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Debatte über CoronalockerungenDen Gurt noch nicht abschnallen

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die Zahlen jenseits der Inzidenz verlieren an Dramatik, die Zahl der Gestorbenen sinkt leicht. Dennoch ist es zu früh für Lockerungen.

Cool bleiben? Die Lage der Pandemie ist etwas unklar Foto: Katrin Requadt/dpa

S ind das nicht tolle Nachrichten? Die Zahl der Coronatoten ist am Dienstag leicht gesunken. Auch die Hospitalisierungsrate fällt seit drei Tagen. Okay, fallen ist übertrieben. Aber sie steigt jedenfalls nicht. Und das trotz der wie irre explodierten Zahl der Neuinfektionen.

Belegt das nicht die Harmlosigkeit von Omi­kron? Wird es nicht Zeit, in den Chor der Genervten, der Überdrüssigen, der Politiker mit dem Ohr am Herzen der Bürger einzustimmen, die eine Exitstrategie fordern? Die am liebsten ein „Danke Omikron!“-T-Shirt überstreifen würden, und dann nichts wie raus, so wie die Dänen?

Ich weiß es nicht.

Das ist eine weitere Folge von Omikron. Die seit dem Jahreswechsel in Deutschland dominierende Coronavariante hat einiges über den Haufen geworfen – auch die wenigen Gewissheiten, die sich diejenigen erarbeitet hatten, die versuchen, aus den Coronazahlen abzulesen, wie es weitergeht. Eine ehrliche Antwort kann nur lauten:

Ich weiß es nicht.

Omikron, so viel ist sicher, verursacht deutlich weniger Schwersterkrankungen als alle Varianten zuvor. Wie viel weniger, ist aber offen. Zudem hat Omikron eine extreme Ansteckungsrate. Wie viel höher genau, kann niemand sagen. Entscheidend ist, welcher der beiden Faktoren am Ende größer ist. Wie das Rennen ausgeht?

Ich weiß es nicht.

Aktuell werden pro 1.000 Neuinfizierten „nur“ etwa zwei Tote gezählt. Anfang Januar war die Rate viermal so hoch, vor einem Jahr 20-mal höher. Aber erlauben die weiterhin rund 180 Toten Tag für Tag eine Entwarnung? Haben wir uns daran gewöhnt? Müssen wir das sogar, weil es dazugehört? Weil die Coronamaßnahmen das gesellschaftliche Leben sonst zu stark beeinträchtigen?

Zahl der Infektionen doppelt so hoch?

Ich weiß es nicht.

Sind ebenfalls pro Tag rund 180 neu aufgenommene Co­ro­na­pa­ti­en­t:in­nen auf den Intensivstationen akzeptabel? Händelbar sind sie derzeit. Aber wenn sich die Infektionszahl, wie von vielen Ex­per­t:in­nen erwartet, noch mal verdoppelt, wird die Belastung der Intensivstationen höher sein als bei der vierten Welle im Dezember. Gut möglich aber, dass die Zahl der Infektionen längst doppelt so hoch ist. Es kann nur niemand sagen, weil die Labore nicht mehr Tests auswerten können. Omikron macht blind. Und was folgt daraus?

Ich weiß es nicht.

Aber eines weiß ich: Im Flugzeug ist es äußerst sinnvoll, den Sicherheitsgurt erst abzuschnallen, wenn die Maschine steht. Und nicht schon, wenn sie noch über das Flugfeld rollt. Auch wenn viele Ungeduldige das für Quatsch halten.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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4 Kommentare

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  • Sarkasmus an: Wie, es ist zu früh zum Lockern? Das kann doch nicht sein! Es haben sich gestern nur 200.000 Leute mit Covid-19 angesteckt. Wenn davon jeder tausendste schwer erkrankt, oder stirbt, Gott behüte, das sind doch nur 2.000 Leute pro Tag, beginnend in vielleicht einem Monat. Dafür kann man doch nicht in den Lockdown. Das sind ungeimpfte Senioren. Sarkasmus aus.



    Niemand weiß, wie viele tatsächlich infiziert sind, weil die PCR-Testmöglichkeiten fehlen. Mehr als 200.000 täglich wahrscheinlich, die die für harmlos erklärte Seuche weiter verbreiten.



    Wieviele Long Covid bekommen, weiß keiner. Viele dieser Patienten, in BY mindestens 60.000, steht heute im Merkur, werden mit ihren gravierenden, aber unspezifischen Symptomen jahrelang einer Diagnose und Therapie hinterherrennen. Für die, die nicht ins Home Office können und an Long Covid erkranken, sollte es als Berufskrankheit anerkannt werden. Aber das würde das Gesundheitssystem ruinieren. So wird nur die Arbeitskraft von Hunderttausenden ruiniert, mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft, die es doch um jeden Preis zu schützen galt.

  • Das Kernproblem ist, dass die Politik offenbar davon ausgeht, dass eine flächendeckende Ansteckung mit Omikron eine zumindest eine Weile anhaltende ausreichende Immunität gegen Delta oder zukünftige Varianten verleihen wird.

    Aber weder die aktuellen wissenschaftlichen Befunde, noch etwa die Erfahrungen in Manaus/Brasilien mit der tödlichen P1 Variante geben so etwas her.

    Es ist also eine riskante und praktisch nicht wissenschaftlich gedeckte Annahme.

    • @jox:

      es gibt momentan aber praktisch keine umsetzbare Variante dies zu verhindern. Lauterbach hat da wohl Recht, Omikron lässt sich nicht verhindern nur verzögern. Seien wir froh, dass es soweit glimpflich abgeht.



      Gegen die wiederkehrenden Wellen in den kommenden Jahren hilft dann wohl nur die Impfung.

  • Bei jeder der bisherigen Wellen waren es zu frühe Lockerungen, die die nächste Welle eingeleitet haben.!!

    Alle Politiker, die jetzt Lockerungen fordern, haben entweder nicht aufgepasst oder sie betreiben eine Form von Populismus..

    ...und gerade wenn man nicht genau weiß, wie es weitergeht, sollte doch Vorsicht geboten sein.

    (kennen sie den Unterschied zwischen Mut und Leichtsinn.??)