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Israel-Palästina-KonfliktRäumungsbefehl in Ost-Jerusalem

Das Haus der Salahiyas im umkämpften Stadtteil Sheikh Jarrah soll einer Schule weichen. Dagegen regt sich Protest, auch aus Europa gibt es Kritik.

Israelische Streitkräfte bereiten sich auf die Räumung des Hauses der Familie Salahiya vor Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Berlin taz | Mohammed Salahiya hält einen Gaskanister in seiner Hand. Gemeinsam mit den anderen Männern seiner Familie hat er sich auf dem Dach seines Wohnhauses im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah verschanzt. So sieht man es auf Fotos und Videos, die am Montag durch die sozialen Medien gingen.

„Wir sind in diesem Haus seit den 50er Jahren und kämpfen gegen eine Räumung seit 25 Jahren“, sagt Abdallah Ikiramhawi auf dem Dach laut dem Aktivist*innen-Kollektiv Sheikh Jarrah-Komitee. „Jetzt benutzen sie die Entschuldigung, eine Schule bauen zu wollen. Wir wissen nicht, wohin wir gehen können.“ Vor dem Haus der 15-köpfigen Familie Salahiya steht die israelische Polizei mit einem Räumungsbefehl. Der Vater der Familie, Mohammed Salahiya, droht, sich anzuzünden, wenn die Familie wirklich geräumt wird. „Wir werden nicht gehen. Wir werden entweder leben oder sterben. Ich werde mich mit Gas anzünden“, sagt Salahiya in einem Video, das in den sozialen Medien zirkuliert.

Der Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah steht immer wieder im Fokus des Konfliktes zwischen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und Israelis. Dort steht nicht nur die Familie Salahiya kurz vor einer Zwangsräumung. Zahlreiche andere Familien sind hier nach wie vor davon bedroht, ihr Haus zu verlieren. Im Mai hatte der Konflikt um Sheikh Jarrah mit zum Ausbruch des elftägigen Krieges zwischen der den Gazastreifen kontrollierenden Hamas und Israel gesorgt.

Der Fall der Familie Salahiya ist allerdings ein besonderer: Anders als bei den anderen Familien steht keine Siedlerorganisation hinter dem Prozess, der gegen die Familien geführt wird, sondern die Jerusalemer Stadtverwaltung. Die hatte vor fünf Jahren angekündigt, das Land zu enteignen, um dort eine Schule zu bauen. Seitdem führt die Familie einen Rechtsstreit gegen ihre Zwangsräumung. Im vergangenen November hat die Familie nun einen flexiblen Räumungstermin für Januar mitgeteilt bekommen. Die rechtlichen Bedingungen sind kompliziert.

Internationaler Protest gegen die Räumung

Der Vater der Familie, Mohammed Salahiya, und seine Frau Lital, die jüdisch ist, leben seit mehreren Jahrzehnten auf dem Grundstück in der Nachbarschaft. Sie sagen, Mohammeds Vater habe das Land vor 1967 gekauft. Die Jerusalemer Stadtverwaltung aber behauptet, dass die Familie illegal auf dem Grundstück lebe. Das Grundstück sei Teil einer Fläche, die dem früheren Großmufti von Jerusalem gehört habe und die von Israel auf Basis des „Gesetzes über den Besitz von Abwesenden“ konfisziert wurde. Dieses 1950 erlassene Gesetz definiert Palästinenser*innen, die 1948 aus ihren Häusern vertrieben wurden, als Abwesende, die mit ihrer Abwesenheit die Rechte an ihrem Land verloren haben.

Die Schule soll angeblich für palästinensische Kinder gebaut werden. „Selbst wenn das stimmen sollte, ist doch die Frage: Wer vertreibt eine Familie aus ihrem Haus, um dort eine Schule zu bauen?“, fragt Dana Naomy Mills, Sprecherin der Friedensorganisation Peace Now. „Zumal es keine 500 Meter entfernt eine freie Fläche gibt, auf der allerdings eine ultraorthodoxe Jeschiwa gebaut werden soll.“ Für Mills ist dieser Fall ein weiteres Beispiel für die Strategie vonseiten Israels, mit der verhindert werden soll, dass Jerusalem die zukünftige Hauptstadt eines palästinensischen Staates wird.

Auch international stößt das Vorgehen auf Protest: Der Vertreter der Europäischen Union in den palästinensischen Gebieten, Sven Kühn von Burgsdorff, besuchte den Ort und twitterte: „Räumungen/Abbruchbefehle sind völkerrechtswidrig, untergraben die Aussichten auf Frieden erheblich und schüren die Spannungen vor Ort.“ Von den USA dürfte der Einspruch gegen die versuchte Zwangsräumung verspätet eintreffen. Aufgrund des Martin-Luther-King-Tags ist die amerikanische Botschaft geschlossen.

Bis Redaktionsschluss verhandelten beide Seiten noch. Die Familie forderte, dass die Zwangsräumung bis zum 23. Februar ausgesetzt wird. Da ist eine Gerichtsanhörung geplant. Die Polizei hatte sich bislang geweigert, eine Garantie dafür abzugeben.

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5 Kommentare

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  • Man kann schön erkennen, wie gross die "Liebe" dieser Leute hier zu den Palästinensern ist. Eine nicht genehmigte und ohne statische Überprüfung gebaute Struktur ist offenbar wichtiger, als eine arabische Schule für arabische - und noch dazu behinderte arabische! - Kinder. Diese sind den hier versammelten Israelanklägern offenbar egal. Die Berichterstattung hier zu den Vorgängen in Israel und den umstrittenen Gebieten ist aber (beinahe gewohnheitsmässig, kann man sagen!) einseitig, sie hält Informationen vor, und sie erwartet, dass Israel sich nicht wie ein Rechtsstaat verhält, in dem, wie es der Fall ist, Baugenehmigungen erteilt oder nicht erteilt, und auch gerichtlich erstritten werden können - Nein Israel soll den Kolonisatoren alles auf einem Silbertablett überreichen. Wenn die EU auf ausgewiesenen Agrarflächen den Bau illegaler baugenehmigungsloser Häuser für Palästinenser bezahlt, (in der Area A, seit Oslo Israel zugesprochen!) wird darüber in der taz nicht berichtet. Wenn Israel eine Schule für behinderte arabische Kinder bauen will, und jemand hat ohne Baugenehmigung, Konzept und Statische Überprüfung da was hingestellt, und das wird, wie überall auf der Welt abgerissen, da interessiert man sich plötzlich für die "armen Palästinenser". In meinem Buch heisst sowas: Antisemitisches Framing. honestreporting.co...cial-needs-school/

    • @Fitzli Putzli:

      Israel hat nach internationalem Recht kein Recht in Ostjerusalem Genehmigungen zu entziehen oder zu erteilen, mal abgesehen, dass nicht einmal innerhalb der grünen Grenze so gut wie nie Genehmigungen zum Hausbau für arabische Dörfer und Städte erteilt werden.

    • @Fitzli Putzli:

      Sorry, hier ist ein Flüchtigkeitsfehler. Natürlich ist Area C gemeint.

  • Solange von politischer Seite her immer nur gemahnt wird und nicht gehandelt oder mit Sanktionen gedroht nützt das alles überhaupt garnichts - wie ja schon lange ganz offensichtlich ist. Leere Worte verhindern keinen Landraub, keine Häuserzerstörungen, keine Beschlagnahmungen, Umdefinierungen als militärische Sperrgebiete, keine Adrministrationshaft, keinen Ausbau der Siedlungen und so weiter.

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Die Palästinenser werden gezwungen sein umfangreiche Restitutionsforderungen



    vorzubereiten als Teil aller zukünftigen Entwicklungen.



    M.