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Schü­le­r:in­nen stellen ZukunftsfragenDie 4a will die Welt retten

Am „Frei Day“ ist keine Schule, stattdessen beschäftigen sich Schü­le­r:in­nen mit Fragen der Zukunft. Es geht um Klima, die Erde und das eigene Dorf.

Es gibt in der Regel viel zu viel Müll in Stadt und Land. Aber es lässt sich was dagegen tun! Foto: dpa/Thomas Banneyer

Todenbüttel taz | An einem frostigen Freitag im Dezember machen sich Emma, Kimberly, Lena und Isabella auf, um ein paar Systemfragen zu stellen. Weit ist der Weg nicht: Die Neun- und Zehnjährigen gehen nur von der Theodor-Storm-Dörfergemeinschaftsschule über die Hauptstraße zum örtlichen Supermarkt im 1.100-Seelen-Ort Todenbüttel in Schleswig-Holstein. Dort bauen sie sich in einer Reihe vor dem stellvertretenden Marktleiter auf.

Der hat eigentlich keine Zeit, aber der stumme Vorwurf aus vier großen Augenpaaren zwingt ihn buchstäblich in die Knie. Er geht in die Hocke, also auf Augenhöhe mit den Viertklässlerinnen, und diskutiert mit ihnen über Plastikverpackungen und Lebensmittel, die entsorgt werden, anstatt sie an Leute ohne Geld zu verschenken. Stefan Meßfeldt, Klassenlehrer der 4a, hat seine Schülerinnen in den Markt begleitet, steht nun aber außerhalb der Hörweite. Das fällt ihm schwer, gibt er zu: „Als Lehrer hat man Ideen im Kopf und will am liebsten was vorgeben – aber sie müssen es selbst machen. Das ist nun mal das Konzept des Frei Days.“

Hinter dem denglischen Kunstwort steht die „Schule im Aufbruch“. Das Konzept hat die inzwischen pensionierte Lehrerin Margret Rasfeld als Leiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum zwischen 2012 und 2016 entwickelt. Inzwischen ist daraus die Schule-im-Aufbruch-GmbH geworden, die Schulen berät, wenn sie neue Wege einschlagen wollen. Heißt: Auch wenn der Name „Frei Day“ an die Fridays for Future erinnert, gab es die „Schule im Aufbruch“ früher, schließlich stand FFF-Begründerin Greta Thunberg zum ersten Mal im August 2018 mit dem „Schul­streik fürs Klima“-Plakat auf der Straße.

Im Zentrum von Rasfelds Idee steht, Kindern Freiräume zu geben – Tage, die frei sind von klassischem Unterricht. „Am Frei Day stellt das Leben die Fragen“, heißt es etwas hochtrabend auf der Website von Schule im Aufbruch. Schü­le­r*in­nen können sich an diesen Tagen statt mit Matheformeln oder Grammatik mit „selbst gewählten Zukunftsfragen“ befassen.

Mehrwegbecher statt Limoflaschen

Rund 80 Schulen in Deutschland arbeiten laut der Website nach diesem Konzept, in Schleswig-Holstein sind es zwei. Darunter ist die Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule mit Standorten in Hanerau-Hademarschen und Toden­büttel. Um Zukunftsfragen geht es dort nicht nur an speziellen Projekttagen, berichtet Schulleiterin Heike Brunkert.

So hängen seit einiger Zeit Wasserspender in den Gebäuden, damit die Kinder sich daran gewöhnen, Wasser aus dem eigenen Mehrwegbecher statt Limos aus der Plastikflasche zu trinken. Und eine neunte Klasse baut aus alten PCs neue Geräte zusammen. „Weniger Verbrauch, Müll vermeiden, Energie sparen – das sind Themen der Stunde, mit denen sich die Kinder befassen und die auch für die Schulen wichtig sind“, sagt Brunkert.

Um seine Viert­kläss­le­r*in­nen an die neue, offene Lernform heranzuführen, hat Lehrer Andreas Meßfeldt ein Video gedreht, in dem er Müll auf dem Schulgelände verteilt und so tut, als wäre das in Ordnung. „Die Kinder waren entrüstet“, sagt er und grinst. Das war kurz nach den Sommerferien, und seither haben sich die Grund­schü­le­r*in­nen in Kleingruppen mit dem Bienensterben, Braunkohlekraftwerken in China und Müllproblemen im Dorf befasst.

Daraus sind konkrete Projekte entstanden: Mit Hilfe des Schulhausmeisters bauen drei Kinder Insektenhotels, und Emma, Kimberly, Lena und Isabella waren nicht nur im örtlichen Supermarkt, sondern auch schon im Gemeinderat, um mehr öffentliche Mülleimer zu fordern. An ihren ersten politischen Auftritt haben die vier Mädchen gemischte Erinnerungen: Als sie selbst reden mussten, hatten sie Lampenfieber – ansonsten sei es langweilig gewesen.

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2 Kommentare

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  • " Wasserspender in den Gebäuden, damit die Kinder sich daran gewöhnen, Wasser aus dem eigenen Mehrwegbecher"

    Wenn das die Neuerung ist.

    Früher, ja früher, hat man den Kopf ins Waschbecken gesenkt, den Hahn aufgedreht und getrunken.



    Ganz ohne Wasserspendertechnik und Abfall (wenn auch etwas langlebiger als Einwegflaschen).

    Gibt es übrigens auch als Strahl nach oben. Schon Jahrzehnte in den USA.

  • 4G
    47360 (Profil gelöscht)

    Leider sind solche Projekte unfreiwilliges Greenwashing. Das Problem ist nicht der rumliegende Müll oder das Fehlen von "Insektenhotels", alles Projekte, die deutschlandweit oft vorkommen (Müllsammeln etc.).

    Vor ca. 40 Jahren schrieb Elisabeth Mann-Borgese in ihrem Bericht an den Club of Rome, dass, je globaler adminstrativ (inkl. per Verträgen) agiert werde, desto nachhaltiger und an die Zukunft gerichteter das Agieren ausfalle - je lokaler jedoch administrativ agiert werde und das ist der entscheidende Punkt, desto egoistischer, rücksichtsloser und habgieriger werde administrativ agiert.

    Darunter fallen immer noch die weit über dem europäischen Durchschnitt liegenden Flächenversiegeluingen in Deutschland, keine Kommune, die nicht rücksichtlos Flächen versiegelt und Bauland ausschreibt etc. usw. und dazu gleichzeitig in den Rathäusern Broschüren zu Insektenhotels liegen hat oder sogar Klimaworkshops anbietet.

    Ergibt Insektenhotels ohne Lebensraum für Insekten, diese Hotels sind eigentlich Reservate, mit Reservaten funktioniert es nicht. Die jährlich neu versiegelte Fläche in den Kommunen ist viel größer als die Winzlingsfläche der "Hotels" im Vergleich.

    Und das gilt de facto flächendeckend in Deutschland. Die Schulen scheuen die Konflikte mit der Wirklichkeit.