Thrillerserie „Euer Ehren“: Jeder gegen jeden
In der israelischen Serie „Your Honor“ will ein Richter die Straftat seines Sohnes vertuschen. Nach einem US-Remake folgt nun ein deutschsprachiges.
Die besten Serien kommen aus Israel. Oder zumindest die besten Serienideen. Sonst würden israelische Seriendrehbücher – vor allem von US-Amerikanern – nicht am laufenden Band neuverfilmt werden: „Homeland“, „Euphoria“, „In Treatment“ – alles Adaptionen israelischer Originale. Und jetzt „Euer Ehren“ – ein deutsch-österreichischer Sechsteiler, basierend auf „Kvodo“ (2017), natürlich aus: Israel.
Natürlich waren auch hier die Amerikaner wieder schneller als ihre Kollegen aus Old Europe. „Your Honor“ lief schon vor mehr als einem Jahr, auch bei uns. Mit wenig origineller, weil maximal naheliegender Besetzung: Bryan Cranston gab den titelgebenden Richter quasi als – eineiigen – Zwillingsbruder der Serienfigur, die ihn in „Breaking Bad“ berühmt gemacht hatte. Wie Walter White ist auch der titelgebende Richter ein eigentlich hochanständiger, höchst skrupulöser Mann, ein liebender Familienvater, den gerade diese Liebe dazu treibt, immer skrupellosere Dinge zu tun, zu improvisieren und zu manipulieren, schließlich sogar den Tod selbst unschuldiger Menschen billigend in Kauf zu nehmen …
Da ist die Besetzung von „Euer Ehren“ nicht ganz so auf der Hand liegend, es bedarf schon eines etwas längeren Gedächtnisses: 1994 spielte der junge Sebastian Koch in dem sehr guten Zweiteiler „Der Mann mit der Maske“ einen Studenten und späteren Richter, der ein Serienvergewaltiger war, den seine juristische Brillanz davor bewahrte, überführt zu werden. Die kalte Arroganz, die Sebastian Koch praktisch allen von ihm gespielten Rollen mitgibt, unterscheidet seinen ehrenwerten Richter grundlegend von der Cranston-Interpretation mit ihrer typischen hilflosen Verzweiflung.
Und apropos „kalt“: Während „Your Honor“ im subtropischen New Orleans angesiedelt ist, trägt sich die Handlung von „Euer Ehren“ rund um das tief verschneite Innsbruck zu. Die horizontlose Landschaft der umgebenden steilen Berghänge erzeugt eine gänzlich andere Atmosphäre. Und es gibt weitere signifikante Abweichungen: Der ganze Schlamassel fängt für den Richter ja mit dem von seinem Sohn, einem asthmatischen Sensibelchen, verursachten Verkehrsunfall mit anschließender Unfallflucht an. Die kunstvolle Choreografie des Unfallgeschehens gehörte zu den Höhepunkten der amerikanischen Serie. Wenn die deutsch-österreichische einsetzt, ist der Unfall hingegen bereits geschehen, es gibt nur ein paar wenige Bilder vom Unfallort.
Von Drogen und verdorbenem Fleisch
Seine erste Ansage an den Sohn (Taddeo Kufus), dass für ihn selbstredend nur eine Selbstanzeige in Betracht komme, muss der Richter bald revidieren: „Die Person, die du angefahren hast, ist der Sohn eines Mannes, den ich vor ein paar Jahren zu einer sehr langen Haftstrafe verurteilt habe. Und das verändert alles. […] Das sind sehr gefährliche Leute. Kriegsverbrecher. Drogendealer. Ein Menschenleben bedeutet denen nichts. Sie dürfen nie erfahren, was wirklich passiert ist.“
Die serbischen Clan-Kriminellen freilich verdächtigen erst einmal die Konkurrenz: einen lokalen Fleischbaron und Drogenschmuggler im Auftrag der ’Ndrangheta. Tobias Moretti spielt ihn mit blondierter Volksmusiker-Tolle und offensichtlichem Vergnügen, endlich einmal seinen Tiroler Heimatdialekt sprechen zu dürfen. Als er einen zwischenzeitlich von den Serben entwendeten Laster voller Fleisch und Drogen wieder in seinen Besitz gebracht hat, scheint ihn das verdorbene Fleisch mehr zu kümmern als die Drogen: „Die haben die Kühlung ausgeschaltet. Diese Ratten. Das Eine versprech ich dir: Die radier ich aus!“
„Euer Ehren“, ab Sa., 2. April, 20.15 Uhr alle sechs Episoden in der ARD-Mediathek; sonst Sa., 9. 4. ab 20.15 Uhr Folge 1 – 4 und So., 10. 4., ab 21.45 Uhr, Folge 5 und 6, ARD
Fun Fact: Moretti sagt das zu Rainer Bock, der bereits im „Breaking Bad“-Spin-off „Better Call Saul“ dabei war, damals als kreuzbraver deutscher Ingenieur. Hier nun verkörpert er als Morettis rechte Hand das genaue Gegenteil, den Hitman fürs Grobe. Der Cast des Genrestücks ist also top bis in die Nebenrollen: Ursula Strauss, Sascha Alexander Geršak, Gerti Drassl, Andreas Lust … Paula Beer als weibliche Michael-Corleone-Wiedergängerin, für die der serbische Clanchef, ihr Vater, eigentlich eine andere Laufbahn vorgesehen hatte: „Du wirst die Erste von uns sein, die das alte Leben hinter sich lässt.“
Es kommt anders. Wie in „Euer Ehren“ einiges anders kommt als bei den Vorläufern. So begreift man als Zuschauer erst in der letzten Folge, dass es Regisseur David Nawrath („Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener“) und seinem Drehbuch-Co-Autor David Marian bei ihrem Verzicht auf die Unfall-Choreographie nicht einfach nur darum ging, Zeit zu sparen (die US-Produktion ist vier Folgen länger). Das macht diese deutsch-österreichische Adaption des – ursprünglich israelischen – Stoffs auch und gerade für diejenigen interessant, die bereits die amerikanische gesehen haben.
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