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Zwischen Krieg und KlimakriseDie Blase der Unverwundbarkeit

Das Leben in der Komfortzone fühlt sich gleichzeitig vertraut und seltsam an, wenn Bilder von Krieg und Zerstörung ins Haus fluten.

Friedensdemonstration in Köln am Rosenmontag Foto: Björn Kietzmann

I ch blicke auf einen Innenhof, wo keine Raketen einschlagen. Meine Jungs schauen zwei Zimmer weiter „Star Wars“ und melden sich nicht als Freiwillige zur Armee. Im Hinterhof springen Eichhörnchen, Kohlmeisen und Spatzen durch die Äste. Bei Edeka gibt es wieder Rittersport für 69 Cents.

Das Leben in der Komfortzone fühlt sich gleichzeitig vertraut und seltsam an, wenn die Bilder von Krieg und Zerstörung ins Haus fluten. Wenn ich darüber schreibe, wie in der Ukraine Atomkraftwerke beschossen werden. Oder wieder mal ein Horrorbericht des Weltklimarats mit Negativrekorden bei den CO2-Emissionen zusammenfällt. Die Einsicht, dass viele Dinge gleichzeitig aus der Spur geraten. Das Gefühl: Das kann hier richtig schiefgehen.

Über 30 Jahre war dieses Bewusstsein weg. Als Kind in West-Berlin, wo im Osten, Westen und Süden meines Stadtteils Lichtenrade die Mauer stand, fühlte ich mich diffus bedroht. Jetzt verhält sich das russische Militär so, wie wir es damals erwarteten, wenn „die Russen kommen“. Dann fiel die Mauer und wir begannen, in einer Blase der Unverwundbarkeit zu leben. Als weißer Mann der Mittelschicht in einem der reichsten und friedlichsten Länder der Welt richtete ich mich in einer klimatisierten Wellnesszone ein. Krisen, Kriege, Krankheiten? Ja, aber anderswo und bei anderen. Und alles mit Geld und gutem Willen zu lösen.

Seit 20 Jahren überzeuge ich mich selbst vom Gegenteil. Wer die Berichte zum Klimachaos wirklich liest, den WissenschaftlerInnen wirklich zuhört und die dafür (un)zuständige Politik wirklich beobachtet, dem läuft immer mal wieder ein Schauer über den Rücken. Der kann es nicht fassen, wie langsam zu wenig passiert und wie borniert viele Verantwortliche sind. Wir sorgen uns, ob die Kinder die richtige Schule besuchen, ob man sich einen besser bezahlten Job suchen sollte oder woher diese Zahnschmerzen kommen. Und irgendwo unter den Alltagssorgen diese begründete Ahnung: Hier geht gerade etwas richtig schief.

Mit Corona wechselten diese Gedanken von chronisch zu akut. Und nun das: An einem Rosenmontag schießen sich russische Panzer durch ein europäisches Land. Am selben Tag beschreibt der Weltklimarat das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Und in Köln sagen sie (auf Hochdeutsch übersetzt): „Es ist noch immer gut gegangen!“

Eine sympathische Einstellung. Aber wie jeck muss man dafür sein?

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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8 Kommentare

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  • ... kann nur den Film "Don't look up!" empfehlen ... dieser gibt die aktuelle Lage ganz gut wieder, ebenso wie dieser Artikel ... die Frage, welche ich mir allerdings stelle ist, wie kann ich die Realität wahrnehmen und trotzdem weiterhin frohen Mutes meiner Wege gehen? Man lebt schließlich nur einmal!

  • Gut getroffen.



    Aber wie kriegen wir es hin, aus diesem merkwürdigen Dämmerschlaf aufzuwachen, in dem wir schon mitbekommen, was ungefähr los ist, aber unsere Handlungsfähigkeit noch nicht erlangt haben?



    Früher hatte ich manchmal beim Aufwachen "Schlaflähmung" - ich war wach, konnte mich aber ein paar Momente nicht bewegen. Der Trick war, mit den Augenlidern anzufangen, dann mit den Fingerspitzen und so weiter. Wie sieht denn aktuell das Äquivalent dazu aus? Es eilt!

  • Muss ich jetzt permanent als Spassbremse auftreten und als Bedenkenträger? Mich ständig hinterfragen ob ich lachen darf und einen rosecco trinken wenn Krieg in der Ukraine ist? Oder auf alles verzichten wegen der Klimakrise? Mundwinkel nach unten damit ich politisch korrekt bin bei all dem leid in und auf der Welt? Nee, nee, bei allem Ernst der Lage - ein bisschen Spass und Genuss und Freude muss tortzdem sein - look at the bright side of life....

  • "...dem läuft immer mal wieder ein Schauer über den Rücken. Der kann es nicht fassen, wie langsam zu wenig passiert..."



    Der kann es z.B. auch nicht fassen, wie Milliarden in Quatsch wie E-Autos versenkt werden (die lediglich die Emissionen von hier nach dort verschieben), wie Unbedarfte von Wärmepumpen mit "Strom vom eigenen Dach" faseln oder von Urwäldern als CO2-Senken (das Maximum der CO2-Aufnahme liegt bei ca. 30 Jahren), etc.



    Es passiert nicht nur zu wenig, sondern in weiten Bereichen unter dem Deckmantel "Öko" auch noch das Falsche.

  • Mein Eindruck ist, das da gerade mehrere Schleier weggezogen werden und wir in den kalten Maschinenraum der Politik blicken.



    Die letzten Jahren waren wir umnebelt von Lifestyle Werbung die nicht nur Produkte beworben hat, sondern ein Lebensgefühl. Es sei ok, in den Urlaub zu fliegen, die Welt zu entdecken, tolle "einzigartige" Erfahrungen zu sammeln, Fleisch zu essen, das so schön mit Ökosiegel verbackt wurde und customized Produkte zu kaufen, in Wunschfarbe, wo der Name eingraviert wurde.

    Jetzt ahnen wir, alles Bullshit - postkoloniales Konsumgehabe, das mit einer immensen Verdrängungsleistung alles ausblendet was damit an Umweltzerstörung und Konsequenzen zusammenhängt.

    Was davon ist noch o.k? Wir wissen es nicht. Auch ist es uns jetzt fast egal, weil nun wichtiger scheint, das wir die Basics behalten, eine warme bezahlbare Wohnung und Ernährung, eine Arbeit die das Geld dafür generiert und die Hoffnung das nicht bald Raketen in Berlin einschlagen, weil ein deutscher Politiker fand, er müsse Waffen in ein Kriegsgebiet liefern lassen.

    Die Frage ist, ob wir dieses Unbehagen, diese Irritation, dieses Blick in den Maschinenraum der Politik ohne Illusionen ertragen, ohne mental Schaden zu nehmen...

    • @Paul Schuh:

      Vielleicht erkennen wir aber auch, dass dieser maschinenraum dewegen so desolat ist, weil wir unseren Teil der arbeit nicht vernünftig machen.



      Alle vier jahre irgendwo ein Kreuz machen, ohne wenigstens vorher rational zu überlegen, wo es hinsoll, reicht halt nicht.

  • Vieles gerät nicht nur gleichzeitg aus der Spur sondern hängt ja auch zusammen. Die Pandemie wurde zumindest in der Form auch durch den Klimawandel erst begünstigt, vielleicht ermöglicht. Kaum etwas beschleunigt diesen wiederum besser (und sinnloser) als Krieg und die davon ausgehenden kaum quantifizierbaren zusätzlichen Bewegungen von Menschen wie Gütern, längst auch Informationen. Von dadurch erzwungenen Verlängerungen fossiler Energiegewinnung und mil. Aufrüstung gar nicht zu sprechen. Wenn es vor dem Hintergrund etwas gab, das nicht (mehr) hätte passieren dürfen, dann das. Und insofern auch und selbst die Mahnungen der Wissenschaft noch von gestern bis weiteres leider genau das, von gestern. Aber die seligen 30 Jahre wirken etwas verklärt oder beschaulich. Es gab jedenfalls 9/11, das schon in seiner Rasanz deutlich vergleichbarer als die gefrorenen Dekaden des Kalten Krieges und dessen (globaler) Fallout ja selbst Jahrzehnte überdauerte. Auch damals wurde sich nicht zuletzt um's Öl gesorgt. Die britische Außenministerin Liz Truss hat viel mehr diesen Bogen auch gerade erst versucht zu spannen. In der Einordnung wie ich meine genau richtig, da sie meint dessen Skala jetzt gerade wieder eingestellt zu haben. Das ist keine Untertreibung der momentanen Situation sondern eine erschreckende Feststellung, zumal sie das in Amerika gesagt hat. Ob es in Deutschland damals Karneval gab, weiß ich nicht. Dass die Invasion der Ukraine für uns in Europa bereits eine ganz andere Qualität hat steht natürlich außer Frage. Aber in all diesen Fällen, Klimawandel, Terrorismus, Putin, hat es nicht am fehlenden Wissen oder Warnungen gelegen. Und wenn's nun Menschen gibt, die darauf nur noch mit Humor reagieren, es verarbeiten können oder sich wenigstens das nicht nehmen lassen wollen, waren sie jedenfalls nicht das Problem. Man lacht nur einmal am besten.

    • @Tanz in den Mai:

      "Die Pandemie wurde zumindest in der Form auch durch den Klimawandel erst begünstigt, vielleicht ermöglicht."

      Der Zusammenhang erschließt sich mir nicht. Können Sie das etwas genauer erklären?