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SPD übertüncht ihre WidersprücheKOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

„Die Linkspartei wirkt“ – mit dieser Feststellung spielte der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky vor wenigen Wochen auf den Linksschwenk an, der sich sowohl bei Grün als auch bei Rot abzeichnete. Zumindest diesmal hat Bisky mit seiner Diagnose Recht behalten: Das gestern verabschiedete Wahlprogramm der SPD versucht, die Linkskurve zu kriegen.

Allerdings verfangen sich die Autoren des SPD-Programms in einem Widerspruch. Denn das Führungspersonal der Partei setzt im Wahlkampf zugleich auf Kontinuität bei der Agenda 2010. Die grundlegende Agenda, so Wolfgang Clement gestern, sei „weiter das Leitmotiv“. Damit verweigert sich die SPD auch jetzt der Einsicht, dass die Hartz-Reformen elementaren Anforderungen der Gerechtigkeit widersprechen und ihr proklamiertes Ziel nicht erreichen werden.

Woher diese Erfahrungsresistenz? Sie speist sich aus der Anbetung einer scheinbar neutralen Expertokratie, für die die Politik des „Förderns und Forderns“ als einzig rationales Mittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit feststeht. Es ist der Köhlerglaube an die Alternativlosigkeit des einmal eingeschlagenen Weges der „Reformen“, dieser Pseudorationalismus, der die sozialdemokratische Machtelite zusammenhält. Der Rekurs im Wahlprogramm auf Solidarität und soziale Gerechtigkeit bleibt deshalb äußerlich. Es geht eben nicht um eine „soziale Absicherung“ von Hartz I bis Hartz X, sondern um ein dem gesellschaftlichen Druck geschuldetes Manöver. Die SPD-Wahlplattform grenzt sich gegenüber „sozialer Kälte“, vertreten durch die Christ- und Freidemokraten, ebenso ab wie gegenüber den „populistischen Illusionen“, die sie bei der Linkspartei verortet. Sie präsentiert sich als „linke Mitte“. Die „Mitte“ gilt in Deutschland als symbolischer Ort des Maßes, der Einsicht ins Machbare. „Linke Mitte“ hieße demnach Realpolitik auf der Basis sozialer Gerechtigkeit.

Was aber bleibt von dieser sozialdemokratischen Selbstverortung, wenn sich die soziale Wirklichkeit weigert, den SPD-Reformvorstellungen zu folgen? Und wäre es – schon um der Selbsterhaltung willen – nicht ratsam, statt der proklamierten Kontinuität allmählich den Bruch ins Auge zu fassen?

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