Bilanz nach 1 Jahr Fußverkehrsgesetz: „Klein und lieb“ geht gar nicht
Anfang 2021 bekam der Fußverkehr ein eigenes Kapitel im Mobilitätsgesetz. In einer ersten Bilanz äußert der FUSS e. V. viel Kritik an der Umsetzung.
„Sicher und unbeschwert wie in Bullerbü – ohne Angst und mit minimalem Stress“ – so wünscht sich Roland Stimpel, Sprecher des Verbands FUSS e. V., das Gehen und Flanieren in Berlin. Allerdings ist die Hauptstadt aus seiner Sicht noch meilenweit entfernt von diesem Ziel, auch genau ein Jahr nach Verabschiedung des Fußverkehr-Kapitels im Mobilitätsgesetz.
Bei der Bilanz des Verbands am Donnerstag sagte Stimpel, gerade stark verdichtete Metropolen hätten die höchsten Fußverkehrsanteile. Im Fall von Paris und Manhattan bezifferte er diesen auf rund 50 Prozent aller Wege – Berlin liege nachweislich noch weit unter dieser Marke: Einer Untersuchung zufolge führt der Bezirk Mitte mit rund 33 Prozent das Ranking an, Spandau bildet mit 25 Prozent das Schlusslicht.
Da ist also noch einiges zu holen, und das Fußverkehrsgesetz verspricht ja auch eine Menge: mehr Zebrastreifen und Mittelinseln, längere Ampelschaltungen und besseren Schutz vor abbiegenden Fahrzeugen an Kreuzungen, mehr Sitzbänke und weniger Stolperfallen wie über Gehwege verstreute E-Scooter. Auch soll jeder Bezirk bis Ende 2023 ein Modellprojekt für besseren Fußverkehr realisiert haben, spätestens jetzt müssen die Projekte vorliegen.
Vor einem Jahr hatte der FUSS e. V. gleich 12 eigene Vorschläge erarbeitet und den Bezirken angeboten. Dass die Verwaltungen diese Blaupausen nicht einfach übernommen haben, ist nicht allzu verwunderlich, nur: Die (bislang lediglich 10) veröffentlichten Projekte seien, so Roland Stimpel, „allesamt nett, aber im Ganzen ziemlich mutlos. In den meisten ist Gehen eine Nebensache für Nebenstraßen.“ Der taz gegenüber bezeichnete er Projekte wie den in Schöneberg geplanten Umbau des Barbarossaplatzes, dessen Mittelinsel besser zugänglich gemacht werden soll, als „klein und lieb“.
Der FUSS-Sprecher wundert sich auch darüber, dass einige Maßnahmen, die sowieso längst in Arbeit waren, nun zusätzlich als Fußverkehrs-Modellprojekt gelabelt werden. Trotzdem lobt er den Umgestaltungsprozess der Kreuzberger Bergmannstraße: „Das ist ambitioniert, da zeigt sich der übliche Mut dieses Bezirksamts.“ Die Grundidee einer unkonventionellen Fußgängerzone finde er „gut und spannend“, es brauche aus Sicht des Fußverkehrs aber beispielsweise auch auf dem dortigen Radweg Zebrastreifen mit Schwellen.
Pingpong und Wildwuchs
Kritik übte der FUSS-Vorstand außerdem am „Behörden-Pingpong“ – Senat und die Bezirke stritten sich immer noch darüber, wer das zusätzliche Personal für die Fußverkehrsplanung bezahlen solle –, an Nutzungskonflikten etwa von Grünflächen im Rahmen der Radnetzplanung und an der weiterhin ungelösten Frage, wie der E-Scooter-Wildwuchs in den Griff zu bekommen ist.
Der ehemalige Grünen-Abgeordnete Harald Moritz, Mitglied im FUSS-Landesvorstand, wies darauf hin, dass im letzten Jahr „extra das Berliner Straßengesetz geändert“ worden sei, um den Verleihern der Elektroroller Grenzen zu setzen. Aber im Gegensatz zu Städten wie Frankfurt, Leipzig und Münster, die feste Stationen für die Scooter beschlossen hätten, oder Köln und Düsseldorf, die das Abstellen gleich in größeren Gebieten ganz verboten hätten, herrsche an der Spree der Status quo ante. „Es wird Zeit, dass das besonders belastete Berlin nachzieht“, so Moritz.
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