600 Sprengsätze in Hessen gefunden: CDU-Kandidat unter Terrorverdacht
Ein CDU-Kommunalwahlkandidat soll einen rechtsextremen Anschlag geplant haben. Die Opposition kritisiert die Informationspolitik.
Diese Festnahme fand bereits am 16. September statt – aber erst jetzt wurde sie durch einen Bericht des Hessischen Rundfunks bekannt. Und sie ist politisch brisant: Denn verhaftet wurde mit dem 20-jährigen Spangenberger Marvin E. ein früherer Kommunalwahlkandidat der CDU, dem nun Rechtsterrorvorwürfe gemacht werden.
Laut den Staatsanwaltschaften Kassel und Frankfurt am Main war das Landesamt für Verfassungsschutz Ende August auf englische Chats des Tischlerlehrlings aufmerksam geworden, in denen er sich nach Waffen und der Herstellung selbiger mittels 3D-Druck erkundigte. Auch rechtsextreme Formulierungen sollen gefallen sein. Mithilfe eines 3D-Druckers hatte auch der Halle-Attentäter Waffen gebaut.
Im Manifest war von einem „totalen Rassenkrieg“ die Rede
Bei der Durchsuchung im September wurden dann laut Staatsanwaltschaft 600 Kleinsprengkörper und 6 „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen“ gefunden, worunter etwa Rohrbomben fallen. Ebenso gefunden wurde eine Art Manifest, in dem von einem „totalen Rassenkrieg“ die Rede war. Marvin E. wurde in U-Haft genommen, ihm wird die Vorbereitung eines Anschlags vorgeworfen.
Publik aber wurde der Fall erst jetzt – zwei Monate später – durch den HR-Bericht. Die CDU Spangenberg betont, dass der Festgenommene nur ein „freier Bewerber“ bei der Kommunalwahl im März gewesen sei, ohne Parteibuch, der letztlich auch nicht gewählt wurde. Nur an zwei Fraktionssitzungen habe er teilgenommen, sich nicht zu Wort gemeldet. Ein radikales Gedankengut sei nicht erkennbar gewesen. Nach taz-Informationen war Marvin E. weder polizeibekannt noch als Extremist beim Verfassungsschutz gespeichert.
Die Opposition im Landtag aber sieht drängenden Klärungsbedarf. Es sei nicht nachvollziehbar, wie es ein Terrorverdächtiger auf die CDU-Wahlliste geschafft habe, erklärte SPD-Geschäftsführer Günter Rudolph. „Der Fall ist für alle demokratischen Parteien eine Mahnung, ihre Kandidatinnen und Kandidaten bei Wahlen gründlich auf ihre Verfassungstreue zu prüfen.“ Innenminister Peter Beuth (CDU) müsse den Innenausschuss nun „umfassend“ über den Fall informieren. Bei der Schwere der Vorwürfe hätte er dies aber selbstverständlich „von sich aus“ tun müssen so Rudolph.
Opposition verlangt Informierung im Innenausschuss
Das sieht auch die Linke so, die am Montag einen dringlichen Berichtsantrag zu der Festnahme im Landtag einreichte. „Wurde die Öffentlichkeit über den Fall nicht informiert, weil der Beschuldigte für die CDU aktiv war und die Festnahme kurz vor der Bundestagswahl erfolgte?“, fragte Linken-Geschäftsführer Torsten Felstehausen. „Damit würde sich die skandalöse hessische Tradition fortsetzen, Fälle von Rechtsterror unter den Teppich zu kehren, wenn sie für die CDU unangenehm erscheinen.“ Felstehausen erinnerte daran, dass auch über den Verfassungsschützer Andreas Temme, der beim Kasseler NSU-Mord anwesend war, oder die NSU-2.0-Drohschreibenserie erst spät informiert wurde.
Das Innenministerium verteidigte sich auf taz-Anfrage. Der Fall zeige, dass die hessischen Sicherheitsbehörden „sehr wachsam“ seien, sagte ein Sprecher. Es habe trotz des schwerwiegenden Vorwurfs „zu keiner Zeit eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung“ bestanden. Zudem seien bereits am 20. September die Obleute im Innenausschuss über den Fall informiert worden.
In Parlamentskreisen wird darauf erwidert: Zum einen sei die Information nichtöffentlich gewesen, zum anderen völlig abstrakt. Nicht mal, welche politische Richtung hinter den Tatvorwürfe stecke, sei benannt geworden. Die Dimension sei so überhaupt nicht klar geworden.
„Boden unter den Füßen weggezogen“
Die CDU Spangenberg lässt derweil offen, wann sie von der Festnahme ihres früheren Kandidaten wusste – und wen sie darüber informierte. Spangenbergs CDU-Bürgermeister Peter Tigges erklärte, ihm habe der Fall „den Boden unter den Füßen weggezogen“. Die 6.000-Einwohner-Gemeinde habe sich in den letzten Jahren sehr für Geflüchtete engagiert. „Hier hat sich so viel entwickelt und trotzdem ist es geschehen.“ Der Fall müsse daher ein „Weckruf“ für alle sein, genauer hinzuhören, „wo nicht nur Meinungen geäußert, sondern Hass und Gewaltbereitschaft geschürt werden“, so Tigges. „Wir müssen lernen, früher dazwischen zu gehen.“
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