Proteste in Kasachstan: Rücktritte und Gewalt
Tausende Demonstranten erzwingen den Rücktritt der Regierung. Was als Kritik an höheren Gaspreisen begann, wurde zu landesweiten Demonstrationen.
Mindestens vier Tote, Dutzende Verletzte und die Besetzung des Flughafens der Wirtschaftsmetropole Almaty durch Demonstranten: Das zentralasiatische Kasachstan ist von landesweiten Protesten erschüttert worden. In einer Fernsehansprache kündigte Präsident Kassim-Schomart Tokajew am Mittwoch ein hartes Vorgehen gegen die Demonstranten an. „Als Präsident bin ich gezwungen, die Sicherheit und den Frieden für unsere Bürger zu schützen sowie für die Integrität Kasachstans Sorge zu tragen“, sagte er.
Zuvor hatten Tausende Demonstranten in Almaty den Regierungssitz gestürmt. Auf Videos waren Polizeikräfte zu sehen, die mit Tränengas und Blendgranaten gegen Demonstranten vorgingen. Ministerpräsident Askar Mamin trat am Mittwochmorgen zurück, als Reaktion entließ Tokajew daraufhin die gesamte Regierung. In der Hauptstadt Nursultan, Almaty und der gleichnamigen Region sowie in der Stadt Schanaozen und der Region Mangystau wurde der Ausnahmezustand verhängt, der bis zum 19. Januar gelten soll.
Auslöser der Proteste, die nun den vierten Tag in Folge das Land beherrschen, war eine massive Preiserhöhung für Flüssiggas von 50 auf 120 Tenge (25 Cent) pro Liter, die die Regierung der Ex-Sowjetrepublik zu Jahresbeginn verfügt hatte. Bereits am 2. Januar war es in der Ölförderstadt Schanaozen zu ersten Kundgebungen mit Hunderten Teilnehmern gekommen. Demonstranten blockierten Straßen in der Innenstadt, Arbeiter auf den Ölfeldern Kalamkas und Karazhanbas traten in den Ausstand.
Im Westen des Landes, wo ein Großteil des Öls und Gases in dem rohstoffreichen 18-Millionen-Einwohner-Land gefördert wird, fahren 70 bis 90 Prozent aller Fahrzeuge mit Flüssiggas. Bereits am folgenden Tag weiteten sich die Proteste in Windeseile auch auf andere Teile des Landes aus. Tausende gingen auf die Straße, so auch in Aktau, Almaty, Schimkent und der Hauptstadt Nursultan. Sie forderten neben einer Rücknahme der Preiserhöhungen auch den Rücktritt der Regierung. „Shal ket!“ – „Alter, hau ab!“ lautete ein Schlachtruf.
Mit dem „Alten“ ist der ehemalige autokratische Staatspräsident Nursultan Nasarbajew gemeint. Nasarbajew war 2019 nach 30 Jahren im Amt zurückgetreten. Als Chef des Nationalen Sicherheitsrates, der ein Vetorecht bei wichtigen Ernennungen besitzt, „Führer der Nation“ sowie Vorsitzender der Regierungspartei Nur Otan („Licht des Vaterlandes“) spielt Nasarbajew in der Politik jedoch immer noch eine zentrale Rolle. Am Mittwoch ging der Chefposten des Nationalen Sicherheitsrates auf Tokajew über.
Das Internet war gesperrt
Angesichts der nicht enden wollenden Proteste hatte die Regierung noch am Dienstag versucht, die Situation zu entschärfen. Auf ihrer Webseite kündigte sie an, die Preiserhöhungen für Gas wieder zurückzunehmen. Auch Staatschef Tokajew, der als Marionette Nasarbajews gilt, meldete sich zu Wort. „Ich appelliere an die Demonstranten, den Rufen destruktiver Personen nicht zu folgen, die daran interessiert sind, die Stabilität und Einheit unserer Gesellschaft zu untergraben“, twitterte er und rief die Bevölkerung zum Dialog auf. Kurz darauf wandte er sich mit einer Videobotschaft an die Kasach*innen. Es gehe darum, Provokationen von innen und außen nicht zu folgen. Aufrufe zu Angriffen auf Verwaltungsgebäude seien ein Verbrechen, das bestraft werden könne. „Die Staatsmacht wird nicht fallen, aber wir brauchen keinen Konflikt, sondern gegenseitiges Vertrauen und Dialog“, sagte Tokajew.
Doch die Beruhigungspillen wirkten nicht, die Demonstrierenden blieben. In der Nacht zu Mittwoch eskalierte die Lage in Almaty. Die Webseite Zakon.kz berichtete von brennenden Polizeiwagen und Protestierenden, die Scheiben von Geschäften und Restaurants eingeworfen hätten. Nach Angaben der Regierung seien mehr als 200 Personen festgenommen und Dutzende Polizisten verletzt worden.
Der Unmut ist groß
Am Dienstag waren das Internet zeitweise blockiert und Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram nicht zu erreichen. Am Mittwoch berichtete das russischsprachige Onlineportal Insider.ru unter Berufung auf die Betreibergesellschaft Kasachtelekom, dass das Internet landesweit abgeschaltet worden sei.
Proteste sind in Kasachstan zwar selten, dennoch kommt es immer mal wieder vor, dass sich der Volkszorn Luft macht. Im Dezember 2011 hatten sich in Schanaozen monatelange Streiks von Ölarbeitern in gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei entladen. Dabei waren mindestens 16 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt worden.
Für den Politologen Dosim Satpajew ist es kein Zufall, dass die jüngsten Proteste in Schanaozen ihren Anfang genommen haben. Die Stadt sei wie ein Brennglas, das Probleme aller Regionen sichtbar mache, zitiert ihn Insider.ru. „Die Unzufriedenheit in der Gesellschaft wächst, die Staatsmacht steckt in einer Sackgasse. Es gibt keine Institutionen, um schnell auf eine Krise zu reagieren. Die Mächtigen haben Angst“, so Satpajew, „Angst, dass sich 2011 wiederholen könnte.“
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