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Kundgebung für Dilan SözeriGegen Rassismus, für Zivilcourage

Nach dem mutmaßlich rassistischen Angriff auf eine 17-Jährige demonstrierten Hunderte in Berlin. PassantInnen hatten beim Überfall nur zugeschaut.

Dilan Sözeri wurde von Erwachsenen aus rassistischen Gründen angegriffen und niemand half Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin taz | Trotz anhaltenden Regens haben mehrere hundert Menschen am Sonntagnachmittag demonstriert, um ein Zeichen der Solidarität mit Dilan Sözeri und gegen Rassismus zu setzen. Auf einer Parkfläche in der Nähe der S-Bahn- und Tramhaltestelle Greifswalder Straße hielten sie eine Kundgebung unter dem Motto „Schaut nicht weg“ ab.

Der Ort war nicht zufällig gewählt – wie der zweite Redebeitrag zeigte: „Mein Name ist Dilan Sözeri, ich bin 17 Jahre alt und gebürtige Berlinerin. Ich wurde am 5. Februar von sechs Erwachsenen hier an der Greifswalder Straße rassistisch beleidigt und verprügelt, weil sie dachten, ich wäre Ausländerin“, ertönt es durch die Lautsprecher.

Sözeri beschrieb den Tatvorgang. Sie habe sich gefühlt wie ein kleiner Wurm, der von Vögeln aufgefressen werde. Nur seien die Vögel sechs rassistisch motivierte Erwachsene gewesen. Niemand der umstehenden Menschen an der Haltestelle habe eingegriffen und geholfen.

Der Fall hat nach einem Instagram-Statement von Sözeri große Aufmerksamkeit erregt – auch weil die Polizei zunächst das rassistische Tatmotiv unerwähnt ließ. Die ersten Medienberichte hatten zunächst unter Berufung auf die Polizeimeldung berichtet, dass die 17-jährige verprügelt worden sei, da sie keine Maske getragen habe.

„Das macht mir Angst“

Der Fokus auf die mutmaßlich rassistischen Hintergründe der Tat kamen erst durch Sözeris Instagram-Video ans Licht. Die Öffentlichkeit sei zwar wichtig gewesen, damit der Vorfall richtig gestellt wurde, bringt Sözeri aber auch in die Schusslinie weiterer Anfeindungen, wie sie auf der Kundgebung sagt. Ihr Instagram-Profil hat sie mittlerweile gelöscht: „Ich kann seitdem nachts nicht mehr ruhig schlafen“, erzählt sie, den Tränen nahe. „Immer wieder sehe ich diese agressiven Gesichter vor mir. Das macht mir Angst.“

Der Vorfall habe Sözeri sehr verunsichert. Sie erzählt, dass sie sich seitdem immer wieder fragt, warum Menschen meinen, sie gehöre hier nicht hin. Sie habe für eine gewisse Weile ihren Glauben an die Menschheit verloren. Dass so viele Menschen am Sonntag zusammengekommen sind, um sich mit ihr zu solidarisieren zeige ihr aber, dass es noch Hoffnung gibt. Auch die vielen positiven Nachrichten, die sie erreichen, gäben ihr Kraft und Mut, sich entschieden gegen Rassismus zu wehren.

Trotzdem bleibt neben der fragwürdigen Kommunikation der Polizei die Frage, warum niemand der Umstehenden geholfen hat. „Auf all diese Fragen werden wir auch heute keine Antwort finden“, sagte Ferat Kocak von der Linken auf der Kundgebung. An diesem Sonntag solle aber zumindest sichtbar werden, dass Sözeri nicht allein ist – und wie man sich gegen rassistische Gewalt organisieren und schützen kann.

Wie das gehen kann, zeigen immer wieder Organisationen wie Reach Out, eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die auf der Demo über Zivilcourage aufklärten. Das Signal der Kundgebung jedenfalls war klar: Zeigt Zivilcourage, damit rassistische Angriffe wie der auf Sözeri sich nicht wiederholen.

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6 Kommentare

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  • @AUSBERLIN

    Natürlich kann ich mir auch niczt sicher sein (obwohl ich mir in einer solchen Situation bereits eine gefangen habe :)

    Wenn mensch sich das aber nie vor Augen führt ist die Wahrscheinlichkeit des Eingreifens geringer...

    Wenn Sie sich bei mir sicher fühlen, dann freut mich das natürlich :)

  • "bleibt ... die Frage, warum niemand der Umstehenden geholfen hat."



    Zustimmung, Gleichgültigkeit, Angst.

  • @FRANZ FRAGE

    Das ist nicht "der Job von". Das sollte unser aller Anliegen sein.

    Heisst, glaube ich, Zivilcourage.

    Und ja, es hiesse nicht so, wenn mensch nicht bereit wäre auch ein Risiko dabei einzugehen.

    Und ja, es kostet Überwindung, da einzugreifen.

    • @tomás zerolo:

      Große Worte. Ich bin nicht sicher, ob ich eingegriffen hätte.



      Aber bei Ihnen mache ich mir keine Sorgen, da fühle ich mich sicher.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Trotzdem bleibt neben der fragwürdigen Kommunikation der Polizei die Frage, warum niemand der Umstehenden geholfen hat."

    Vielleicht weil man nicht den Job der Politik, Polizei, Stadtverwaltung oder BVG machen muss? Oder erinnert sich noch jemand an dem Helfer in der Münchner S-Bahn der totgetreten wurde?

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Helfen, wenn jemand in Not gerät, ist nicht allein der Job der Polizei, und kann in der akuten Situation gar nicht Job "der Politik", oder "der Stadtverwaltung" sein. BVG wäre in dem Fall der/die Tramfahrer*in gewesen - ja, dessen "Job" wäre es auch gewesen. Und eben die Verantwortung aller Anwesenden.

      Ich habe als Berlinerin schon oft kleinere und größere gewaltvolle Situationen deeskaliert - oft hilft es schon, laut "hören Sie auf" zu schreien, oder die Bedrängte zu fragen, ob sie Hilfe braucht und wegzuführen, oder sich ruhig und selber nicht aggressiv in den Weg zu stellen, oder, oder... ja, es mag Überwindung kosten, aber es ist möglich. Ich finde es schwer erträglich, dass in dieser Situation niemand geholfen hat.

      Jede*r wünscht sich doch in einer entsprechenden Situation Unterstützung für sich, für die eigenen Kinder.