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Wissenschaft über Pop und PopulismusPolitik der Herzen

Seit drei Jahren erforscht ein internationales Team die kulturelle Dimension des Populismus. Initiiert hat das Projekt der Oldenburger Mario Dunkel.

Ganz, ganz wichtig, diese Identifikation mit dem Star: Andreas Gabalier mit Fans Foto: Henning Kaiser/dpa

Hamburg taz | Eben noch knödelt Andreas Gabalier ganz Unverfängliches: „I sing a Liad für di.“ Dann wird’s irgendwie politisch beim heimattümelnden Trachtenspektakel im Stadion: „Irgendwann kummt dann der Punkt / Wo’s am reicht, dann wird’s z’vü / Dann schauns die an, mit ganz großen Augen / Wenn ana aufsteht und sagt, was er si denkt“, singt er in „A Meinung haben“. Gabalier, der selbsternannte „Volks-Rock-’n’-Roller“, kann sich sicher sein, dass sein Publikum schon versteht, was er, der sich gern als „einfacher Steirer Bua“ inszeniert, da meint, ohne dass er konkreter werden muss – im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise.

Der Österreicher ist nur ein Beispiel unter vielen für Musiker:innen, denen in den vergangenen Jahren vorgeworfen wurde, in Texten und Ästhetik Anknüpfungspunkte für populistische Politik zu liefern. In Österreich spricht man angesichts der konservativer werdenden Jugend schon von der „Generation Gabalier“. Vom Popsänger Xavier Naidoo über Rapper wie Kollegah und Farid Bang bis zur Südtiroler Band Freiwild: populistische Vorstellungen von Politik, Nationalismus, Sexismen, Homophobie, Antisemitismus, all das ist unbestreitbar zentraler Bestandteil aktueller Mainstream-Popmusik geworden.

Und populistische politische Bewegungen sind untrennbar verknüpft mit dem Erfolg dieser Künstler:innen. Denn die geben politischen Positionen einen emotionalen Ausdruck und schaffen mit ihren Konzerten Räume, die ein ganz bestimmtes Gemeinschaftsgefühl erlebbar machen: Wir – so etwas wie das einfache, unschuldige Volk oder die schweigende Mehrheit – gegen die anderen: die da oben, die korrupten Politiker:innen, und, in diesem Fall dann eindeutig rechtspopulistisch: die „Meinungsdiktatur“ der „linksliberalen Eliten“, wie Gabalier sagt.

Was der Aufstieg populistischer Bewegungen und Parteien in ganz Europa mit dem Erfolg von Künstlern wie Gabalier, Naidoo oder Freiwild zu tun hat, das untersucht seit 2019 das internationale Forschungsprojekt „Popular Music and the Rise of Populism in Europe“ wissenschaftlich. Initiiert hat es der Oldenburger Mario Dunkel, Juniorprofessor für Musikpädagogik mit Schwerpunkt transkulturelle Musikvermittlung am Institut für Musik der Carl-von Ossietzky-Universität. Mit dabei sind For­schungs­part­ne­r:in­nen aus Ungarn, Österreich, Italien und den Niederlanden, gefördert wird das Projekt von der Volkswagen-Stiftung.

Forschung mit den Fans

Echte Grundlagenforschung ist das, die einen zentralen Aspekt aktueller kultureller Veränderungen in Europa erstmals umfassend dokumentiert. Denn bislang gibt es kaum empirische Forschung, die die kulturelle Dimension des Populismus und die emotionale und identitätsstiftende Wirkung populärer Musik in diesem Zusammenhang in den Blick nimmt. „Es geht uns vor allem darum, die Rezeptionsebene anzuschauen“, erklärt Dunkel, „also was dort eigentlich passiert.“ Denn bislang seien zum Thema vor allem Mu­si­ke­r:in­nen oder ihr Management zu Wort gekommen. Aber wie erleben Fans solche Konzerte, die Gemeinschaft dort und ihre Verbindung mit den Musiker:innen?

Dabei ist es zunächst gar nicht so einfach, den Begriff Populismus zu fassen, sagt Dunkel. Präsent sei im deutschsprachigen Raum insbesondere der Ansatz des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller, für den Populismus eine bestimmte Art der Identitätspolitik ist, „laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen“. Populismus sei immer antipluralistisch, eine zentrale populistische Praktik sei es, diesen Unterschied immer wieder zu performen. Von einem ähnlichen Begriff geht etwa auch das Populismus-Barometer der Bertelsmannstiftung aus.

Dunkel und seine Pro­jekt­part­ne­r:in­nen setzen anders an und berufen sich dabei auf die poststrukturalistische Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Populismus sei in dieser Perspektive nicht notwendig antidemokratisch und antipluralistisch, sagt Dunkel, sondern ein „anpassungsfähiger Diskurs“, der sich an andere Ideologien und Diskurse anhefte. Ob er antidemokratische oder demokratische Funktionen erfülle, hänge stark vom Kontext ab.

In Folge der Coronapandemie fehlte das verbindende Element

Um den jeweiligen Kontext besser greifen zu können, haben die For­sche­r:in­nen erst mal Feldforschung betrieben: Sie haben Konzerte besucht und dort „teilnehmend beobachtet“, haben also Situationen miterlebt und als daran Beteiligte beobachtet und sind so auch in Kontakt mit Kon­zert­be­su­che­r:in­nen gekommen. Mit denen haben sie daraufhin Interviews geführt, in denen es dann um konkrete Situationen im gemeinsam erlebten Konzert ging.

Ein paar Mal ist das gelungen – bis in Folge der Coronapandemie keine Konzerte mehr stattfanden und es schwierig wurde, eine Vertrauensbasis zu den Fans aufzubauen: Das verbindende Element fehlte, der gemeinsam erlebte Konzertbesuch. „Dann wird man in erster Linie als der Forscher von der Uni wahrgenommen“, so Dunkel, „der über Populismus forscht und man ist gleich in einem polarisierten Diskurs.“ Bei Fans entstehe dann leicht das Gefühl, bloß zum Gegenstand von Populismuskritik gemacht zu werden. Also mussten sich Dunkel und seine Mit­strei­te­r:in­nen mehr auf Musikanalyse und Online-Forschung verlegen.

Noch ist die Auswertung nicht abgeschlossen, vom 7. bis zum 9. April lädt das Projekt zur Tagung „Popular Music, Populism and Nationalism in Contemporary Europe“ nach Oldenburg. Aber so viel ist schon klar: Das Thema Populismus und Popmusik ist ein weites, uneinheitliches und von Widersprüchen durchzogenes Feld. Und wie sich populistische Aspekte auf Konzerten darstellen und welche Bedeutung diese Konzerte für die Fans haben, das ist ganz unterschiedlich.

Ein weites Feld

Interessant sei etwa gewesen, wie volksfesthaft die zwei besuchten Konzerte Gabaliers – in Berlin und Gelsenkirchen – gewesen seien, sagt Dunkel: „Viele Fans sind dort verkleidet und man bekommt mit, wie partizipativ das ist, wie viel da mitgegrölt und mitgesungen wird, wie viel die Leute sich bewegen. Und wie viele unterschiedliche Momente es auf so einem Konzert gibt.“ Erstaunlich sei gewesen, dass der intensivste Moment für viele im Publikum ein ganz andächtiger war: ein Lied über den Tod, von dem Fans sagten, es sei ihr persönliches „Highlight des Konzerts“ gewesen. „Das ist etwas, das ich nicht unbedingt mit Gabalier verbunden hatte“, sagt Dunkel. „Hier sieht man, wie vielfältig die Emotionen sein können, die auf einem Konzert erzeugt werden und auf denen die Bindungen zwischen Fans und Künstlern häufig basieren.“

Xavier Naidoo hingegen habe sehr wenig von seinen politischen Einstellungen preisgegeben, auf seine Stücke mit antisemitischen Texten wie „Raus aus dem Reichstag“ oder „Marionetten“ verzichtet. Viele hätten dort gesessen, eher konzertant sei das gewesen. Das bedeute allerdings nicht, dass Naidoo weniger problematisch sei als Gabalier, sondern lediglich, dass seine Konzerte anders funktionieren.

Anknüpfungspunkte soll das Projekt auch für die Praxis liefern, für den Musikunterricht und die Musikpädagogik nämlich. „Populismus ist Teil von populärer Kultur“, sagt Dunkel. „Damit werden Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag konfrontiert. Dann ist die Frage: Wie kann ich einen Raum schaffen, in dem es möglich ist, das zu reflektieren? Dann kann man populistische Äußerungen und Aufführungen als Chance begreifen, in einen Dialog darüber zu treten, was für eine Gesellschaft und Kultur wir uns wünschen.“

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