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Hochschulen und der UkrainekriegLehrauftrag im Kriegsgebiet

Die Europa-Universität Viadrina unterhält enge Verbindungen in die Ukraine. Nun versucht sie, möglichst viele Menschen von dort zu retten.

Sorgen sich um die Menschen in der Ukraine: Friedensgebet in Frankfurt (Oder) Ende Februar Foto: imago/Winfried Mausolf

Bevor der ukrainische Historiker Kyrylo Tkachenko seinen Impulsvortrag startet, schiebt er eine Entschuldigung vorweg: „Ich bin in Kiew gerade, es kann sein, dass ich jederzeit aufbrechen muss.“ Endlich habe er seine Frau und seine Eltern überredet, sich und die Kinder in Sicherheit vor den russischen Bomben zu bringen und die Stadt zu verlassen. „Das geschieht jetzt“, sagt Tkachenko auf Deutsch in seiner Kiewer Küche, von der er live zugeschaltet ist.

Im Hintergrund sieht man bunte Kinderzeichnungen am Kühlschrank. Eine Viertelstunde will Tkachenko an diesem Freitagnachmittag über das „Ukraine-Bild in Deutschland und Ukraine-Forschung in Krisenzeiten“ reden – auf Einladung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), an der er von der Ukraine aus promoviert.

Es sind Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie Tkachenko, um die sich Kol­le­g:in­nen in Deutschland derzeit sorgen. Laut Angaben der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) waren im vergangenen Sommersemester 116 deutsche Hochschulen und damit etwa jede vierte an einer Kooperation mit der Ukraine beteiligt.

„Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die als Folge der russischen Aggression ihr Land verlassen müssen, werden wir im Rahmen umfassender Hilfsprogramme Unterstützung anbieten“, verspricht die HRK in einer gemeinsam mit den wichtigsten deutschen Wissenschaftsorganisationen verfassten Stellungnahme. Nur: Wie konkret kann die Hilfe aussehen, wenn Städte eingekesselt sind, die Flucht lebensgefährlich ist und männliche Ukrainer ihr Land nicht verlassen dürfen?

Anruf bei der Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Julia von Blumenthal. Mit vier ukrainischen Hochschulen unterhält die Viadrina enge Beziehungen: zwei davon in Kiew, je eine in Lwiw und Charkiw. Vor allem um die Kol­le­g:in­nen aus Charkiw macht sich von Blumenthal große Sorgen. Die Stadt steht seit Tagen unter schwerem Beschuss, mehrere Gebäude der Nationalen W.-N.-Karasin-Universität wurden durch die russische Bombardierung schwer beschädigt.

„Alles, was wir können“

„Wir wissen, dass wir in dieser schweren Situation nur bedingt helfen können“, sagt von Blumenthal. „Aber wir tun alles, was wir können.“ Dann zählt sie auf: Online-Veranstaltungen zur Ukraine, bei denen Kol­le­g:in­nen von vor Ort als Ex­per­t:in­nen geladen sind, Solidarität spüren und auch ein Sprachrohr zur Welt bekommen. Die Vergabe von Online-Lehraufträgen, um sie auch finanziell zu unterstützen – sofern das Kriegsgeschehen (und die Internetverbindung) dies zulasse.

Und, für die, die sich nach Deutschland retten können: Hilfe beim Ankommen und bei der Vermittlung von Stipendien und Stellen. Mehrere Personen seien schon über die Verbindungen der Hochschule bis zur polnisch-deutschen Grenze gelangt und, gleich auf der anderen Seite, im Gästehaus der Viadrina untergebracht worden.

Zudem hat die Uni einen Hilfsfonds für die Ukraine eingerichtet und 100 Plätze im Wohnheim für aus der Ukraine geflohene Menschen bereitgestellt. Die Viadrina prüft, wie sie für Studierende und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Partner-Unis die Möglichkeit schafft, für Studien- und Forschungsaufenthalte nach Deutschland zu kommen. „Seit Beginn der russischen Invasion gibt es für uns eigentlich kein anderes Thema mehr“, sagt Präsidentin von Blumenthal.

In ganz Deutschland versuchen Hochschulen derzeit Hilfe zu leisten: Studierende sammeln Hilfsgüter, Unileitungen richten Nothilfefonds für ukrainische Studierende ein oder organisieren Benefizkonzerte zugunsten von Kriegsflüchtlingen. Programme zum Schutz bedrohter Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie die Philipp-Schwartz-Initiative haben reagiert und erlauben Nachmeldungen für „akut gefährdete“ ukrainische Wissenschaftler:innen.

Hilfe vom Bund?

DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee glaubt nicht, dass das reicht, um allen ukrainischen Studierenden und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen „eine Perspektive bieten“ zu können. Sollte der Krieg in der Ukraine länger dauern, müsse die Bundesregierung die Hochschulen finanziell unterstützen. Darüber liefen bereits Gespräche, teilt der DAAD auf taz-Anfrage mit. Wo sich alle Beteiligten jedoch sofort einig waren: dass sämtliche Kooperationsprojekte mit russischen Partner-Unis auf Eis gelegt werden – auch an der Europa-Universität Viadrina. Alles andere sei in der aktuellen Situation das falsche Signal, so von Blumenthal.

Für die Europa-Universität Viadrina gilt das vielleicht ganz besonders. 1991 wurde sie mit dem Auftrag gegründet, die deutsch-polnische Zusammenarbeit zu fördern und Impulse für die europäische Integration zu entwickeln. Heute hat die Viadrina mehr als 250 Partner-Unis weltweit, überwiegend in Mittel- und Osteuropa. Die 5.209 Viadrina-Studierenden kommen aus 107 Ländern. Die Ukrai­ne­r:in­nen stellen dabei – nach Deutschen, Po­l:in­nen und Tür­k:in­nen – die viertgrößte Gruppe. Dazu kommt, dass an der Viadrina der deutschlandweit einzige Lehrstuhl für die Geschichte der Ukraine angesiedelt ist und zahlreiche Ukrai­ne­r:in­nen an der Uni forschen oder arbeiten.

Einer von ihnen ist Oleksii Isakov. Der 32-Jährige koordiniert an der Viadrina seit sieben Jahren das Austauschprogramm Erasmus+, das sich gezielt an Studierende außerhalb der EU richtet. An die Viadrina kommen darüber Austauschstudierende aus der Ukraine, Georgien, Kosovo und Russland. „Den ukrainischen Austauschstudierenden haben wir bereits zugesichert, dass sie länger bleiben können“, sagt Isakov. „Und denen, die für das kommende Semester eine Zusage haben, stellen wir die ab April geplante finanzielle Unterstützung schon jetzt in Aussicht, wenn sie früher kommen möchten.“

Steigende Nachfrage

Täglich bekommen Isakov und die rund 20 weiteren Mit­ar­bei­te­r:in­nen im International Office der Viadrina Hilfsanfragen über ihre Programm-Netzwerke. Etwa von einer Studentin aus Kiew, die schon nach Deutschland geflohen ist und wissen will, ob sie ihr Wirtschaftsstudium in Frankfurt fortsetzen kann. „Fachlich und sprachlich passt das – sieht also gut aus“, sagt Isakov. Mittlerweile hat er der Studentin die gute Nachricht überbracht.

„Dass ich von Deutschland aus meinem Land und Menschen aus der Ukraine helfen kann, gibt mir viel Kraft“, sagt Isakov, dessen Familie aus der Hafenstadt Odessa kommt und aktuell dort bleibt. „Immer wieder denke ich, dass ich gerne meine Heimat vor Ort verteidigen möchte. Gleichzeitig ist mir aber klar, dass ich ohne jegliche Militärerfahrung von Deutschland aus viel mehr Hilfe sein kann.“

Die deutschen Hochschulen werden Leute wie ihn gut brauchen können. Bisher sind seit Kriegsbeginn über 60.000 Ukrai­ne­r:in­nen nach Deutschland eingereist. Wie viele Aka­de­mi­ke­r:in­nen darunter sind, ist nicht bekannt. Oleksii Isakov rechnet damit, dass die Anfragen in den kommenden Wochen deutlich steigen werden.

Für die, die in der Ukraine zurückbleiben, bleiben nur Kampf und Hoffnung. Als der Historiker Kyrylo Tkachenko mit seinem Impulsvortrag beginnt, sagt er den bemerkenswerten Satz: „Putin kann den Krieg nicht mehr gewinnen.“ Zu sehr habe er sich das ukrainische Volk zum Feind gemacht. Die Frage sei nur, wie viele Menschen Putin mit sich ins Verderben zieht.

Tkachenkos Familie zum Glück nicht mehr. Sie ist mittlerweile, einige Tage nach dem Online-Vortrag, in Sicherheit – auch dank der Hilfe von Menschen, die an der Europa-Universität Viadrina arbeiten.

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