: Ein junger Kapitän ist noch kein Neuanfang
Für die Handball-Nationalmannschaft der Frauen läuft es prima, die Männer können da nur neidisch in den Fernseher gucken. Doch auch Kapitän Johannes Golla ist beliebt
Von Frank Heike
Auch in der Altbauwohnung der Familie Golla im Norden Flensburgs lief am Freitagnachmittag Handball. Deutschland gegen Südkorea bei der Weltmeisterschaft. Die große Chance der Nationalmannschaft, das Viertelfinale schon vor dem letzten Hauptrundenspiel am Sonntagabend gegen Dänemark zu buchen. „Ich kann nicht das ganze Spiel sehen“, sagt Johannes Golla, der Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft. „schaue aber auf jeden Fall rein.“ Die volle Fokussierung auf Handball am Nachmittag lässt vermutlich auch die zehn Monate alte Tochter nicht zu.
Golla hat den Weg der Frauen bei den Titelkämpfen in Spanien verfolgt, ist angetan von der frischen und mutigen Spielweise des Teams. Er interessiert sich auch deshalb für die Auftritte der ersten Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB), weil seine jüngere Schwester Paulina Golla nach zwei Jahren in Buxtehude für den VfL Oldenburg in der Bundesliga spielt.
Darüber hinaus verfolgt Johannes Golla vieles, was im Handball, beim DHB und auf der Welt geschieht. Wen man auch fragt, Antworten zur Einstellung und Mentalität des 24 Jahre alten Kreisläufers grenzen an Lobeshymnen. Im Norden soll um ihn herum die neue Mannschaft der SG Flensburg-Handewitt aufgebaut werden; jüngst hat Golla seinen Vertrag bis 2026 verlängert. Die Leistungssprünge auf dem Feld und die professionelle Sicht auf das Leben eines Handball-Spielers ließen ihn in den Augen vieler als idealen Nachfolger Uwe Gensheimers erscheinen – und so kam es dann auch. Seit dem letzten Lehrgang ist er Kapitän der Nationalmannschaft.
Natürlich weiß Golla, dass bei den Frauen eine ähnlich junge Spielerin dieses Amt übernommen hat – Emily Bölk. Doch eine Neuausrichtung beim Verband will er daraus nicht ableiten. Bei den Frauen seien Leistungsträgerinnen der Vorjahre nicht mehr dabei, das gleiche gelte für die Männer: Da habe es halt neue Anführer*innen geben müssen, erklärt er. So etwas ist typisch für ihn: Die krachende Schlagzeile sollen andere liefern.
Derweil hat Emily Bölk im katalanischen Granollers, wo das Viertelfinale stattfand, für einige Ausrufezeichen gesorgt. Zum ersten Mal unter Bundestrainer Henk Groener wirken die Frauen tatsächlich wie Medaillenkandidatinnen. Da war kein Zögern, der 37:28-Sieg am Freitag gegen Südkorea war Ausdruck purer Entschlossenheit. Bölk entspannte dabei die einzige brenzlige Phase des Spiels. Mit Mut und Kraft stieß sie durch die Lücke in der Abwehr und warf ihre Tore.
Schon bei den deutlichen Vorrundensiegen gegen die Slowakei und Tschechien hatte die 23 Jahre alte Halblinke ihre gute Form angedeutet und war im entscheidenden Spiel gegen Ungarn nach vielen Minuten auf der Bank zur Stelle, als die Partie auf des Messers Schneide stand.
Am Freitag strahlte sie zusammen mit ihrer Ko-Kapitänin Alina Grijseels eine mitreißende Energie aus. Nervenflattern adé: Die späten, bitteren Niederlagen nach guter Vorleistung bei früheren Turnieren sollen wohl der Vergangenheit angehören.
Bölk wirkte schon vor dem Turnier selbstbewusst. Es war das vierte für die Frau aus Buxtehude, aber das erste, bei dem sie als gestählter Auslandsprofi voranging. Die Rolle der Kapitänin füllt sie mit Leichtigkeit aus. Die immer gleichen Fragen zum Alltag in Ungarn, bei ihrem Heimatverein? Kein Problem. Dort, bei Ferencvaros, gibt es Bedingungen, von den Bundesligisten nur träumen können. Charterflüge, vereinseigene Hallen, ein großer Stab an Betreuer*innen – nur die Story, dass Ferencvaros-Spielerinnen ihr Auto in Budapest ungeahndet überall abstellen dürfen, entlarvt Bölk lachend als Fake News.
Im zweiten Jahr dort hat sie ihr Niveau gehoben; ihre Aktionen sind stabiler und ruhiger. Weil der Stamm der DHB-Auswahl im Ausland spielt, waren die eigenen Erwartungen vor der Veranstaltung größer als nach außen zugegeben. Da musste doch etwas gehen? Nun, am Dienstag im Spiel unter den letzten acht folgt die Reifeprüfung für Groeners sieben.
Eine solche erwartet Johannes Golla bei der Mitte Januar beginnenden EM in Ungarn und der Slowakei nicht. Rücktritte, Verletzungen: willkommen im Alltag des deutschen Männer-Handballs. Golla betrachtet das ganze lösungs-, nicht problemorientiert. Er hat Lust auf das deutlich verjüngte, nominell mittelmäßige Team. Die Vorrunde gegen Österreich, Belarus und Polen überstehen, in der Hauptrunde des Beste draus machen: „Niemand spricht vom Halbfinale“, sagt Golla.
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