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Worte angesichts des UkrainekriegsSo ratlos wie ich

Immer geht es im Journalismus ums Einordnen, ums Weitermachen. Aber warum immer weitermachen, wenn man vor Entsetzen erstarrt sein müsste?

„Wir halten Ratlosigkeit für undruckbar, weil das doch gerade nicht unsere Aufgabe ist“ Foto: Danae Diaz/ Ikon Images/imago

H ier sollte ein Text über ein Thema stehen. Wie immer. Dafür machen wir schließlich diese Zeitung und dafür lesen Sie das hier. Und bis eben hatte ich zweieinhalbtausend Zeichen Kolumne geschrieben, aber jetzt habe ich alles gelöscht. An dieser Stelle habe ich alle zwei Wochen 3.000 Zeichen Platz, aber gerade scheint mir, wenn ich ehrlich bin, dass nichts geeignet ist, diesen Platz auszufüllen. Das liegt nicht an der Zeichenzahl.

Ich bin eine Schreibende, aber käme momentan auch mit 30.000 Zeichen nicht zurecht. Es ist auch nicht so, als ob ich keine Ideen hätte. Ich bin eine Schreibende, und wir Schreibenden haben doch gelernt, dass es niemals nichts zu erzählen gibt. Dass überall Geschichten liegen, für die nicht selten sogar Platz erkämpft werden muss, zwischen allem anderen.

Also saß ich bis eben gerade hier und wollte einen Punkt machen – ich dachte mir das so: Du schreibst über Dinge, die du nicht los wirst, über Dinge, die nerven. Du schreibst über deine Kopfhaut, die nach dem ständigen Mützetragen im Winter so trocken ist und juckt. Darüber, wie sie dich nervt und gleichzeitig beruhigt, weil es ein beständiges Nerven ist, jeden Frühling wieder, Jucken und die ersten Krokusse auf dem Grünstreifen, der die Hauptstraße teilt, Jucken und die Erinnerung daran, dass du doch das ganze Jahr lang Sonnencreme benutzen wolltest.

Und dann spannst du einen Bogen zu anderen beständig nervigen Dingen, zu Putin-Hitler-Vergleichen oder dem ewigen Teufelskreis einer verfehlten Coronapolitik. Und dann schreibst du über Dinge, die Deutschland jucken oder eben nicht. Es gäbe viel zu sagen.

Falsch ist das Weitermachen

Dann fand ich alles falsch. Nicht die Punkte, die ich machen wollte, nicht die Bilder, die mir dazu einfielen. Was alles falsch macht, ist die Tatsache des Weitermachens, wenn alles erstarrt sein müsste vor der Entsetzlichkeit der Welt. Wir überspringen dieses Gefühl dauernd, besonders im Journalismus. Wir halten Ratlosigkeit für undruckbar, weil das doch gerade nicht unsere Aufgabe ist.

Wer ohnehin keine anderen Werkzeuge hat als Wörter, sollte doch wenigstens im Eindordnen eine Hilfe sein. Im Aufmerksammachen, im Dranbleiben, im Weitermachen. Ich finde das wichtig, trotzdem habe auf die Delete-Taste gedrückt und zweitausendfünfhundert Zeichen dabei zugesehen, wie sie vom Cursor weggefressen wurden. Einordnen, dranbleiben, aufmerksam machen. Wenn die Welt auseinanderbricht, warum brechen wir dann nicht auch mit der Art, in der wir sie beschreiben?

Was jetzt hier steht, ist so ratlos wie ich. Das mag verschenkt sein, während sich Ereignisse überschlagen. Aber heute hat mein Cursor zweieinhalbtausend Zeichen gefressen, weil ich noch nicht fertig bin mit Denken. Was ist der Sinn des Einordnens, wenn die ganze Ordnung in Frage steht? Und wie kann man aufmerksam machen, wenn wir alle überfordert sind von der Vielheit der Dinge? Wenn alles brennt – ich, du, er, sie, es – dann muss es Leute geben, die weitermachen, ja. Aber weitermachen war zum Löschen nie genug.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
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7 Kommentare

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  • Vielen Dank für diesen und auch Ihre anderen Artikel

  • Liebe Frau Hierse,



    Sie drücken bestimmt das Empfinden vieler Menschen aus, auch die derjenigen, die nicht der schreibenden Zunft angehören.



    Egal, welchen Platz man in der Gesellschaft einnimmt, die Ratlosigkeit und Verzweiflung ist da, anderes Tun erscheint fast sinnlos, zumindest nebensächlich.



    Und von der schreibenden Zunft wünscht man sich an etlichen Stellen wahrhaftig Schweigen (wie auch von manchen Politikern).



    Ich hoffe sehr, dass es Hilfsmaßnahmen gibt, die in der Verschwiegenheit gedeihen und nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden.

  • Liebe Lin Hierse,

    ich danke Ihnen für diesen Artikel.

    Der Satz

    "Was alles falsch macht, ist die Tatsache des Weitermachens, wenn alles erstarrt sein müsste vor der Entsetzlichkeit der Welt."

    berührte mich.

  • Trotz allem Putin-Bashing ist dieser Krieg ein kapitalistischer Krieg. Die eine System-Variante ist die autoritäre Herrschaft, die in Russland vor allem aufbaut auf der Ausbeutung von Rohstoffen und in China auf der Ausbeutung von Menschen in nie gekannter Abhängigkeit und Überwachung. Auch hier herrscht Kapitalismus, es werden 'Werte' geschaffen, die nur so lange solche sind, wie sie marktfähig bleiben. Wenn Lieferketten nicht mehr funktionieren werden sie Schrott. Die Alternative die 'demokratischen' Systeme sind wichtig aufgrund einer für Globalisten gut funktionierenden und durch Privilegien geförderten Wissenschaft und einer Rechtsstaatsgarantie der angerafften Reichtümer. Die Problemlage ergibt sich aus der Tatsache, dass die letztgenannten 'Gesellschaften' nicht mehr so funktionieren 'können' -es werden Arbeitsplätze=Existenzen dem Profitwahn geopfert-. Krisen beweisen eine gewisse Ratlosigkeit der die Globalisten schützenden Politiker. Es gibt immer weniger zu verteilen, die Mär von einem alles regulierenden Markt lässt sich nicht aufrecht erhalten ! In dieser Lage führt die schwächere Despotie einen Krieg, um emanzipatorische Tendenzen seiner Bevölkerung, wie sie sich mit dem Maidan oder den Frauen von Belarus abzeichnen, zu verhindern. Auf welcher Seite steht die vom Kapitalismus des 'Westens' (noch?) abhängige Bevölkerung ?

  • Ich kann sie Schreiberin voll und ganz verstehen. Es ist zuviel.

  • Monothematischer Journalismus im Minutentakt war schon in der Coronaphase sinnlos.

  • Liebe Lin Hierse, die Fassungslosigkeit kann einen schon lähmen. Wenn wir all den Schrecken in der Welt in unser Bewußtsein aufnehmen würden, würden wir vielleicht nur noch sterben wollen, weil es keine Hoffnung mehr gibt. Aber wenn sie zum Schreiben berufen sind, dann schreiben sie, auch wenn es vom winterlichen Kopfjucken ist. Und wenn sie uns belehren wollen wie wichtig demokratische Verhältnisse sind, weil nur diese die Mächtigen daran hindern können vollends Mist zu bauen, dann belehren sie uns. Und wenn sie meinen, wir sollten uns angesichts des Ensetzens nicht so haben, weil alles ohnehin nur aus leerem Raum und ein bischen Bindungsenergie besteht, dann sagen sie's. Aber schreiben sie, denn wir lesen sie gerne.