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Menschen und GegenständePutins Tisch für 599 Euro

Sicher, am Design von Putins Tisch müsste noch gearbeitet werden. Aber so eine Aura der Unnahbarkeit wäre auch im Arbeitsleben wünschenswert.

Putin, der Tisch und Scholz, in Moskau am 15. Februar Foto: Mikhail Klimentyev/Sputnik/Pool/reuters

E ntschuldigen Sie, heute habe ich nicht viel Zeit, ich muss zu Ikea, da gibt’s jetzt Putins Tisch für schlappe 599 Euro. Na ja, natürlich nicht wirklich. Von skandinavischem Design ganz zu schweigen, ist dieser Tisch so weit entfernt wie die Menschen, die an ihm sitzen, voneinander. Weißer Pomp auf drei plumpen Säulen wird sicher nie ein Klassiker – obwohl Putins Empfangstisch eigentlich die wichtigste Voraussetzung für gutes Design erfüllt.

Form follows function, die Form folgt der Funktion: maximale Distanz zu den verhassten westlichen Kollegen. Andererseits lässt der Trumm-Tisch Putin selbst auch relativ klein aussehen, was noch von der für seine Oberkörperlänge ungünstigen Sitzhöhe unterstrichen wird. Der Bärentöter Putin sitzt am eigenen Tisch immer ein bisschen wie ein Junge bei den Schularbeiten.

Aber angenommen, Ikea oder Ligne Roset würden noch etwas am Design tüfteln, dann wäre so ein Tisch auch für mich interessant. Eigentlich möchte ich nur dann aus dem Homeoffice ins Büro zurückkehren, wenn mir und allen anderen so ein Tisch als Arbeitsplatz im anscheinend nicht totzuhustenden Großraumbüro bereitgestellt wird. Was für Vorteile das hätte, wird mir erst jetzt – Danke, Putin! – bewusst. Vorbeischlendernde Mansplainer etwa müssten schon tief Luft holen, um mir die Lage im Nahen Osten zu erklären – und im Zweifel würde ich sie gar nicht hören auf die Entfernung. Ja, es wäre eigentlich nur die Fortsetzung vieler Gespräche mit anderen Möbeln – jeder redet unbehelligt vor sich hin!

Die schiere Distanz eines solchen Tischs verschaffte einem nicht nur genug personal space, was ja in Zeiten von Corona Gold ist, sondern auch etwas, das Rilke so beschreibt: „So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten, voller Erscheinung, aus der Ferne an“ – eine Aura im Benjamin’schen Sinne. Benjamin verwendet den Begriff, um das Spezifische eines Kunstwerks zu beschreiben, das sich durch seine Unnahbarkeit und Einmaligkeit auszeichnet und dadurch, dass es an einen Ort gebunden sowie in die Geschichte eingebettet ist. Allerdings ist diese Aura aber etwas, das durch die Reproduzierbarkeit von Bildern perdu ist. Demnach könnten nur Scholz oder Macron Putins Aura am langen Tisch gespürt haben, uns, die wir nur die Bilder sehen, bleibt die Erfahrung verwehrt.

Wie weit sitzen solche Männer von ihren Gefühlen entfernt?

Die Frage ist: Möchte Putin ein Kunstwerk sein oder nur signalisieren, was eh alle wissen: dass ihm völlig wumpe ist, was sein Gegenüber zu sagen hat? Würde, das ist ja wie mit großen Autos, verleiht ihm der große Tisch jedenfalls nicht. Und wenn es ihm tatsächlich darum geht, gehört zu werden, schießt er sich mit dem Tisch selbst in den Fuß, denn am anderen Ende würde zumindest ich gar nicht mehr hören, was er sagt.

Putin, der Tisch und Macron, in Moskau am 7. Februar Foto: Mikhail Klimentyev/Sputnik/Pool/reuters

Aber die Unnahbarkeit, die mit dieser Aura kommt, die würde ich mir – so gut ich einander hören auch finde – schon bisweilen wünschen. Gegen Kollegen bei früheren Arbeitgebern, die sich gern mal sehr dicht hinter meinen Stuhl gestellt oder mir gleich ungefragt die Schultern massiert haben, hätte Putins langer Tisch auch nicht geholfen – allerdings ließen die sich eh mit einer hochgezogenen Augenbraue vertreiben.

Aber das echte, fiese Patriarchat, gegen das ich mir und allen Frauen mehr Unnahbarkeit wünsche, ist, woran mich heute auch das SZ-Magazin erinnert, immer noch überall. Noch immer wird in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von einem Mann getötet, meistens ist es ihr Partner oder ihr Ex. Ich frage mich, welcher überdimensionale metaphorische Tisch liegt zwischen den kleinen süßen Jungs, die auf den Spielplätzen rumflitzen, und solchen Typen?

Klar, jeder Erwachsene ist selbst für sein Verhalten verantwortlich, aber bei dieser Datenlage fragt man sich schon, was da schiefläuft. Wie weit sitzen solche Männer von ihren eigenen Gefühlen entfernt? Warum hat ihnen niemand gesteckt, dass sie auch ohne Monstertisch, ohne Freundin, ohne Weltmacht ganz okay sind? Dann könnten wir alle hübsch an Nierentischchen sitzen, entspannt wippend auf unseren geschmackvollen Breuer-Stühlen, wie echte Erwachsene.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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13 Kommentare

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  • Theater im Irrenhaus!

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Ein bisschen Gaga ist das schon mit dem Tisch.



    Wo ist der schwarze Hund?

  • Dieser Tisch zeigt doch nur die große Angst seines Eigentümers über denselben gezogen zu werden.

    Die Moderation: Kommentar gekürzt, bitte halten Sie sich an die Netiquette.

  • Ich finde den Artikel ärgerlich und respektlos gegenüber dem italienischen Designer. Franziska Pröll hat vorgestern in der FAZ die Historie dieses Möbelstücks seriös beleuchtet. Der in den 90er Jahrem gefertigte Tisch kostete umgerechnet 500.000 Euro. Und ein Nachbau heute würde nach Angaben des Schöpfers etwa 100.000 Euro kosten, nicht "599", wie die Autorin lästert. Ich finde, sie hätte den FAZ-Artikel zur Kenntnis nehmen müssen, bevor sie diese Kolumne schreibt, auch wenn sie "satirisch" gemeint sein sollte.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Günter Picart:

      Der Tisch ist um drei Atomraketen herum gebaut worden. Deshalb ist er so hässlich. Der Designer kann nichts dafür.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Lachen ist gesund, danke :-)

  • Frau Lemme, ihr Artikel ist einnehmend geschrieben aber der Inhalt zum verzweifeln. Stellen Sie sich einmal vor, ein Mann hätte einen spiegelbildlichen Artikel geschrieben: überall wo in Ihrem Artikel negative Klischees über Männer zu finden sind, stünden dort welche über Frauen (redeten zu viel / nutzten ihre körperlichen Reize zu ihrem Vorteil / weiß der Teufel was... ). Um unangenehme Frauen auf Abstand zu halten, dazu wäre ein großer Putin-Tisch gar nicht schlecht... Klingt schrecklich, oder? In solcher Manier über Männer zu reden ist jedoch völlig akzeptiert. Das kann es doch nicht sein...

  • Putin hat den längsten ... Tisch. Modellname "Skype".

  • und keine ...

    getränke auf dem tisch.

    wahrscheinlich war das personal anderweitig beschäftigt.

    • @adagiobarber:

      Vielleicht hat Putin seit der Hundesache mit Merkel dazu gelernt und nimmt Rücksicht auf die Phobien seiner Gäste? Mit Trinkgläsern läßt sich ja auch DNS klauen,nebst Fingerabdrücken! ;-)

  • Monty Python hätte sie Szene nicht besser machen können.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @Ore:

      Genau. Ich stelle mir gerade vor, wie Putin im "silly walk" den Raum verlässt.

  • Schöne UNNAHBAR REFLEXION Danke Frau Lemme