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Russische Attacke auf ukrainisches AKW„Beispiellose Situation“

Die Internationale Atomenergiebehörde reagiert entsetzt auf Moskaus Angriff aufs AKW Saporischja. Doch Strahlung soll nicht freigesetzt worden sein.

Ein Demonstrant in London protestiert gegen den russischen Angriff auf das AKW Tschernobyl Foto: Hesther Ng/dpa

Berlin taz | Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat sich entsetzt über den Angriff russischer Truppen auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischja gezeigt. Das sei eine „beispiellose Situation“, man bewege sich „komplett in unbekanntem Fahrwasser“, sagte IAEA-Generalsekretär Rafael Mariano Grossi im Freitag in Wien. Noch nie ist bisher ein laufendes Atomkraftwerk in einem Krieg von regulären Truppen attackiert worden.

„Für die IAEA ist es jetzt Zeit, zu handeln.“ Grossi erklärte sich bereit, selbst an den Ort der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl zu reisen, um dort mit russischen und ukrainischen Vertretern über ein Abkommen zu verhandeln, das das Verbot von Angriffen auf Nuklearanlagen bekräftigen solle.

In der Nacht zum Freitag hatten russische Truppen das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas in Saporischja angegriffen und besetzt. Dabei wurde ein Trainingszentrum neben den Reaktoren von einem Projektil getroffen und in Brand gesetzt. Zwei Wachleute seien verletzt worden, hieß es. Die sechs 1000-Megawatt-Reaktoren, ihre Brennelemente und ein Zwischenlager für strahlende Abfälle auf dem Gelände seien aber unbeschädigt, die Messinstrumente funktionierten nach Angaben der ukrainischen Betreiber und zeigten keine erhöhte Radioaktivität.

Nur ein Reaktor laufe normal, zwei weitere seien zur Sicherheit schnell heruntergefahren worden, die anderen lägen ohnehin still. Die Blöcke sind nach Angaben der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) so gebaut, dass sie auch den Absturz eines zehn Tonnen schweren Flugzeugs mit 750 km/h Geschwindigkeit überstehen können.

AKW dürfen nicht angegriffen werden

Die Leitwarte des AKW werde weiter von ukrainischem Personal betrieben, das aber von russischen Truppen umzingelt sei. Der Mannschaft blüht ein ähnliches Schicksal wie ihren KollegInnen am Unglücksreaktor und den Lagerstätten von Tschernobyl: Dort halten die russischen Besatzer nach Aussagen von Experten die Betriebsschicht praktisch an ihrem Arbeitsplatz gefangen, damit sie weiterarbeitet.

„Wir hatten Glück, dass keine Strahlung ausgetreten ist“, sagte IAEA-Generalsekretär Grossi. Er wiederholte die Prinzipien der IAEA, die „nicht zur Disposition stehen“, wie er sagte: „Nuklearanlagen dürfen nicht angegriffen werden!“. Zentral seien die „pyhsische Integrität“ der Anlagen, der garantierte Betrieb aller Sicherheitsanlagen und Messstationen, Sicherheit für das Personal, verlässliche Stromversorgung und Lieferketten und offene Kommunikation. „Wenn wir alle dieser Meinung sind, wie die Aufsichtsratssitzung am Mittwoch gezeigt hat, müssen unsere Worte etwas bedeuten“. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Russland und die Ukraine ein „Rahmenabkommen“ beschließen, dass „diese Prinzipien nicht verletzt werden dürfen.“

Schon vorher hatte die UN-Behörde darauf hingewiesen, dass sich alle 173 Staaten, die der IAEA beigetreten sind, verpflichtet haben, internationales Recht zu achten. 2009 hätten die Staaten außerdem offiziell erklärt, „jeder bewaffnete Angriff oder Drohung gegen Nuklearanlagen für friedliche Zwecke stellt eine Verletzung der UN-Charta, des internationalen Rechts und der IAEA-Statuten dar.“ Russland ist eines der wichtigsten IAEA-Mitglieder.

Sorge um weitere Atomanlagen

Deutsche Behörden wiederum halten bisher mögliche Auswirkungen aus dem Zwischenfall für ausgeschlossen. Da keine Radioaktivität ausgetreten sei, gebe es auch keine Gefahr, hieß es von Bundesumweltministerium, dem Bundesamt für Strahlenschutz und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit GRS. Die Behörden warnten vor der vorsorglichen Einnahme von Jodtabletten, die die Gesundheit gefährden könnten. Selbst bei einem Nuklearunfall in der Ukraine sei – wie nach Katastrophe von Tschernobyl von 1986 – nicht mit Maßnahmen des Katastrophenschutzes zu rechnen, sondern erst einmal mit Vorsicht bei Lebens- und Futtermitteln.

Der weitere Verlauf des Krieges macht der Atomgemeinde allerdings Sorge. Denn nach der Einnahme von Tschernobyl und Saporischja liegen noch weitere Atomanlagen zwischen den Fronten. Vor allem auf das AKW Süd-Ukraine richten sich bange Blicke der Experten: Das ältere und zweitgrößte ukrainische AKW habe einen deutlich schwächeren Berstschutz als Saporischja, hieß es. Auf diese Gefahren angesprochen sagte Generalsekretär Grossi nur: „Sie haben Recht mit Ihrem Hinweis.“

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9 Kommentare

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  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Das hat Frau Wendland, die ja auch hier in der Taz schon ihre Expertise ausbreiten durfte, inspiriert heute im WDR angesichts der breiten Berichterstattung über den AKW-Brand von Panikmache zu sprechen, die vom wahren Leid der ukrainischen Bevölkerung ablenke. Dass die Reaktoren für massiven Beschuss mit schweren Kriegswaffen nicht ausgelegt sind wollte sie dabei allerdings doch nicht in Abrede stellen. Aber wahrscheinlich würden die ganzen irren AKW-Gegner schon wieder Jodpillen horten wie damals bei Tschernobyl.

    • @164 (Profil gelöscht):

      Es ist Panikmache. Das getroffene Gebäude ist mehrere hundert Meter von den Kraftwerksblöcken entfernt. Rein militärisch betrachtet ist es ein normales Vorgehen eines Invasors, Schlüsselpunkte wie Kommunikationszentren, Wasser- und Energieversorgung zu übernehmen. Und im Falle eines Kernkraftwerkes wäre es einfach Selbstmord, selbiges zu zerstören, zumal auch in diesem Fall das eigene Territorium betroffen wäre. Insofern muß ich zu meinem Leidwesen Frau Wendland sogar recht geben.

      • @Wurstfinger Joe:

        Unglücke passieren nie geplant. Und das Granaten, raketen etc. mal ihr Ziel verfehlen, soll schon mal vorgekommen sein.



        Und wie seit heute bekannt ist, sind ja auch ein paar im Abklingbecken gelandet, zum Glück ohne Schaden anzurichten. Selbst wenn nicht gewollt... Krieg ist Krieg und nicht planbar... Militärtechnik ist ja nur die eine Gefahr, die anderen logistischen Probleme die mit einem AKW im Kriegsgebiet zusammenhängen fangen ja erst an. Und die können genauso zum Äußersten führen... Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt, jetzt schon von Panikmache zu sprechen verfehlt etwas die Lage...

    • @164 (Profil gelöscht):

      Bei Frau Wendland kann man wohl schon von einer ideologisierten Weltsicht ausgehen. Wenn selbst die IAEO in Aufregung ist, dann braucht es halt die ganz harten, um einen kühlen Kopf zu bewahren und die Fahne der Atomkraft hochzuhalten...

  • Womöglich war der Putinsche Angriff und die Besetzung der Tschernobyl-Ruine und des größten Atomkraftwerks Saporischja vorerst nur eine pragmatische Schutzmaßnahme vor dem eigenen Kriegsirrsinn. Man hält ja das aktuelle Betriebspersonal fest, damit dieses ja auch weiter für den sicheren Betrieb sorgt und nicht vom Krieg vertrieben wird beziehungsweise schlicht nicht mehr hinkommt. Ein paar Tage ohne Personal reichen bei der gefährlichsten Energieerzeugung der Welt ja schon aus um einen GAU zu produzieren. Aber da der Plan der schnellen Kapitulation der Ukraine bereits gescheitert ist sind die noch aktiven Atommeiler die halb Osteuropa mit Strom versorgen natürlich auch ein prima Mittel die Abhängigkeit von russischer Energie (mit der schon bestehenden Abhängigkeit von Gas und Öl) komplett zu machen. Ein Grund mehr sofort die erneuerbaren Energien auszubauen. Die vorübergehende Notwendigkeit Energie drastisch einzusparen um über den nächsten Winter zu kommen wird diesen Ausbau sicher rasant beschleunigen und ist dabei tatsächlich nachhaltig, wir brauchen das sowieso für den Klimaschutz. Ganz im Gegenteil zur Atomkraft für deren strahlende Abfälle es immer noch keine sicheren Endlager gibt und deren GAUs mit Tschernobyl und Fukushima ja bereits in Friedenszeiten passierten.

  • wie war das mit Atomlraft ist die sicherste Energieerzeugung...?

    • @nutzer:

      Das scheint mir mal wieder ein Zitat von diesem Strohmann, unerschöpflicher Kerl. Davon abgesehen würde ich mich in einem Krieg vor einem Kohlekraftwerk nicht unbedingt sicherer fühlen oder vor ner Windkraftanlage, eher sogar im Gegenteil. Wobei der richtiggehende Beschuss in keinem dieser Fälle überhaupt sehr viel mit dem angedachten (und ausgelegten) Zweck zu tun hat, ich würde das schon unterscheiden, letztlich ist jedes Gebäude potenziell Todesfalle wenn du drin bist und jmd. schießt aus dicken Rohren. Das heißt nicht dass Wohnen per se unsicherer ist. Mir bereiten die Kraftwerke auch in der Ukraine grad noch so mit die geringsten Sorgen, aber ich sorge mich grundsätzlich auch mehr um Menschen, zumal keiner von denen im Ansatz geschützt wäre wie eine kerntechnische Anlage. Und ob man das hier jetzt gleich Attacke nennen kann oder nicht, es ist offensichtlich nicht die feine Art, aber ich meine es sollte inzwischen wirklich jedem klar geworden sein, dass dort Krieg ist. Und wenn das so ist, hast du andere Probleme als sichere Energieerzeugung.

  • Kann durchaus möglich sein, man möchte eine zweite Atomruine nur deswegen vermeiden, weil im Einzugsbereich noch sehr viele russischsprechende Menschen leben. Wäre sonst ein Anschlag auf das eigene Volk, und das kann Putin sich ja nicht leisten.

    Auf der anderen Seite.... wie oft der Putin schon über Leichen gehen kann. Jede einzelne Faser der Teppiche in seinem Büro und all den Fluren die er entlang läuft müsste man gleichsetzen mit jedem einzelnen Leben, die er nun auf dem Gewissen hat. Ob er da noch schlafen kann? Meine Vermutung sagt: Ja.

    • @Troll Eulenspiegel:

      wieso kann er sich das nicht leisten? Wenn das Volk tot ist, regiert der König allerdings alleine .. zu spät für irgendeine Antwort auf dem Killer mit seinem Napoleon Komplex