Psychotherapeutin über Traumata: „Auf die Familien zugehen, Gespräche anbieten“
Die Therapeutin Danja Schönhöfer leitet ein Behandlungszentrum für Geflüchtete in Bremen. Sie rechnet mit traumatisierten Menschen aus der Ukraine.
taz: Frau Schönhöfer, hatten Sie schon Kontakt zu ukrainischen Geflüchteten?
Danja Schönhöfer: Nein. Wir haben aber Anfragen von Helfenden. Diese erleben hautnah Menschen, die gerade dabei sind, die Tragweite dessen zu realisieren, was ihnen geschehen ist, was sie verloren haben. Auf der Flucht waren sie aufs Überleben, aufs Vorwärtskommen fixiert. Jetzt kommen sie zur Ruhe, haben aber keine Alltagsstruktur, die sie ablenkt. Da können Grenzsituationen entstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Helfenden oft selbst Ängste haben und sich ohnmächtig fühlen, weil ihnen der Krieg so nahekommt.
Haben Sie Kapazitäten, um weitere Klient:innen annehmen zu können?
Das ist ein Spagat. Die Nachfrage nach Therapie und Beratung übersteigt seit Jahren das Angebot bei Weitem. Das geht allen 40 Zentren in Deutschland so, die ähnlich arbeiten wie wir. Auch niedergelassene Therapeut:innen, die mit Sprachmittler:innen arbeiten oder selbst weitere Sprachen sprechen, sind mehr als ausgelastet. Deshalb müssen wir zusätzliche Angebote entwickeln, damit keine Konkurrenzsituation entsteht.
46, ist therapeutische Leiterin von Refugio Bremen, einem psychosozialen und therapeutischen Behandlungszentrum für Geflüchtete und Folterüberlebende.
Was werden Sie anbieten?
Einzelgespräche, aber auch stabilisierende Gruppen, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Es handelt sich um Menschen, die sich in einer akuten Situation befinden, noch nicht wissen, wie es weitergeht und um ihre Angehörigen und Freunde Angst haben, die noch im Land sind. Da geht es erst einmal um die Möglichkeit zu sprechen und verstanden zu werden. Daneben ist es wichtig, Strategien zu vermitteln, wie sie im Alltag Stress runterfahren können, wie sie mit Schlafstörungen und Traumasymptomen umgehen, also emotionaler Überflutung, dissoziativen Zuständen, Schock und Flashbacks.
Mit wie vielen Personen, die Hilfe brauchen, rechnen Sie?
Wir wissen aus epidemiologischen Studien, dass etwa ein Viertel aller Geflüchteten, die in den letzten zehn, zwanzig Jahren hierhergekommen sind, traumatisiert sind. 40 bis 50 Prozent leiden an einer Depression oder Angststörung. Davon wird oder ist die Hälfte behandlungsbedürftig. Wobei man dazu sagen muss, dass nicht alle Hilfe in Anspruch nehmen und manche auch ohne Therapie Heilung erfahren. Gelungene gesellschaftliche Teilhabe wirkt gesundheitsfördernd.
Worauf sollten Schulen achten, die jetzt ukrainische Kinder aufnehmen?
Wichtig ist, ihnen Struktur und Normalität zu geben, aber auch aktiv auf die Familien zuzugehen, Gespräche anzubieten. Man sollte nicht invasiv nachfragen nach Details, die traumatische Erinnerungen triggern, aber den Krieg auch nicht verschweigen. Das würde das Gefühl der Isolation verstärken. Die Kinder sollen wissen, dass sie sich auch mit diesem Teil ihres Lebens zugehörig fühlen können.
Wirkt die Hilfsbereitschaft, die die Geflüchteten erleben, Traumatisierung entgegen?
Wir wissen aus der Forschung, dass Traumatisierung kein irgendwann abgeschlossener Prozess ist, sondern gerade für Menschen mit Kriegs- und Fluchthintergrund in Sequenzen verläuft. Da gibt es die Sequenz der Einwirkung von Gewalt, die der Flucht und die der Aufnahme in dem Land, in dem die Flucht endet. Die Umstände, wie die Aufnahme verläuft, bestimmt neben der Qualität der Gewalteinwirkung entscheidend mit, wie stark sich eine Traumatisierung ausbildet, wie chronisch und wie einschränkend sie im Alltag ist. Und von je mehr Sequenzen ich betroffen bin, desto komplexer sind die Traumafolgen und umso schwieriger die Verarbeitung in der Therapie.
Anders als viele andere hierher geflüchtete Menschen können sich die Ukrainer:innen aussuchen, wohin sie gehen. Macht das einen Unterschied?
Ja, sehr. Das ist das Gefühl, das eigene Schicksal bestimmen und in eine positive Richtung lenken zu können. Zum Beispiel, indem ich mir einen Ort aussuchen kann, wo ich mich wohl und sicher fühle, wo vielleicht Freunde oder Angehörige leben. Solche Erfahrungen der Selbstwirksamkeit können dem Trauma entgegengesetzt werden, dessen Kern das Erleben von lebensbedrohlicher Hilflosigkeit ist.
Welche weiteren Umstände verhindern, dass Flucht psychisch krank macht?
In der Therapie mit Geflüchteten ist immer wieder das Gefühl Thema, unerwünscht zu sein, die Angst, wieder weggeschickt zu werden. Das reproduziert Hilflosigkeit und Verfolgungserfahrung.
Was ist mit Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine gelebt haben? An vielen Grenzen werden diese diskriminiert.
Es ist immer eine schwierige Erfahrung, wenn man Belastungen erlebt, von denen andere verschont bleiben. Vor allem, wenn sich das wiederholt. Das macht etwas mit der Psyche, da entsteht schnell das Gefühl, persönlich niemals eine Chance zu haben. Selbst wenn ganz klar ist, dass äußere Faktoren schuld sind, bleibt das Gefühl, es habe mit einem selbst zu tun, dass einem immer wieder etwas Schlechtes passiert. Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein.
Ist der Krieg in der Ukraine auch Thema in den Therapien mit Ihren bisherigen Klient:innen?
In fast jeder, mit Kindern und Erwachsenen. Das beschäftigt alle, auch weil die Bilder von Krieg und Flucht eigene Erfahrungen triggern. Ein junger Mann, der selbst als Minderjähriger fast zwei Dutzend Mal an der Grenze zurückgewiesen wurde, sagte, er sei so erleichtert, dass die Ukrainer:innen das nicht erleben müssen. Er hat sich aufrichtig gefreut, und ich habe mich geschämt, dass ihm das geschehen ist.
Ist Ihnen noch etwas wichtig?
Ja. Es gibt manchmal so eine Erwartungshaltung, wenn Geflohene schon lange im Land sind und vielleicht auch ganz gut funktionieren, dass es dann doch mal gut sein muss. Aber traumatisierende Ereignisse werden anders in der Psyche deponiert als Erinnerungen, die nicht mit Todesängsten verknüpft sind. In dem Moment, in dem eine traumatische Erfahrung getriggert wird, zum Beispiel durch einen ähnlich erscheinenden Umstand oder Stresssituationen, sind die Betroffenen nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern erleben auch körperlich den Moment, als wären sie wieder in der traumatisierenden Situation. Egal wie lange sie zurückliegt.
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