hin konzipierten, auf die sie drucken und dabei die Grafik in die Grandiosität des Tafelbilds überführen.

Tierische Fabelwesen, man meint darunter speiende Hühner zu erkennen, wundersame Raupen im blauen Frack, dazu schicke Kröten und wilde Hummeln, treiben da in einem von Farbflächen simulierten Raum ihr undurchsichtiges, womöglich böses Spiel. Und natürlich darf die Fledermaus nicht fehlen.

Denn das Szenario dieses wilden Traums, der sich einem Film gleich über zehn Leinwände abspult, verdankt sich auch der Mythologie und Folklore ihres transsilvanischen, also rumänischen Herkunftslandes. Die Zwillinge wurden 1973 in Brasov (Kronstadt) geboren. Lange schon leben sie aber in Köln, und so scheint mit den prachtvollen Bischofsmützen, die ihre Kreaturen bekrönen, den Heiligenscheinen und Engelsflügeln, eine dezidiert katholische Ikonografie in ihre Bilder Eingang gefunden zu haben.

Besonders die übergroßen Hände der Phantasiegestalten glaubt man aus der Kirchenmalerei zu kennen. Gerne erheben sie bedeutungsvoll den Zeigefinger, wobei die restlichen Finger der Hand schier unglaubliche Verrenkungen veranstalten. In ihrem dekorativen Spiel zwischen Abstraktion und Figuration zeigen Gert & Uwe Tobias’ Leinwände eine erfrischend blasphemische Note, nicht nur was die christliche, sondern auch, was die zeitgenössische Kunst betrifft (bis 23. 4., Contemporary Fine Arts, Grolmanstr.32/33, Mo-Fr 10-18, Sa 11-17 Uhr).

Die Farbaufnahmen des gurgelnden Wassers des Rio Grande/Rio Bravo kenne ich aus dem Mudam in Luxemburg. Sie bilden den Prolog der Ausstellung „Al rio/To the River“ von Zoe Leonard, die noch bis zum 6. Juni läuft. Danach wandert die Ausstellung nach Paris. Deutsche Kunstinstitutionen scheinen sich für die Arbeit der zweimaligen documenta-Teilnehmerin nicht zu interessieren.

Man darf sich also glücklich schätzen, in Berlin zu leben. Hier finden sich immerhin die Galerien, die die Aufgabe wahrnehmen, kunstinteressierte Menschen über das relevante zeitgenössische Kunstgeschehen auf dem Laufenden zu halten. Und so queren nun die 40 Aufnahmen des Prologs auf Stellwänden den Hauptraum der Galerie Capitain Petzel.

An den Seitenwänden finden sich die Ansichten vom Deich, die der Schau in Berlin ihren Titel „A View from the Levee“ geben. Seit 2016 fotografiert Zoe Leonard den Rio Grande entlang der 2000 Kilometer, auf denen er die Grenze zwischen Mexiko, wo der Fluss Rio Bravo heißt, und den USA bildet.

Hier kommt es zu dem Paradox wie Leonard sagt, „ein natürliches Element mit einer politischen Aufgabe zu betrauen“. Wie sich das gestaltet ist dann im Unter- und Obergeschoß zu verfolgen. Von öffentlich zugänglichen Standorten beobachtet Zoe Leonard eine zunehmend militarisierte Flusslandschaft voller Grenzzäune, Kontrollpunkte und uniformierten Patrouillen.

Mit der Aufnahme „From the Puente Colombia, looking downstream“ (2017/2022) ist dann aber auch ein scheinbar unberührter Flusslauf zu beobachten. An ihm weiden wie die Ansicht „From the levee, Ojinaga“ (2017/2022) zeigt, friedlich die Kühe. Erfolgreich unternimmt Zoe Leonard die Anstrengung, den Konflikt zwischen Natur, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie er sich exemplarisch am Rio Grande/Rio Bravo abspielt, in seinen vielfältigen Facetten festzuhalten, statt ihn plakativ im Bild zuzuspitzen.

Tatsächlich ist es ihr von Anfang an ein Anliegen gewesen, die Bedingungen der Bildproduktion und die Rolle der Fotografie bei der Konstruktion des Selbstbildes von Gesellschaften und deren historischen Horizonts kritisch zu reflektieren. Es lohnt sich, die gurgelnden Wasser zu studieren (bis 16. 4., Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45, Di-Sa 11-18 Uhr).

Martin Beyer erzählt in seinen Romanen gerne von realen Personen, deren Lebensgeschichte ihn inspiriert, sie in literarischer Form zu verhandeln. Nicht immer ist die Literaturkritik damit einverstanden – etwa mit dem Aufritt der Geschwister Scholl in seinem Roman von 2019 „Und ich war da“.

In seiner aktuellen Neuerscheinung „Tante Helene und das Buch der Kreise“ (Ullstein 2022, 416 Seiten, 23,- Euro) allerdings gelingt es ihm, eine kluge Analyse der Lebensgeschichte der Berliner Künstlerin Irene Wedell (1939-2017) in die eindringliche Erzählung der komplexen, weil komplizierten Selbstfindung als Künstlerin und Frau in der deutschen Nachkriegszeit zu überführen.

Die Realien mit der Fiktion abzugleichen, mit Gewinn für beide Perspektiven, dazu besteht nun die Gelegenheit in der Galerie Under the Mango Tree, die eine Auswahl von Irene Wedells künstlerischem Werk zeigt. Wedell arbeitete bevorzugt auf Papier, mit Malerei, Zeichnung, Collage, Druck oder Nähfaden.

Das heißt sie applizierte Pflanzen- und Blütenteile auf Papier, indem sie sie aufnähte. Die so entstanden Arbeiten sind ihrer Natur gemäß extrem empfindlich, was gleichzeitig ihre ästhetische Qualität ausmacht. Das Spiel von Brüchigkeit und Widerstand der Texturen wie vom Verblassen und Bestand der Farben fesselt den Blick.

Selbstgefertigte Kästchen voll gesammeltem Pflanzenmaterial zeigen dann, dass sie dessen Haltbarkeit und dessen Veränderungen von Struktur und Textur bei der Trocknung genau studierte. Und so konnte sie es dann auch wagen, mit Blumen und Pflanzen auf großen transparenten Papieren zu arbeiten, wo sie und die Aquarellfarben oft eher wie gedruckt erscheinen oder dann wieder an chinesische Tuschzeichnungen erinnern.

Dass Irene Wedell auch ihre Künstlerbücher gerne dreidimensional ausstattete, erscheint nur folgerichtig. Mit ihren vielen Schichten Papier und Folien, mit ihren Gräsern, Knospen, Ästchen und Blättern, erweitern sie die Collage zur Assemblage. Allerdings im kleinen intimen Format, was besonders faszinierend erscheint (bis 30. 4., Under the Mango Tree, Merseburger Str. 14, Di-Fr 15.30 – 18.30 Uhr, Sa, So 13-16.30 Uhr).

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1 Kommentar

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  • Könnten Sie bitte grundsätzlich bei Ausstellungsrezensionen und Veranstaltungshinweisen wenigstens einmal die Stadt dazuschreiben? Vielleicht als Tag am Anfang? Auch bei "Nord"-Artikeln? Sehr oft haben Sie spannende Ankündigungen, und dann erfährt man (vielleicht) am Ende: Kiel, oder Bremen. Ich würde ggf sogar hinfahren, wenn ich mir beim Lesen schon ein Bild von dem Ort machen könnte.

    Das Problem habe ich mit anderen Zeitungen übrigens auch. Ich lese das auf dem Mobilgerät. Wenn ich nur die Rezension bekomme oder weiterschicke, steht da "Contemporary Fine Arts", sogar ohne Link. Das könnte auch in Sydney oder Chicago sein.

    Nicht hier, aber oft bei anderen Artikeln, fehlt auch das Datum. Das ist notwendig, dass man sich überlegen kann, bis wann die Ausstellung besucht werden kann, oder ob es eine nachträgliche Kritik ist.