Palästinenser in Israels Gefängnissen: Hungerstreik als Ultima Ratio
In Israels Gefängnissen sitzen Hunderte Palästinenser*innen ohne Anklage in Verwaltungshaft. Aus Protest hungert Kayed Fasfous seit 122 Tagen.
Aschkelon taz | „Müde“, sagt Kayed Fasfous mit leiser Stimme, wenn man ihn fragt, wie er sich fühlt. Er liegt in einem Krankenbett im Barzilai-Krankenhaus in Aschkelon im Süden Israels. Seine Situation ist lebensbedrohlich: 122 Tage hat er nichts mehr gegessen, nur Wasser getrunken – aus Protest gegen die Verlängerung seiner Verwaltungshaft.
Solange er sich im Krankenhaus befindet, ist seine Verwaltungshaft eingefroren und er kann Besuch empfangen. Seine Tochter schmiegt sich an ihn. Kayeds Frau, seine Mutter und seine Tochter haben an diesem Tag die Erlaubnis erhalten, aus dem Westjordanland nach Israel einzureisen.
Dass er sich in Hungerstreik befindet, sieht man vor allem an seinen knochigen Armen und Beinen. Und auch wenn der ehemalige Bodybuilder das Hungern besser wegsteckt als fünf weitere Palästinenser*innen, die sich ebenfalls in ihrer Verwaltungshaft im Hungerstreik befinden, ist er zu schwach, um aufzustehen. Und sein Zustand verschlechtert sich jeden Tag.
Der 32-jährige Fasfous aus einem Dorf in der Nähe von Hebron im Süden des Westjordanlandes erzählt, er habe keine Ahnung, warum er festgenommen wurde. So wie alle anderen, die sich in Verwaltungshaft befinden. Denn Verwaltungshaft bedeutet: Es gibt keine Anklage und keinen regulären Gerichtsprozess. Selbst sein Anwalt weiß nicht, was Fasfous vorgeworfen wird.
Die Haft kann jederzeit ohne Begründung verlängert werden
Im Westjordanland können Palästinenser*innen in Verwaltungshaft genommen werden, wenn das israelische Militär ein Sicherheitsrisiko vermutet. Der Fall muss innerhalb von acht Tagen vor das Militärgericht gebracht werden.
„Da diejenigen, die sich in Verwaltungshaft befinden, jedoch ihre Anklage nicht kennen, haben sie keine Chance, sich auf legalem Weg zu wehren“, erklärt Dror Sadot von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem. 482 Palästinenser*innen werden derzeit in Verwaltungshaft in israelischen Gefängnissen festgehalten, unter ihnen vier Minderjährige.
„Ihr einziger Weg, gegen ihre Inhaftierung zu protestieren, ist Hungerstreik“, so Sadot. Entsprechend hoch ist die Zahl derjenigen, die dieses Mittel seit Anfang des Jahres 2021 gewählt haben: 60 Palästinenser*innen verweigerten über einen längeren Zeitraum die Aufnahme von fester Nahrung.
Zudem ist Verwaltungshaft zeitlich unbegrenzt. Zwar beträgt die maximale Haftdauer sechs Monate. Da es sich jedoch um eine Präventivmaßnahme handelt, ist sie beliebig um weitere sechs Monate verlängerbar. Fasfous wurde 2018 bereits in Verwaltungshaft genommen und blieb 16 Monate im Gefängnis. Kurz darauf wurde er erneut inhaftiert. „Dass diese Maßnahme in einem sogenannten demokratischen Staat angewandt wird, und dazu in so großem Stil, ist ein Unding“, kritisiert Sadot.
Einer der Hungerstreikenden hat am vergangenen Donnerstag seinen Protest beendet. Ihm wurde von israelischer Seite zugesagt, dass er im Januar aus der Verwaltungshaft entlassen wird. Fasfous aber lehnt jede andere Regelung als seine sofortige Entlassung ab. Er habe genug von endlosen Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren.
Drei seiner Brüder wurden ebenfalls mehrfach in Verwaltungshaft genommen. Laut der israelischen Tageszeitung Ha’aretz sind sie nicht mit der Terrororganisation Islamischer Dschihad oder der Hamas verbunden, sondern mit der politischen Partei Fatah – allerdings in Opposition zu Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas.
Fasfous will nun in ein Krankenhaus im Westjordanland verlegt werden. „Erst dann esse ich wieder“, sagt er mit leiser Stimme.
Leser*innenkommentare
Zuversicht
Glückwunsch, 122 Tage im Hungerstreik sind ein Rekord.
Warum hinterfragt die Redaktion nicht diese Zahl - oder lobt sie ins Guinnessbuch?
Martha
@Zuversicht Sehr zynisch ihr Kommentar.
JuR
@Zuversicht Ihr Empathievermögen ist grenzenlos. Bei dieser Nachricht geht es Ihnen nur darum, den hungernden Mann als Lügner darzustellen? Weil er Palästinser ist? Glückwunsch zu Ihrem dicken Fell.
Obscuritas
@Zuversicht Einmal Googeln ist zu viel für manche Menschen oder?
Fast 16 Jahre lang, insgesamt 5757 Tage, hat Irom Chanu Sharmila nicht den Mund aufgemacht, um Nahrung zu sich zu nehmen.
Bloß weil jemand nicht mehr isst, heiß es nicht das er oder sie keine Nährlösung eingeflößt bekommt um am Leben gehalten zu werden.
Jim Hawkins
@Obscuritas Wie man es mit Holger Meins gemacht hat, der war nach 57 Tagen tot. Bobby Sands von der IRA nach 66 Tagen.
Wenn man ihren Guru mal außen vor lässt, klingt das schon merkwürdig.
Obscuritas
@Jim Hawkins auch zu faul zum Googeln?
Kein Guru, Aktivistin aus Indien.
Hungerstreik gilt als versuchter Suizid in Indien und damit als Straftat. Sie ist 16 Jahre durch die Nase ernährt worden.
Ich gehe daher einfach mal stark davon aus, dass auch in diesem Fall Zwangsernährung im Spiel ist. Wehren kann er sich in dem Zustand ja nicht mehr.
sachmah
Ich bin immer gewillt positive Trends zu sehen, des Öfteren fiel mir Objektivität der einen oder anderen Entscheidung der Gerichte in Israel auf. Aber was in den Randgebieten geschieht, dafür muss man schon einen sitzen haben um dort etwas positives zu sehen. Siehe auch www.tagesschau.de/...e-siedler-101.html . Naja. Ein Staat halt der die Oberhand hat. Ein Staat, der auch nicht besser ist als andere. Denn sowas kann ich mit besonderer politischer Lage, Bedrohung usw. nicht erklären. Da schlagen einige wild über die Stränge, gewiß nicht alle, eher eine doofe Minderheit (laut wie unsere Querdenker, Reichsbürger und wer da noch so herumturnt), aber die Repräsentaten schauen entschlossen weg (Analogien lassen sich auch wiederum bei uns finden, in manchen Bundesländern mehr als in anderen). Recht und Gesetz darf man nirgends fragwürdigen Leuten überlassen.
Martha
@sachmah Sie können mal auf www.btselem.org/to...strative_detention darüber nachlesen.