piwik no script img

Ukrai­ne­r:in­nen in DeutschlandDer Schlüssel zur Flüchtlingshilfe

Täglich kommen Tausende Ukrai­ne­r:in­nen in Großstädten wie Berlin und Hamburg an. Nun sollen die Menschen auf die Länder verteilt werden.

Ein Bett mit Handtuch steht in einer Dresdener Turnhalle zur Unterbringung von Geflüchteten bereit Foto: Robert Michael/dpa

Berlin taz | Diana Henniges ist aufgebracht. „Wir sind weit entfernt davon, die Lage im Griff zu haben.“ Mit „die Lage“ meint Diana Henniges vom Berliner Verein Moabit Hilft die Situation am Berliner Hauptbahnhof, wo jeden Tag Tausende aus der Ukraine geflüchtete Menschen ankommen. „Jede Nacht schlafen Hunderte Geflüchtete im Bahnhof auf den Bänken, auf dem Boden und in den Toiletten“, hatte die Hilfsorganisation am Wochenende in einer Presseerklärung beklagt. Und die Hauptlast bei der Erstversorgung der Menschen liege noch immer bei den Ehrenamtlichen, kritisiert Henniges.

Knapp 160.000 aus der Ukraine Geflüchtete hat Deutschland seit Beginn der russischen Invasion registriert. In Wahrheit sind wohl bereits deutlich mehr Menschen angekommen, denn Ukrai­ne­r*in­nen können sich in der Bundesrepublik für 90 Tage visafrei bewegen, und viele dürften direkt zu Verwandten oder Bekannten gefahren sein.

Allein in Berlin kommen jeden Tag im Schnitt 10.000 weitere Menschen an. Die Hauptstadt sei „deutlich mehr belastet als andere Regionen“, sagte am Dienstag Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Auch in anderen Großstädten wie Hamburg und München ballen sich die Ankünfte, ebenso wie im an Polen grenzenden Bundesland Brandenburg. Giffey betonte deswegen die Bedeutung der „föderalen Solidarität“ – dass also die Menschen gleichmäßiger als bisher auf alle Bundesländer verteilt werden. „Wir haben inzwischen mehrfach auf den Wunsch nach Bundesunterstützung hingewiesen“, sagte sie.

Seit Tagen schon drängen verschiedene Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände darauf, dass der Bund sich in die Verteilung und Versorgung der Geflüchteten einschaltet. Am Freitag meldeten einige Länder, die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft. Schon am Freitag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündet, dass die Menschen nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt werden sollen – also entsprechend Steueraufkommen und Bevölkerungszahl. Faeser versprach den Ländern und Kommunen auch, der Bund werde sich an den Kosten für die Aufnahme der Menschen beteiligen. Wie genau, wird am Donnerstag Thema auf der Ministerpräsidentenkonferenz sein. Um Chaos und lange Wartezeiten am Ankunftsort zu vermeiden, soll zudem die Registrierung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vereinfacht werden. Wer auf der Durchreise in ein anderes Land nur kurz Unterkunft und Verpflegung benötige, müsse nicht erkennungsdienstlich behandelt werden.

Neues Ankunftszentrum am Ex-Flughafen Tegel

Für die Unterbringung der Menschen sollen auch Gebäude der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) genutzt werden. Hierfür müssen die Länder oder Kommunen dann Betreiber stellen. Die Eintreffenden sollen über das sogenannte Easy-Verfahren registriert werden, das Bundesverkehrsministerium soll ihren Transport in die Länder organisieren. Die Länder sollen gegenüber dem BMI ihre Zustimmung signalisiert haben, neue Unterbringungsplätze zu schaffen. In Berlin etwa soll bis zum Ende der Woche ein neues Ankunftszentrum am ehemaligen Flughafen Tegel den Betrieb aufnehmen, in Zelten und Containern sollen dort bis zu 7.500 Schlafplätze entstehen.

Wir haben mehrfach auf den Wunsch nach Bundes-unterstützung hingewiesen

Franziska Giffey, SPD

Es führen bereits „viele Busse und es fahren Züge, um insbesondere Berlin und Brandenburg, aber auch Städte wie Hamburg und München zu entlasten und Geflüchtete in andere Bundesländer zu bringen“, sagte Fae­ser am Freitag. Dass so viele Menschen in Großstädten ankommen, liege zu einem Großteil ganz pragmatisch an der Logistik, sagt der Osnabrücker Migrationsforscher Franck Düvell: „Die Menschen reisen dorthin, wo die Züge sie hinbringen.“

Das soll nun entzerrt werden. So einigte sich die Bundesregierung nach taz-Informatio­nen mit Polen darauf, in den Städten Rzepin bei Frankfurt (Oder) und Wrocław zwei Sammelpunkte zu schaffen, sogenannte „Hubs“. Von dort sollen Busse und Pendelzüge koordiniert nach Deutschland geleitet werden. Zu einer zentralen Ankunftsstelle soll Cottbus in Brandenburg werden.

Pro Asyl warnt davor, die Menschen ausschließlich mit Blick auf die Kapazitäten der Länder zu verteilen. „Statt nach einem starren Schlüssel zu handeln, müssen die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt werden“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. In Deutschland leben rund 331.000 Menschen mit einem ukrainischen Migrationshintergrund. Viele nun Flüchtende kämen bei Angehörigen und Verwandten unter, sagt auch der Migrationsexperte Düvell. „Da passiert eine automatische Umverteilung von unten, übrigens auch in kleinere Städte und Dörfer. Und es ist mit Blick auf die psychosoziale Lage der Menschen auch viel besser als eine Unterbringung in großen Unterkünften.“ Düvell plädiert dafür, dass Bund und Länder diese Prozesse unterstützen.

In Berlin ist genau das geplant: Wer eine Anschrift in Berlin angeben könne, weil er zum Beispiel bei Verwandten unterkomme, solle unbürokratisch Zugang etwa zu einer Arbeitserlaubnis bekommen, sagte Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Dienstag. Diese Menschen sollten Berlin dann bei der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel angerechnet werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Danke für den sehr informativen Bericht. Gerald Knaus, Flüchtlingsexperte, hat gerade in der Zeit einen Weckruf an Politiker in ganz Europa gesendet.



    www.zeit.de/politi...uftbruecke/seite-2



    "Mindestens zwei Millionen Menschen, wahrscheinlich sogar viel mehr, vor allem Frauen und Kinder, werden also in den nächsten Wochen eine Unterkunft und Aufnahme suchen". Er fordert deshalb, sofort eine Luftbrücke innerhalb der EU einzurichten, damit die Flüchtlinge EU-weit verteilt werden können.



    "..Ja, selbst wenn die sofortige, europaweite flüchtlingspolitische Mobilisierung gelingen sollte, müssten sich Deutschland und Österreich darauf einstellen, mehr als eine Million Menschen selbst aufzunehmen."



    Der Flüchtlingsexperte fordert ein internationales Koordinierungsteam, um die Verteilung der Flüchtlinge in ganz Europa zu planen und zu managen.



    Die Politik in Deutschland scheint sich der Dimension der Aufgabe nicht bewusst zu sein. Aller Voraussicht nach braucht es zusätzlich ein riesiges neues Wohnungsbauprogramm, Hotelanmietungen in großer Zahl, Hunderte neue Lehrer- und - Psychologenstellen, um der Dimension der größten Flüchtlingswelle seit dem 2. Weltkrieg auch nur im Ansatz gerecht zu werden.



    Vor allem ein psychologisches Notprogramm für Kinder, Eltern aus der Ukraine ist unabdingbar. Doch woher soll das aufgrund der allgemeinen Unterversorgung in ganz Deutschland kommen? Es braucht sofort viel Geld, damit ein Anreiz geschaffen wird, dass Psychologen ihren Arbeitseinsatz stark erhöhen.



    Statt die Milliarden-Kosten für all die Dinge seriös einzuplanen, wird um 20 Cent Bürger-Spritzuschuss durch den Staat gefeilscht. Diese 20 Cent pro Liter sind das Mindeste, was eine seriöse Finanzpolitik bräuchte, um die entstehenden Kosten abzudecken. Aber diese Diskussion will (noch) keiner führen.



    www.zeit.de/politi...uftbruecke/seite-3

    • @Lindenberg:

      Ach wo, wir brauchen doch nicht mehr Lehrkräfte für alles und v.a. für DaZ, Berater*innen in den (Jugend)Migrationsdiensten, Psycholog*innen, die sich mit Trauma auskennen und innerhalb der nächsten 10 Jahre einen Platz frei haben... die Kostenübernahme der Sprachmittlung im Gesundheitswesen ist auch wurscht und Termine bei Haus- und Kinderärzt*innen werden überbewertet.



      (Sarkasmus ist auch eine Form der Psychohygiene.)

      Es ist toll und ich freu mich, dass die EU ihre Richtlinie nutzt, sie hätte das auch ab 2014 schon für die Flüchtenden aus Syrien und Afghanistan so handhaben können. Sehr bitterer Beigeschmack, dieser Rassismus, der dazu führt, dass noch immer Menschen ohne Integrationskurszulassung hier leben, die natürlich nicht in ihr längst nicht befriedetes Heimatland zurückkönnen, Familien, die in kleinen kommunaleen Unterkünften hängen bleiben, weil für Afghan*innen und Pakistaner*innen keiner sich bei Vermiter*innen stark macht und die Gemeinden statt sozialem Wohnraum luxuriöse Eigentumswohnungen fördern und geschotterte EFH-Siedlungen; Jugendliche, denen mangels DaZ-Unterricht keine Chance auf einen zeitlich regulär erreichbaren Schulabschluss gegeben wurde, Lehrer*innen, die aufm Bau neu anfangen, weil ihre Abschlüsse nicht mal ansatzweise anerkannt werden und das Landesministerium muttersprachlichen Unterricht in Arabisch oder Dari für unnötig hält - und überhaupt: hier muss man 2 Fächer studiert haben, Punkt! Und wir Beratungsstellen kriegen vom Land u/o Bund keine neuen Stellenanteile, sondeen höchstens Vorgaben, dass wir mit gleicjen Ressourcen einfach mehr Leute in gleicher Qualität beraten und öabgfristig begleiten sollen, ja, so geht das hier. Ellenlange Versäumnisse der letzten Jahre, die durch hehre Versprechen gegenüber Ukraine-Geflüchteten nicht wettgemacht werden können. Und ich wünsche allen, die flüchten, dass sie heil in Sicherheit ankommen - und natürlich geben wir unser Bestes für sie!

    • @Lindenberg:

      Nun ja, die Frage ist ja, wie die Menschen in Deutschland das akzeptieren.

      Ich spreche nicht über mich. Ich verdiene gut, und selbst, als das nicht der Fall war, hatte ich gemäßigte Ansprüche.

      Aber, als ich heute, gefrustet, anmerkte, ich würde einem Herrn W. P***n gerne in die H***n treten, antwortete eine Kollegin spontan, da gäbe es ganz Andere. Nachgefragt, wen sie meine, wurde der deutsche Finanzminister genannt, wegen der Spritpreise. Eine andere Kollegin wollte von ukrainischen Flüchtlingen gar nichts hören ...

      Es ist traurig. Einen kurzen, einen ganz kurzen Moment dachte ich, "wir schaffen das" und war darüber froh (mit der kleinen Trübung der Freude, was es über 'unseren' Rassismus aussagt, dass wir es bei weissen Flüchtenden schaffen könnte (weil wir es wollten), während das bei nicht-weissen nicht ginge. Inzwischen habe ich meine Sorgen, ob die Solidarität wenigstens für weisse Christen ausreicht. Ich befürchte, sie wird die ersten 4 Wochen nicht überstehen. Das Eine ist so schlecht, wie das Andere und zeichnet ein ganz übles Bild unserer Moral.

      Das betrübliche ist: In dieser miesepetrigen, neidischen, mißgünstigen Ich-Bezogenheit, eignen 'wir' uns hervorragend für die nächste Sündenbock-Story, a.k.a. Faschismus.

  • Hier sind jetzt auch geflüchtete angekommen. Muss sagen, sie haben Glück: dieses Mal erspart man ihnen monatelange Verwahrlosung in Flüchtlingslagern, bis fast der letzte Rest an Menschenwürde draufgegangen ist. Das sei ihnen gegönnt, ich bin gleichzeitig sehr verbittert, dass dies bei anderen Russlandflüchtlingen - aus Syrien! - nicht möglich war.