Kosenamen im Zeit- und Sprachwandel: Hey Babe!
Kosenamen sollen Vertrautheit herstellen. Bei inflationärer Benutzung geht die aber verloren. Unsere Autorin fordert deshalb mehr Kreativität.
N eulich sagte jemand zu mir: „Du nennst aber auch jeden Baby.“ Kurz darauf sah ich ein Meme, das frei übersetzt ungefähr Folgendes aussagte: „Ich nenne meine Crushes Bro und meine Freunde Babe und das sagt alles über mich aus, was du wissen musst.“ Seitdem denke ich über Kose- und Spitznamen nach.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an meinen allerersten erinnern kann, aber sehr wohl an das Gefühl der Vertrautheit, das ein Spitz- oder Kosename auslöst. Moment mal: Spitz- und Kosename, ist nicht das Gleiche, oder was? Na gut, vorab ein paar hilfreiche Definitionen: Ein Spitzname ist ein Name, den jemand etwa aus Scherz oder aus Spott aufgrund einer auffallenden Eigenschaft erhält. Ein Kosename hingegen ist ein Name, der eine liebevolle, vertraute Beziehung zu jemandem ausdrücken soll.
Bezeichnend, dass ich heutzutage Spitz- und Kosenamen fast synonym verwende, obwohl Ersteres eher neckisch und Letzteres liebevoll gemeint ist. Neckisch-liebevolle Namen. Aber das war nicht immer so: Ich erinnere mich an meinen Klassenkameraden Y., den wir Grosse Tête (auf deutsch: „Riesenkopf“) genannt haben. Liebevoll klingt anders.
Als ich dann als Teenager in der Gastronomie arbeitete, nannte mich meine Chefin anfangs „Schatz“. Ich fühlte mich zugehörig und geschmeichelt – bis ich irgendwann verstand, dass sie sich meinen Namen einfach nicht merken konnte.
Niemals Schatz
Zu Hause hieß ich „Nunu“, in der Schule nannten meine Freundinnen und ich uns „Süße“ und kamen uns dabei ein bisschen erwachsen vor. Meinen ersten Freund nannte ich nie Schatz, weil es in dem Kontext zu sehr nach Reihenhaus und Sparpapieren klang. Schließlich wurden irgendwann die englischen Kosenamen populärer und die brachten meine Kose- und Spitznamenpolitik durcheinander. Baby, Boo, Babe, Bro.
Heute werfe ich all das – wie im oben beschriebenen Meme – heillos durcheinander. Ich nenne eine gute Freundin Boo, ein Date Bro und meine Schwester Babe. Vielleicht geht es aber bei Kosenamen auch gar nicht darum, dass sie immer gemäß ihrer ursprünglichen Definition verwendet werden. Es geht darum, in einer schnellen Nachricht oder sozialen Situation die Vertrautheit, die zwischen beiden Parteien herrscht, rüberzubringen. Und diese Vertrautheit ist wertvoll. Verliert sie an Wert, wenn man Kosenamen – wie in meinem Fall Babe – inflationär verwendet? Sollte ich weniger Menschen Babe nennen? Das Problem damit ist, dass es einer Herabstufung gleicht, wenn man von Babe zurück zum Vornamen geht.
Wir kommen nicht drum herum: Wir brauchen neue Kosenamen, am besten aus dem Tierreich. Ich persönlich feiere das Comeback von „Maus“ (Danke, Hengameh!) als neues Schweizer Taschenmesser unter den Kosenamen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader