Wohnraum für wohnungslose Frauen: „Größer als man von außen denkt“
In Kiel bauen eine Wohlfahrtsorganisation und das Studierendenwerk Tiny Houses für wohnungslose Frauen. Zwei Häuser sind schon bezogen.
Rechts ein Schlafzimmer mit Bett und Schrank, links das Wohnzimmer mit Küchenecke: „Größer als man von außen denkt, und für mich vollkommen ausreichend“, sagt Annika über ihr Häuschen. Es besteht aus zwei Containern, genau wie das Haus von Merethe gegenüber.
Die Möbel gehören zur Ausstattung, von Annika stammen die Bilder, die an den Wänden hängen oder in Arbeit sind – auf einer Staffelei steht ein Ölgemälde, auf dem kleinen Schreibtisch, der vor dem Fenster steht, liegt die Bleistiftzeichnung dreier Kinder, eine Auftragsarbeit. Platz und vor allem Ruhe, um ihre Existenz als freie Künstlerin aufzubauen, hatte Annika sich gewünscht – und schon nach einem Monat im eigenen Haus laufe es gut an, sagt sie.
Ein Krankheitsfall in der Familie hatte ihr Leben durcheinander gebracht. Statt nach ihrem Studium – Kunst und Musikgeschichte – ihre Karriere aufzubauen, kümmerte sie sich um ihre Mutter. Am Ende eines langen Weges fanden sich beide in einer Unterkunft der stadt.mission.mensch wieder. Dort den Kopf frei zu bekommen, um zu malen, sei fast unmöglich gewesen, sagt sie. „Aber jetzt bin ich wieder da, wo ich damals aufgebrochen bin, nur mit mehr Erfahrungen und reifer.“
„Mein Häuschen finden alle toll“
Ihre Nachbarin Merethe studiert im dritten Semester Politik und Sprachwissenschaften, sie hatte in Kiel keine bezahlbare Wohnung gefunden und sich für das Tiny House beworben. Es sei gut, endlich am Studienort zu leben, berichtet die Studentin, die aus der Kleinstadt Bad Bramstedt stammt. „Und mein Häuschen finden alle toll.“
Rund 1.200 Menschen sind in Kiel ohne Wohnung, rund 50 leben auf der Straße. Hinzu kommen rund 1.000 Studierende, die auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz stehen. „Ja, zwei Häuschen sind da ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Karin Helmer, Geschäftsführerin der stadt.mission.mensch. „Doch 1.200 ist nur eine Zahl, und hinter jeder Ziffer steht ein Mensch.“ Das gemeinnützige Unternehmen betreut Hilfsbedürftige, darunter psychisch Kranke, Straffällige und Wohnungslose. Für Frauen, die kein Dach über dem Kopf haben, gibt es eigene Beratungsstellen und Unterkünfte.
Gewalt und Armut führen oft dazu, dass Frauen ihre Wohnung verlieren. Auf der Straße landen sie selten, sie „schlafen bei jemandem, und es besteht die Gefahr, dass daraus Beischlaf wird“, berichtet Helmer. Um die Betroffenen vor solchen Übergriffen zu schützen, wünscht sie sich „Wohnraum, Wohnraum, Wohnraum“ –, und hat daher gemeinsam mit dem Studierendenwerk das House-Projekt angestoßen. Zahlreiche Spender*innen waren beteiligt, angefangen beim Land Schleswig-Holstein, das die Container stiftete, über Architekt*innen und Handwerker*innen bis zu einem Möbelhaus, das die Einrichtung spendierte.
Das Projekt solle „ausstrahlen und etwas in Bewegung bringen“, wünscht sich Helmer. „Wir sind dankbar, wenn Vermieter eine Mitverantwortung zeigen und bewusst auch Menschen aufnehmen, die vielleicht keine perfekte Schufa haben.“
In den Tiny Houses dürfen die jeweiligen Mieterinnen, die rund 300 Euro monatlich zahlen, bis zu eineinhalb Jahren bleiben. Annika will die Chance nutzen: „Ich hatte immer ein Ziel, und ich werde die Zeit nicht verstreichen lassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!