Tunesische Anwältin Yosra Frawes: Preisverdächtiger Feminismus
Yosra Frawes ist Juristin und Menschenrechtsaktivistin. Nun wird sie mit dem Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet.
Fortan durchforstete Frawes tunesische Gesetzestexte nach Fragen wie: Höhlen Paragrafen Menschenrechte aus? Gewährleisten Gesetze individuelle Rechte? Wie steht es um die Meinungs- und Pressefreiheit? Sind tunesische Rechtsvorschriften vereinbar mit internationalen Normen? Ihr Bemühen um Gleichstellung sorgte unter anderem für eine paritätische Besetzung von Frauen und Männern auf Wahllisten. Zudem schreibt die tunesische Verfassung von 2014 eine geschlechtergerechte Besetzung der politischen Ämter als Staatsziel fest.
Schon als Schülerin wehrte sich Yosra Frawes gegen patriarchale Erwartungen an sie als Mädchen und Frau. Als ein Junge auf dem Schulhof konstatierte, seine zukünftige Frau bleibe zu Hause, er sei es, der arbeiten gehe, erklärte sie inbrünstig: „Frauen haben das volle Recht zu arbeiten. Genauso wie die Männer!“ Heute nennt Frawes das eine „vollumfänglich praktizierte Gleichheit zwischen Männern und Frauen“.
Yosra Frawes wuchs in einem patriarchalen Umfeld auf. Und doch war es ihre Mutter, die die Familie managte, für deren Unterhalt sorgte und dafür, dass alle Töchter zur Schule gingen. Yosra Frawes studierte Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaften und später auch Wirtschaft an der Universität Tunis. In ihrer Masterarbeit befasste sich die Feministin, die erst Mitglied der tunesischen Vereinigung demokratischer Frauen und später deren Präsidentin war, mit dem tunesischen Eherecht.
Islamisten im Parlament kritisierten das Antigewaltgesetz
Damals gehörte in Tunesien eine Frau ihrem Mann, oft prägte männliche Gewalt den Alltag von Frauen. In dieser zutiefst misogynen Gesellschaft setzte sich Frawes für Alleinerziehende und Gewaltopfer ein und dafür, dass unverheiratete Paare mit Eheleuten rechtlich gleichgestellt werden. Sie bereitete das erste tunesische Gewaltschutzgesetz mit vor, das im Sommer 2017 verabschiedet wurde. In diesem Zuge wurde ein Paragraf aus dem Jahr 1958 aufgehoben, der 13-jährige Mädchen für sexuell mündig erklärte. Die Islamisten im Parlament kritisierten das Antigewaltgesetz damals heftig.
Seit 2013 leitet Frawes als erste tunesische Frau die Fédération Internationale pour les Droit Humains, einen Dachverband verschiedener Menschenrechtsorganisationen für den Maghreb und den Nahen Osten. Nun wird sie mit dem feministischen Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!