Globaler Klimastreik: Regieren und blockieren
Die Klimafrage ist ohne die soziale Frage nicht zu lösen. Geht das mit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP? Unser Autor bezweifelt das.
Weniger als einen Monat nach dem Streik mit 100.000 Leuten in Berlin, findet am Freitag, 22. Oktober, wieder ein globaler Klimastreik von Fridays for Future statt. Wieder mit dabei: Initiativen wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, NGOs, radikalere Bewegungen wie Ende Gelände und Jugendantifas. Es soll der Auftakt zu Aktionstagen bezüglich der Koalitionsverhandlungen werden.
Unter dem Motto „Gerechtigkeit jetzt“ sind für die nächsten Tage Blockaden und Besetzungen in Berlin angekündigt. Den Abschluss bildet am Sonntag die „Solidarisch geht anders“-Demo. Doch wie groß ist die Auswirkung dieses Protests auf die Verhandlungen der Ampelkoalitionäre denn nun wirklich?
Die Chance, dass wieder 100.000 Menschen auf die Straße gehen werden, ist gering. Trotzdem ist eine Sache bemerkenswert: Das Motto der Aktionstage ist ein anderes als bei vorherigen Klimaaktionen. Während es bis jetzt vor allem um Klimaschutz und CO2-Preise ging, liegt der Fokus diesmal auf Gerechtigkeit. Die Angst, dass beim Thema Klimaschutz die soziale Frage hinten herunterfällt, wächst in der Bevölkerung. Wer zahlt den CO2-Preis? Wie wird gerade in urbanen Gegenden energetische Sanierung finanziert?
Unlängst hat selbst ein FFF-Sprecher eine Reichensteuer gefordert. Die wird es aber mit der FDP in der Koalition keinesfalls geben. Und auch die Sozialdemokraten werden eher als neue CDU denn als SPD regieren. Der Ex-SPD Abgeordnete Marco Bülow sagte in einem Interview über Olaf Scholz: „[Der] ist super mit Merkel. Gäbe es nicht dieses Lagerdenken, es würde gar nicht mehr auffallen, dass das noch zwei Parteien sind.“
Drei Aktionstage am Wochenende
Und die Grünen? Die müssen Klimaschutz jetzt spürbar machen. Das bedeutet: Schluss mit dem Fördern fossiler Energien, eine umfassende Verkehrswende, weg von der konventionellen Landwirtschaft. Und das alles so schnell, wie es nur geht.
Die drei Aktionstage am Wochenende könnten den linken Flügeln der SPD und Grünen den Rücken stärken. Zum Beispiel bei internen Debatten zur Priorisierung einzelner Forderungen in den Koalitionsverhandlungen. Aber mehr vermutlich auch nicht.
Richtet man den Blick nun in die unmittelbare Zukunft, 600 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, so hat ein Ort mit nur einem Einwohner das Potenzial, die ganze Regierungsbildung zu sprengen. Der Bauer Eckhardt Heukamp in Lützerath bei Erkelenz. Eckhardt ist der letzte Bewohner eines Dorfes, das in den vergangenen Jahren aufgekauft und umgesiedelt wurde. Ab 1. November soll es vollständig abgerissen werden. Von diesem Tag an kann der Hof des Bauern durch RWE enteignet und zwangsgeräumt werden.
Eckhardt Heukamp aus Lütherath ist eine Ikone geworden
Mittlerweile ist Heukamp wegen seiner Standhaftigkeit zu einer Ikone geworden. Unlängst bekam er Besuch von den beiden Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg. Die Klimabewegung hat den Abriss des Dorfes als ein Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze ausgerufen.
Gerade für die Grünen bedeuten die nächste Zeit in der Regierungsverantwortung vor allem eines: Probleme, Probleme, Probleme. So müssen sie den Kohleausstieg neu verhandeln, da ist von Wollen keine Frage mehr. Aber schaffen sie es auch, weitere Dörfer, so wie Lützerath, vor dem Abbaggern zu bewahren? Dürfte schwierig werden. Wie wollen sie die Wirtschaft gemeinwohlorientiert und sozialverträglich gestalten? Mit der FDP ist das eher unmöglich. Aber genau an solchen Schnittmengen wird sich die neue Koalition messen lassen müssen.
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