Unterricht an Schulen in Katalonien: Politisch heikle Sprache
Sollen Kinder in Katalonien auf Spanisch oder Katalanisch unterrichtet werden? Ein Gerichtsurteil erregt die katalanischen Gemüter.
Der Grund für den Protestmarsch: Der Oberste Gerichtshof Spaniens hatte Ende November ein Urteil der katalanischen Justiz bestätigt, das festlegt, dass künftig 25 Prozent des Schulunterrichts in Katalonien auf Kastilisch – die Sprache, die allgemein als Spanisch bekannt ist – abgehalten werden müssen.
Die Eltern, die jetzt auf die Straße gingen, sehen darin eine Gefahr für das bisherige Schulmodell. Und das ist einzigartig für Spanien: In Katalonien wird nämlich an den meisten Schulen, bis auf den Spanischunterricht als solchen, der gesamte Unterricht auf Katalanisch abgehalten. „Inmersión“ wird das Konzept genannt, sprachliches Eintauchen.
Das fördere den Spracherwerb auch derer, die zu Hause Spanisch sprechen, und helfe der beruflichen Integration, lautet die Begründung. In der Region Katalonien, in der etwas mehr als 7 Millionen Menschen wohnen, nutzen laut einer offiziellen Umfrage 36,1 Prozent üblicherweise das Katalanisch, 48,6 Prozent das Kastilisch und 7,4 Prozent beide Sprachen.
Empörung in Katalonien
Regionalregierungschef Pere Aragonès von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) bezeichnete das Urteil des Gerichtshofs als Teil einer „Offensive des spanischen Nationalismus“ gegen Katalonien. Andere Redner forderten die katalanische Autonomieregierung auf, das Gerichtsurteil nicht zu befolgen. Ob die Regionalregierung die Vorgaben aus Madrid nun umsetzen möchte oder bei ihrem Unterrichtsmodell bleibt, ließ Aragonès bislang offen.
Der Streit um die Sprache wird vor allem von der Rechten im restlichen Spanien geschürt. Im Jahr 2015 klagte der damalige spanische Bildungsminister aus den Reihen der konservativen Partido Popular (PP), Iñigo Méndez Vigo, vor der katalanischen Justiz für einen höheren Anteil an Spanisch an den Schulen in Katalonien. Diese Klage nahm ihren Weg durch die richterliche Instanzen, bis jetzt der Oberste Gerichtshof endgültig entschied. In jenen Jahren sprach die Regierung von der „Kastillianisierung Kataloniens“ und warf den Katalanen vor, die Sprache an den Schulen zu nutzen, um die Kinder zu indoktrinieren.
Auch jetzt macht Spaniens Rechte erneut Politik mit dem Thema. PP-Chef Pablo Casado forderte die Linksregierung aus der sozialistischen PSOE und Unidas Podemos unter Pedro Sánchez in Madrid auf, zu intervenieren. Laut Verfassungsparagraf 155 kann Madrid die Regionalregierung des Amtes entheben, wenn sie gegen die staatliche Ordnung verstößt. In Katalonien weckt das böse Erinnerungen, nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien im Oktober 2017 machte Madrid Gebrauch vom Artikel 155 und setzte die Regionalregierung ab.
Der Konservative Casado fordert, dass die spanische Regierung nun die Kontrolle des katalanische Bildungssystem übernimmt. „Kann es toleriert werden, dass es Kinder gibt, die, weil sie in der Pause Spanisch sprechen, Steine in den Rucksack gelegt bekommen? Kann es toleriert werden, dass es Lehrer gibt, die Anweisung haben, Kinder nicht auf die Toilette gehen zu lassen, weil sie Spanisch sprechen?“, behauptete er etwa, ohne die schweren Vorwürfe belegen zu können. Der kleinere Koalitionspartner in der katalanischen Regierung, Junts x Cat (Gemeinsam für Katalonien) zeigte Casado jetzt wegen „Verleumdung“ und „Hassverbrechen“ an.
Faktenlage eindeutig
Nur wenige hundert Familien verlangten in den letzten Jahren tatsächlich mehr Kastilisch im Unterricht – und das bei rund einer Million Schüler und Schülerinnen in Katalonien. Die Sorge um die Mehrheitssprache, die Politiker in Madrid immer wieder als Argument gegen das aktuelle katalanische Schulsystem anführen, ist tatsächlich völlig unbegründet.
Die Pisa-Studie zeigt, dass die Schüler und Schülerinnen in Katalonien bei ihren Spanischkenntnissen im Landesschnitt liegen. Im südspanischen Andalusien, wo es keine eigene Sprache gibt, schneiden die Kinder erheblich schlechter ab als in Katalonien, und die Hauptstadtregion Madrid ist nur um wenige Zehntel besser.
„Katalanisch in der Schule ist ein Garant für soziale Integration und für viele Kinder und Jugendliche der einzige Ort, wo sie die Möglichkeit haben, normal Katalanisch zu lernen und zu leben und sich als Teil derselben Gesellschaft zu fühlen“, analysiert Elena Sintes, Projektchefin der Stiftung Jaume Bofill, die sich mit Bildung beschäftigt.
„Untersuchungen belegen immer wieder, dass Katalanischkenntnisse von Vorteil auf dem Arbeitsmarkt sind“, sagt sie. Tatsächlich wurde das Programm des „Eintauchens“ nicht etwa von katalanischen Nationalisten, sondern von der katalanischen Linken erdacht, um Kinder von Arbeitsimmigranten zu integrieren.
Katalanisch wird verdrängt
„Nach den neuesten Daten scheint Spanisch in der Schule nicht in Gefahr zu sein“, sagt Sintes. Im Gegenteil, der Gebrauch von Katalanisch in den Klassenzimmern sei rückläufig. Laut einer Studie nutzen 28 Prozent der Schüler Katalanisch nie oder fast nie an der Schule. Auch im Klassenzimmer ist die Verwendung von Katalanisch stark zurückgegangen: Der Anteil derer, die bei Gruppenaktivitäten im Unterricht immer Katalanisch sprechen, ist von 68 Prozent im Jahr 2006 auf heute knapp über 21 Prozent gefallen.
Im gleichen Zeitraum ging der Anteil der Lehrer und Lehrerinnen, die ausschließlich auf Katalanisch mit den Schülern reden von 63,7 auf 46,8 Prozent zurück. „In 15 Jahren ist Katalanisch zu einer Minderheitssprache geworden“, stellt Sintes fest.
Aufgeschreckt von dieser Untersuchung und vom Urteil des Obersten Gerichtshofs in Madrid, hat der katalanische Bildungsminister Josep Gonzàlez-Cambray in aller Eile einen Plan zur Förderung der katalanischen Sprache an den Schulen vorgelegt. 120.000 Lehrer sollen vor Ende 2022 eine „Schulung zum Umgang mit Katalanisch im Klassenzimmer“ absolvieren.
„In den letzten Jahren wurde nicht genug getan. Das geben wir zu. Wir müssen handeln, um dies zu korrigieren“, erklärt Bildungsminister Gonzàlez-Cambray. Rechte Gruppierungen haben ihn mittlerweile angezeigt, weil er die 25-Prozent-Regelung des Obersten Gerichtshofs bisher nicht umgesetzt hat.
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