piwik no script img

Rasante Pulp-Fiction im ComicstilSchüchterne Killer und taffe Katzen

Der Comic-Thriller„Shooting Ramirez“ glänzt als wildes Action-Spektakel. In „Blacksad 6“ ermittelt ein Kater in New York.

Szene aus „Shooting Ramirez“ Foto: Schreiber & Leser

Dichter schwarzer Lockenkopf, buschige Augenbrauen und ein breiter Schnauzer unter der dicken Nase, noch dazu ein feuerrotes Muttermal mitten im Gesicht. Wer solch eine Visage trägt, kann kaum unschuldig sein. Oder doch?

Jack Ramirez mit ebendiesen Merkmalen arbeitet im Jahr 1987 im Kundendienst des Haushaltsgeräteherstellers Robotop in Falcon City, Arizona. Der stumme und unscheinbare Mitarbeiter ist als Kollege beliebt. Seine Spezialität: die Reparatur der (chronisch defekten) hauseigenen Staubsaugermodelle.

Die Comics

Nicolas Petrimaux: „Shooting Ramirez – 2. Akt“. Schreiber & Leser, 192 S., 29,80 Euro; www.shooting-ramirez.de

Juan Díaz Canales, Juanjo Guarnido: „Blacksad 6: Wenn alles fällt – Teil 1“. Carlsen Verlag, 68 S., 16 Euro

Gerade als das neue bahnbrechende Modell, der „Vacuumizer 2000“, der lokalen Presse vorgestellt werden soll, wird Ramirez von Mitgliedern des mexikanischen Drogenkartells „Paso del Rio“ als abtrünniger Superkiller identifiziert, der vor Monaten untergetaucht war. Kurz darauf fliegt die Robotop-Zentrale in die Luft, und der flüchtige Ramirez findet sich im Wagen eines lesbischen Gangsterduos wieder. Inspektor Eddy Vox vermutet indes, dass Ramirez zum Kartell gehört und auch für das Robotop-Unglück verantwortlich ist.

Vor zwei Jahren erschien mit „Shooting Ramirez – 1. Akt“ ein Comicthriller, der sich zum Überraschungshit entwickelte. Autor und Zeichner des Bandes war der Franzose Nicolas Petrimaux, Jahrgang 1982, der damit – nach ersten kürzeren Comics und Erfahrungen als Spieleentwickler – sein überraschend perfektes Debüt gab: ein wildes Action-Spektakel, gezeichnet im Stil amerikanischer Heftcomics, augenzwinkernd erzählt. Nun ist der „2. Akt“ um Jack Ramirez (der nun, wie im Original, Jacques heißt) erschienen, und die atemlose Hatz auf den dubios-liebenswerten Lockenkopf geht weiter.

Schwarzer Humor

Szene aus „Shooting Ramirez“ Foto: Schreiber & Leser

Ist der schüchterne Held etwa tatsächlich ein Profikiller, der Dutzende Kartellschergen mit links abknallt? Hat er mehrere Gesichter und tarnt sich nur als Angestellter? Diese Frage beherrschte Band 1 und löste ein virtuoses wie verwirrendes Identitätsspiel aus, das zum Dauerschmunzeln anregte.

In Band 2 nun wird deutlich, dass wohl ein naher Verwandter, der Ramirez sehr ähnelt, hinter den Morden steckt. Hinzu kommen Nebenstränge um den Ramirez jagenden Killer Ramon Perez und die kriminell gewordene Schauspielerin Chelsea Tyler, die mit ihrer schwarzen Geliebten Dakota Smith Banken ausraubt.

Ganz offensichtlich lehnt sich der Zeichner an filmische Vorbilder an, insbesondere Quentin Tarantinos Meisterwerke „Jackie Brown“ und „Pulp Fiction“, in denen ein wendungsreicher Plot, Retro-Charme, Karacho-Action und schwarzer Humor für die perfekte Mischung sorgten. Petrimaux’ 80er Jahre-Thriller in einem fiktiven Arizona ist eine gezeichnete Hommage an diesen Genremix.

Digitale Bildtechnik

Mit seinem tragikomischen Helden hat er zudem eine unverwechselbare Figur geschaffen, die optisch wie eine Mischung aus Groucho Marx und Diego Maradona erscheint. Schönster beiläufiger Gag: Robotops beste Kraft Ramirez rettet den kostbaren Prototyp des „Vacuumizer 2000“ aus den Flammen und trägt ihn fortan immer bei sich.

Petrimaux arbeitet ausschließlich digital und löst seine sehr variantenreichen Seitenlayouts oft in Cinemascope-breite Panels auf. Die Action-Orgien ufern manchmal ein wenig aus, werden aber wiederholt mit doppelseitigen Fake-Werbeanzeigen aufgelockert, die die in der Geschichte auftauchenden (Schrott-)Objekte (wie Fahrzeuge, Klamotten oder Fast Food) scheinbar anpreisen und das Geschehen um eine weitere Ebene süffisant spiegeln.

Nach der rundum spaßigen Lektüre lechzt man geradezu nach dem abschließenden Band 3, der offene Fragen um Ramirez’ große Liebe beantworten könnte und ihn womöglich auf dem Rockfestival von Stone Creek als Gitarrenvirtuosen reüssieren lässt. Ob der Vacuumizer 2000 auch als Gitarre taugt? Pfiffige Filmproduzenten müssten den Comic eigentlich schon als Drehbuchstoff optioniert haben.

Schwarzer Kater

Ein klassisches Krimigrenre bedient wiederum die spanische Comic-Reihe „Blacksad“: den Noir-Krimi. Im mittlerweile 6. Band um den schwarzen Kater Blacksad, der sich in New York als Privatdetektiv verdingt und vom wieselhaften Reporter Weekly unterstützt wird, sind alle Figuren anthropomorphe Tiere, besitzen menschenähnliche Körper, aber Tierköpfe. Zeichnerisch ist Juanjo Guarnido ein Meister seines Fachs, der seinem bunten Figurenensemble präziseste mimische Ausdrücke entlocken kann.

Wie in allen Blacksad-Bänden überzeugt auch dieser Fall durch eine klug konstruierte Story und pointierte Dialoge, für die der Szenarist Juan Díaz Canales verantwortlich zeichnet. Diesmal soll Blacksad den U-Bahn-Gewerkschaftsboss Kenneth Clarke (eine Fledermaus) vor einem Killer schützen und stößt dabei auf einen städtebaulichen Korruptionsskandal, der bis in die obersten Kreise der Metropole führt, hin zum Baumagnaten Solomon (ein Adler), der Widersacher gerne beseitigen lässt.

Blacksads lustiger Sidekick Weekly gerät in Solomons Fänge und damit in Lebensgefahr. Canales lässt sich für seine anspruchsvollen Plots gerne von realen Abgründen der US-Historie inspirieren: Vorbild für Solomon war der langjährige General-Motors-Chef Alfred P. Sloan, der über Jahrzehnte mittels verdeckter Holdings Straßenbahnlinien und den öffentlichen Nahverkehr in vielen US-Städten stilllegte, um die Automobilisierung voranzutreiben.

„Wenn alles fällt“ ist der spannende, grandios gezeichnete Auftakt einer zweiteiligen Geschichte, die in einem parallelen Handlungsstrang auch ins New Yorker Thea­termilieu führt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!