Der Maler Johann Erdmann Hummel: Der Glanz des Abbildes
In der Alten Nationalgalerie in Berlin ist der Johann Erdmann Hummel wiederzuentdecken. Er war ein Virtuose der Spiegelungen.
Morgens im Badezimmer, in gläsernen Häuserfassaden, im Autofenster oder im Fahrstuhl: Tagtäglich begegnen uns Spiegelungen. Ob gewollt oder nicht – es ist fast unmöglich, dem eigenen Spiegelbild aus dem Weg zu gehen. Der Spiegel spielt auch in der Kunst schon lange eine besondere Rolle. Seine aufgeladene Bedeutungsmacht wird in den Gemälden des Künstlers Johann Erdmann Hummel, den jetzt die Alte Nationalgalerie präsentiert, auf magische Weise interessant. Warum nicht zur Abwechslung mal die außergewöhnliche Präzision der sich spiegelnden Szenen des Malers bewundern?
Schon in der Antike und im Mittelalter beschäftigten sich Künstler:innen mit der Wichtigkeit des Spiegels in der Kunst. Damals wurde dieser jedoch vor allem für die Produktion von Selbstbildnissen verwendet. Denn um sich naturgetreu darstellen zu können, mussten Künstler:innen einen Spiegel zu Hilfe nehmen.
Selbstporträts, wie wir sie heute kennen, setzten sich allerdings erst in der Renaissance durch. Die Porträtmalerei schuf dabei im 16. Jahrhundert nicht nur die Grundlage für eine neue Gattung, sondern thematisierte über den Spiegel auch philosophische Fragen, von Wahrheit und Lüge, Schein und Sein. Neben dem realen Abbild zeigt sich dem Betrachter im Spiegelbild zugleich immer auch ein täuschendes Doppel.
Überhöhung des Bildgedankens
Die Verbindung zwischen Malerei und Spiegel beruht auf einer langen literarischen und künstlerischen Tradition. So schrieben bereits Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci in ihren Malereitraktaten von der großen Bedeutung des Spiegels. Eine spiegelnde Oberfläche im Gemälde, die eine dreidimensionale Wirklichkeit wiedererschaffen kann, entspricht einer Überhöhung des Bildgedankens über die bloße Gleichsetzung des Gemalten mit seinem Spiegelbild hinaus.
Genau hier setzt auch Johann Erdmann Hummels Malerei an. Das Gemalte wird in seinen Werken nicht mit der tatsächlichen Wirklichkeit gleichgesetzt, denn durch die Abbildung von Spiegelbild und Perspektive entsteht nur die Erscheinung einer Wirklichkeit, so wie sie uns optisch begegnet.
„Magische Spiegelungen. Johann Erdmann Hummel“, Alte Nationalgalerie Berlin, bis 20. 2. 2022
Der 1769 in Kassel geborene und 1852 in Berlin verstorbene Hummel ging bei der Nutzung von Spiegelungen in seiner Malerei viel weiter als seine Vorgänger:innen, im nächtlichen Dunkel eines Fensters, dem glänzenden Wasser eines Sees oder in der Granitschale des Berliner Lustgartens, in einer seiner bekanntesten Arbeiten. Hummels Werke scheinen fotorealistisch auf den ersten Blick.
Bei genauerem Hinsehen fällt die bemerkenswerte Feinheit auf, mit der sich der Maler im frühen 19. Jahrhundert (!) auszeichnet. Der Kontrast zwischen naturgetreuer Spiegelung und der im Gegensatz dazu malerisch wirkenden Welt außen herum lädt zum Eintauchen und Träumen ein.
Spiegelung in Bewegung
Das Magische der Spiegelungen in Hummels Bildern wird nicht durch den bloßen Anblick des Selbst im Spiegel erzeugt. Denn der Spiegel als tatsächliches Objekt bekommt selten einen Auftritt in seinen Gemälden, anders als in einigen Selbstbildnissen der Frühen Neuzeit. Der Künstler nutzt gezielt die glänzenden Oberflächen, die uns im Alltag begegnen, und setzt die Spiegelung in Bewegung.
Besonders deutlich wird dies in „Das Schleifen der Granitschale“ von 1831, wobei die Rundungen der Schale die Spiegelungen des durch die Fenster eintretenden Lichts verfälschen oder verbiegen. Dennoch wirkt die gespiegelte Abbildung der Fenster in der Politur des Granits wie eine Fotografie, während die echten Fenster im Hintergrund ganz klar der Malerei zuzuordnen sind.
Neben den Spiegelungen wird der „Perspektiven-Hummel“, so der Spitzname, auch für seine pittoresken Perspektiven geachtet. Obwohl die Landschaften und architektonischen Elemente in seinen Werken weniger fotografisch erscheinen als die gespiegelten Darstellungen, sind sie perspektivisch unbestreitbar akkurat. Nicht ohne Grund wurde der damals 40-Jährige Professor an der Berliner Kunstakademie und gab sein ausgeprägtes Verständnis für Optik, Winkel und Fluchtungen in der Malerei weiter.
Die von Birgit Verwiebe kuratierte Ausstellung unterteilt die rund 45 Gemälde in vier thematische Kategorien. In weiteren fünf Kabinetträumen werden 50 Zeichnungen des Malers gezeigt. Immer wieder gibt es auch hier Begegnungen mit Spiegelungen. Der Künstler hat in den zahlreichen Bleistiftzeichnungen, Aquarellen oder Gouachebildern auch Studien von Spiegelung in tatsächlichen Spiegeln, von Licht und Menschen in Glasscheiben oder von einem ganzen Spiegelsaal erstellt.
Die Texte zu den Werken geben kurze, aber prägnante Hintergrundinfos. Die kalten Herbsttage draußen können zwischen Hummels Bildern dank Regenbögen und Wasserfällen aufgehellt werden. Durch die Detailfreude des Künstlers macht das lange Betrachten der Werke großen Spaß.
Der Leiter der Alten Nationalgalerie, Ralph Gleis, sieht Johann Erdmann Hummel als eine der wichtigsten Wiederentdeckungen unserer Zeit: „Wir freuen uns, in der Alten Nationalgalerie die unerwartete Modernität des Malers und seine bleibende Bedeutung bis in die Gegenwart vermitteln zu können.“ Fast 100 Jahre ist es her, dass Hummel in diesem Museum in einer Retrospektive zu sehen war.
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