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Graphic Novel über AbtreibungSelbstbestimmt und ohne Reue

In Julia Zejns zweitem Comic ist die Protagonistin ungewollt schwanger. Die Entscheidung, die sie deshalb trifft, kommt ohne Drama und Trauma aus.

Der Test zeigt ein eindeutiges Ergebnis: Anja ist schwanger Foto: Avant Verlag/Julia Zejn

„Oh Fuck“, denkt Anja und blinzelt zwischen den Fingern ihrer linken Hand durch. Über dem ersten roten Strich hat sich ein zweiter gebildet: schwanger. Geplant war das nicht, das weiß man auch, ohne über die vierte Seite hinauszublättern, so eindrücklich transportiert Julia Zejn schon auf den ersten Panels ihrer Graphic Novel die Gefühle der Protagonistin.

Dabei spräche objektiv eigentlich nichts gegen ein Kind: Anja ist fast 30, in einer festen Beziehung und hat einen sicheren Job. Auch kann sie sich generell vorstellen, einmal eine Familie zu gründen. Und doch bleibt die Freude aus und wird sich auch nicht mehr einstellen, weshalb Anja im Laufe der Geschichte von „Andere Umstände“ die Schwangerschaft abbrechen wird.

Der Comic

Julia Zejn: „Andere Umstände“. Avant-Verlag, Berlin 2021. 200 Seiten, 25 Euro

Bei der Comic-Vorstellung in Berlin erzählt Illustratorin Julia Zejn, ihr sei es wichtig gewesen zu zeigen, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht zwingend ein tragisches Erlebnis sein muss.

Wenn wie in Anjas Fall keine medizinische Indikation, keine Vergewaltigung und auch keine widrigen Lebensumstände vorherrschten, sei eine Abtreibung auch nur eine Entscheidung. Eine, die sich die meisten Schwangeren gut überlegten zwar, die aber nicht, wie oft gesellschaftlich suggeriert, immer mit einem Trauma einherginge.

Haus- und Care-Arbeit bleiben an Anja hängen

Um Anjas Entscheidung gegen ein Kind nachvollziehbar zu machen, erzählt Zejn deren Geschichte und setzt hierfür zwei Jahre vorher an. Da lernt Anja, die gerade ihren Master in Soziologie bestanden hat, Olli kennen. Olli ist ein mäßig erfolgreicher DJ, feiert und kifft viel und lebt so in den Tag hinein, etwas, das Anja völlig fremd ist, sie aber fasziniert. Zumindest solange die erste Verliebtheitsphase anhält.

Sehr viel mehr scheint Olli nämlich mit seinem Leben nicht anfangen zu wollen, was in Ordnung wäre, wäre er nicht kolossal unselbstständig. Nachdem die beiden zusammenziehen, bleiben Haus- und Care-Arbeit an Anja hängen. Nicht einmal um seinen schmerzenden Zahn vermag sich Olli eigenständig zu kümmern, geschweige denn um die Ameisen im Formicarium, die Anja ihm geschenkt hat.

Unaufgeregt führt Zejn durch die Beziehung der beiden – illustriert sie mit sanften Buntstiftstrichen. So simpel der Stil auf den ersten Blick wirkt, so eindrücklich vermag er die Gefühle und Gedanken der Prot­ago­nis­t*in­nen darzustellen. Oft verändern sich nur die Augenbrauen, verziehen sich die Münder zu Strichen, und trotzdem wird deutlich, was den jeweiligen Charakter gerade bewegt.

Mit sanften Buntstiftstrichen führt Zejn durch die Geschichte Foto: Avant Verlag/Julia Zejn

Ein steter Farbwechsel drückt zudem aus, an welchem Punkt der Beziehung sich Anja und Olli gerade befinden: vom kräftigen Rot der leidenschaftlichen Anfangszeit über Grün, als die Beziehung wächst, bis hin zu gräulich-schwarz, wenn Anja – nun schwanger – anfängt, diese zu hinterfragen.

Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist aktuell wie nie

Schon in ihrem Comic-Debüt „Drei Wege“ (2018 auch im Avant-Verlag erschienen) setzte die Leipziger Illustratorin auf ein eindrückliches Farbkonzept. Gelb, Rot und Grün dienten dazu, die verschiedenen Lebensrealitäten dreier Frauen in den Jahren 1918, 1968 und 2018 voneinander abzugrenzen. Ganz so streng verfährt Zejn in „Andere Umstände“ nicht, und doch ist ein Muster erkennbar.

Thematisch ist die Graphic Novel aktueller denn je: Im US-Bundesstaat Texas trat ein neues Gesetz in Kraft, das Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Woche fast komplett verbietet, in Chile wurde gerade gegen eine Legalisierung von Abtreibungen gestimmt und in Polen sollen Schwangerschaften und etwaige Fehlgeburten künftig in einem Zentralregister gelistet werden. All das wirft kein gutes Licht auf die Entwicklung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung.

Hierzulande dürfen wir uns zwar freuen, dass die neue Regierung den Paragrafen 219 a abschaffen möchte, der Werbung für Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt. Der Paragraf 218, der den Abbruch als solchen kriminalisiert, existiert aber erst mal weiterhin. „Wenn etwas als Straftat gilt, muss man sich schuldig fühlen“, sagt Zejn im Interview mit der FAZ und bezieht sich damit auf ein Gefühl, mit dem man als gebärfähige Person häufig aufwächst.

Gewöhnliche Alltagsgeschichte

Dass dies nicht der Wahrheit entsprechen muss, es sich mit der Entscheidung, sofern freiwillig getroffen, ganz gut leben lässt, davon überzeugte sie sich bei der Recherche zu ihrem Comic. Ungefähr 20 Frauen befragte sie zu deren persönlichen Erfahrungen mit dem Thema. Außer einer einzigen bereute keine die Entscheidung.

„Ich wollte eine ganz gewöhnliche Alltagsgeschichte erzählen“, sagt Zejn in Berlin. Das ist ihr gelungen. So lässt sich Ollis Euphorie, mit der er die Nachricht der Schwangerschaft aufnimmt und die ihn daran glauben lässt, sich ab jetzt verantwortungsvoll zu verhalten, ebenso nachvollziehen wie Anjas Bauchgefühl, das ihr sagt, dass dem nicht so sein wird. Am Ende bleibt es ihre Entscheidung, und die trifft sie selbstbestimmt und ohne Reue.

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7 Kommentare

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  • So relevant das Thema ist, aber der Zeichenstil ist nicht gerade ein Hingucker.

  • O-oh, ist das nicht ganz, ganz böse Baby-Tötungspropaganda? ;-) Im ernst: die Novel klingt interessant und ich würde mich freuen, wenn die Novel im Diskurs um sexuelle Selbstbestimmung dazubeitragen kann, wie die Autorin Sophia Zessnik schreibt, für gebährfähige Leser*innen und deren Partner*innen einen Ausgleich zum in der Gesellschaft vorhandenen Druck von Schuld, Scham und Tabu zu schaffen.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    „Ungefähr 20 Frauen befragte sie zu deren persönlichen Erfahrungen mit dem Thema. Außer einer einzigen bereute keine die Entscheidung.“

    Das ehemals in diesen Frauen heranwachsende, dann aber abgetriebene menschliche Leben, Träger der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, kann leider niemand mehr befragen.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Da Sie das so pauschal sagen: Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland straffrei von 1. bis 12 Woche. Das ist ein Entwicklungsbereich von mikroskopisch kleinem Zellhaufen bis hin zu einer Größe von 5 bis 6 cm und etwa 14 g Gewicht. Ich denke da sollte mensch schon differenzieren, wenn mit so Begriffen wie Menschenwürde und so hantiert wird. Wer da im klein-klein die Menschenwürde sucht, der*dem empfehle ich Monty Pythons Minimusical aus Der Sinn des Lebens "Every sperm is sacred":



      www.youtube.com/watch?v=bzVHjg3AqIQ

      • 1G
        14390 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Sie bewegen sich damit gerade außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland - aber das ist Ihnen wahrscheinlich klar.



        Für sie mag es ein "mikroskopisch kleiner Zehllhaufen" sein, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat allerdings mehrfach festgestellt, daß ab dem Moment der Nidation, also des Einnistens der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut, menschliches Leben gegeben ist, welches Träger der Grundrecht aus Art. 1 GG (Menschenwürde) und Art. 2. GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) ist.



        Und Sie sagen es ganz richtig: Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland unter gewissen Voraussetzungen (!) bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei, es bleiben aber trotzdem Straftaten gegen das menschliche Leben.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Das sind halt die Widersprüche, die es im Leben so gibt. Wer mit sich selber schon genug zu tun hat, kann mit einer solchen Verantwortung zusätzlich noch schlechter umgehen - auch wenn der sog. "Partner" vordergründig mitmachen will, irgendwann aber doch geht. Das Leben ist eben nicht schwarz oder weiß.

  • Was? Eine Abtreibung ist gar nicht zwingend ein Trauma, von dem sich eine Frau die nächsten 200 Jahre nicht erholen kann? Wozu dann die Zwangsberatung, deren Existenz einem genau das suggeriert?

    PS: §218 muß weg!