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Buchmesse Frankfurt und rechte VerlageMehr als ein Kulturkampf

Der richtige Umgang mit rechten Verlagen ist kompliziert. Das zeigen die Boykottaufrufe gegen die Frankfurter Buchmesse.

Den rechten Jungeuropa Verlag im Rücken: Besucher der Frankfurter Buchmesse, Halle 3.1 Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Frankfurt am Main taz | Vor Ort sah man nicht viel. Im Stand des neurechten Jungeuropa Verlages vertreiben sich in den ersten Messetagen drei, vier Männer Anfang dreißig die Zeit und reden ab und zu mit einem Besucher. Was Kleinverlage halt machen. Sie sitzen da wie im Auge eines Sturms. Wer vorübergeht, schaut aus dem Augenwinkel herüber und eilt schnell vorbei.

Und gleichzeitig sind da auf der anderen Seite die sozialen Medien. Sie vermitteln das Bild einer großen Welle des Protestes, nachdem die Autorin Jasmina Kuhnke ihre Messeauftritte öffentlich absagte, weil sie sich von Neurechten aus dem Jungeuropa-Verlag bedroht sieht. Andere Au­to­r*in­nen – Raul Krauthausen, Nikeata Thompson, Kirsten Fuchs, Annabelle Mandeng, Till Raether und andere – haben sich der Absage angeschlossen.

Der Gegensatz dieser Wucht in den sozialen Medien zu der Ruhe in Frankfurt war in den ersten Messetagen geradezu absurd. Wer fürs Beobachten bezahlt wird, so wie ich, hat große Mühe, die Details zu einem Gesamtbild zusammenzufügen; und vielleicht geht das auch gar nicht. Aus den sozialen Medien jedenfalls spricht ein kämpferischer Wunsch, sich mit Jasmina Kuhnke zu solidarisieren. Und auch der Wunsch, die Rechten würden einfach verschwinden, indem man sie verbietet etwa.

Von der Polizei nicht adäquat beschützt

Das werden sie aber nicht tun. Was zu einem zweiten Paar gegensätzlicher Eindrücke führt. Denn Jasmina Kuhnke hat als exponierte Zielscheibe rechter Hetze im Netz allen Grund, sich verfolgt zu sehen. Sie musste schon ihre Wohnung wechseln und hat, darauf wies in einer Radiosendung der Journalist René Aguigah mit dem Verweis auf Spiegel-Recherchen hin, zudem die Erfahrung gemacht, von der Polizei nicht adäquat beschützt zu werden.

Die Autorin Sharon Dodua Otoo machte in derselben Sendung des Deutschlandfunks klar, was es bedeutet, als einzige Schwarze Frau im Raum, wie es auf Literaturveranstaltungen für sie häufig vorkommt, nicht das Gefühl zu haben, sich im Zweifel auf den Schutz gegenüber Übergriffen verlassen zu können. Vor diesem Hintergrund sind viele der kämpferischen Solidaritätsbekundungen im Netz zu sehen: Ihre Absender möchten den Au­to­r*in­nen versichern, dass man, wenn es drauf ankommt, hinter, neben und vor ihnen steht.

Und auf der anderen Seite dieses Eindruckspaares stehen die Verantwortlichen der Frankfurter Buchmesse. Ihre Bekenntnisse zu Vielfalt und Diversität sind glaubwürdig. Wie sehr ihr die Auseinandersetzungen um Jasmina Kuhnke zusetzen, war Karin Schmidt-Friedrichs, der Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, körperlich anzusehen. Und der Buchmessen-Chef Jürgen Boos hat schon in vielen Interviews betont, dass er die von den neurechten Verlagen vertretenen Ansichten in keinster Weise teilt.

Desaster auf der Leipziger Buchmesse

Doch eine Buchmesse ist, im Unterschied zu einer Zeitung, kein frei kuratierter Diskursraum, sondern eine Marktveranstaltung und unterliegt aufgrund ihrer Monopolstellung dem Kartellrecht, was bedeutet, dass sie Aussteller nur dann abweisen kann, wenn diese gegen geltendes Recht verstoßen – und gegen den Jungeuropa-Verlag liegt strafrechtlich nichts vor. Im Hinterkopf ist den Verantwortlichen zudem das Desaster, als die Leipziger Buchmesse vor einigen Jahren die Junge Freiheit ausschließen wollte. Die rechte Zeitung klagte sich vor Gericht erfolgreich wieder rein.

Was tun? Nun, sich etwa der Kompliziertheit der Lage stellen. Darüber hinaus sind der Messeleitung aber durchaus auch handwerkliche Fehler vorzuhalten. Die so überaus sichtbare Platzierung des Jungeuropa Verlages ist ein Desaster. Und die ersten Pressemitteilungen, die sich dürr auf das Prinzip der Meinungsfreiheit zurückzogen, waren irgendwie hölzern.

Dieses Prinzip hochzuhalten mag in den Systemauseinandersetzungen mit China oder auch Russland unabdingbar sein, wirkt aber ohne eine angemessene Ansprache gegenüber Autor*innen, die aus Sorge um die eigene Sicherheit ihre Auftritte abgesagt haben, zu abstrakt. Außerdem hat die Messe ihre Bekenntnisse zu Vielfalt inhaltlich wohl zu wenig mit Veranstaltungen sowie Positionierungen gegen Rechts begleitet.

Bei allem Verständnis für die Absagen der einzelnen Au­to­r*in­nen wiederum muss sich die Zivilgesellschaft ihrerseits fragen lassen, ob es nicht produktivere Formen der Solidarisierung gäbe als ausgerechnet Boykottaufrufe, durch die man in Kauf nimmt, den rechten Verlagen das Terrain zu überlassen. Was man nämlich sehen sollte, ist, dass die Konflikte, die sich hier so offen zeigen, gar nicht mehr in erster Linie der Ausdruck eines Kulturkampfes um Diversität sind. Es sind schon die Konflikte und Probleme innerhalb einer diverser gewordenen Gesellschaft, und sie werden bleiben.

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5 Kommentare

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  • Wichtiger, als ,,Diversität nicht zu verkleinern" ist es, Leib und Leben zu schützen. Wer aus Köln wegen Morddrohungen wegzieht, kann schlecht neben Nazis auf der Buchmesse aufschlagen. Auch Seda Basay-Yildiz fühlt sich nicht ausreichend geschützt. Wer Jasmina Kuhnke und andere auf der Buchmesse haben möchte, muss bereit sein zu klagen und sich um ein ausreichendes Polzieaufgebot zu kümmern. Wenn das Kartellrecht einen rechten Verlag zulässt, kann es andere Verlage aber auch nicht behindern. Ein abschlägiges Gerichtsurteil wäre kein ,,Desaster", sondern der Auftakt zur Forderung nach starker Polizeipräsenz und starkem Polizeischutz. Als Justiziar und als Zivilgesellschaft sollte man nicht zu schnell aufgeben, wenn andere fröhlich ,,Schermaschinen" ansetzen wollen und von ,,Frakturschrift" träumen. Mehr Will und mehr Mut und Wut! Das wünschen sich sicher auch diejenigen, die der Buchmesse jetzt fernbleiben. Wie abgewixt die Nazis auf der Demokratie-Tastatur spielen, zeigen hier die Posts von C.O.Zwei. Wir (die 99,9 % ?!) haben alle keine Zeit zu verlieren.

  • "Doch eine Buchmesse ist, im Unterschied zu einer Zeitung, kein frei kuratierter Diskursraum, sondern eine Marktveranstaltung und unterliegt aufgrund ihrer Monopolstellung dem Kartellrecht, was bedeutet, dass sie Aussteller nur dann abweisen kann, wenn diese gegen geltendes Recht verstoßen – und gegen den Jungeuropa-Verlag liegt strafrechtlich nichts vor" - was liegt denn gegen Jutta Ditfurth vor, das es rechtfertigen würde, ihr die Akkreditierung als Journalistin zu verweigern?

    www.fr.de/politik/...furt-91067145.html

    Dass sie sich zum Jungeuropa Verlag - im Gegensatz zu diesem Artikel hier - klar äußert?

    "DieBuchmesse Frankfurthat u.a. den faschistischen Jungeuropa Verlag eingeladen. Die Macher des Verlags, unter ihnen Philipp Stein, reden in einem Podcast darüber, an ihrem Buchmesse-Stand dem Journalisten Andreas Speit mit einer „Schermaschine“ den Kopf zu rasieren und der Journalistin Andrea Röpke„in Frakturschrift ins Gesicht zu tätowieren“. Trotzdem darf der Nazi-Verlag in Halle 3.1 Nazis versammeln, und zwar in der Nähe der Bühne „Blaues Sofa“ vonZDF, 3sat und Bertelsmann. Autor:innen und Künstler:innen haben daraufhin ihre Teilnahme an der Buchmesse abgesagt. Die erste wardie schwarze Schriftstellerin Jasmina Kuhnke, die in derARDBuchnacht ihren ersten Roman vorstellen wollte. Dann auch die Autorinnen Annabelle Mandeng und Nikeata Thompson. Sie werden als Menschen »mit sichtbarer Migrationsgeschichte« im Alltag von Rassist:innen bedroht und nun müssen sie auch auf der Buchmesse in Frankfurt Angst um ihre Gesundheit und ihr Leben haben. Auf Nazis-Accounts wird bereits gegen sie gehetzt"

  • Letztlich entscheiden die Aufgeklärten über die Zulassung nicht gefälliger Ideen. Man darf nicht alles durchgehen lassen, sonst ist die Demokratie in Gefahr.

  • Nein. Ein radikal rechter Stand auf einer Buchmesse ist nicht ein Konflikt innerhalb einer diverser gewordenen Gesellschaft. Rechte Gesinnung ist nicht eine von den Farben im Regenbogen, sondern der Regen.

    • @RAU:

      Zumal die Definition von "rechts" ebenso klar ist, wie die von Regen.