piwik no script img

Ausstellung über SchamanismusBeuys oder nicht Beuys

Der Dortmunder Hartware Medienkunstverein nähert sich dem „Technoschamanismus“. Der Aktionskünstler hatte sich ihm verschrieben.

Schamanische Gestalt stapft durch virtuelle Wälder: Sahej Rahal, „Finalforest.exe“, Videostill, 2021 Foto: HMKV

Das große Mysterium des Todes – und damit des Lebens – ist seit jeher Hauptantrieb des menschlichen Strebens und der Kunst. Werke aktueller Medienkunst offenbaren das nicht immer gleich, weil ihre Beweggründe unter einer Oberfläche komplexer Technologie liegen, die viele Menschen erst mal zurückschrecken lässt.

Doch Inke Arns, Direktorin des Hartware Medienkunstvereins (HMKV) in Dortmund, war sich sicher, dass es sich lohnt, mit einer Ausstellung genau solch komplexer Werke einer Frage nachzugehen, die die Kunstkritikerin Tess Thackara 2017 gestellt hat: Warum haben schamanische Praktiken gerade ein Comeback in der zeitgenössischen Kunst?

„Technoschamanismus“ heißt die Schau im Dortmunder U und läuft als Teil des Programms „Beuys 2021“. Wie Joseph Beuys, der in diesem Jahr hundert geworden wäre, sich mit osteuropäisch-asiatischen Vorstellungen von Schamanismus verband, wie er glaubte, selbst ein Schamane zu sein, ein Mittler zwischen den Welten (auch zwischen Leben und Tod), dem spürte im Sommer bereits die Ausstellung „Joseph Beuys und die Schamanen“ im Schloss Moy­land nach.

Der HMKV nutzt das Jubiläumsbrimborium um den 1986 verstorbenen Künstler, schließt aber nicht direkt an sein Werk oder seine Begrifflichkeiten an, sondern reibt sich eher daran.

Kritik an Beuys Schamanenfigur

„Beuys wird heute insbesondere aus der Perspektive der Anthropologie und der Postcolonial Studies für die ‚Essentialisierung schamanistischer Rituale und seine Verhandlung von kultureller Differenz etwa zu Native Americans‘ kritisiert“, schreibt Inke Arns in einer Einleitung zur Ausstellung. „Die Schamanen-Figur ist aufgrund des kolonialen Ballastes eine grundsätzlich problematische, da Beuys durch seine Kunst Stereotype und Zuschreibungen weiterführte und dadurch verfestigte (man denke nur an den Begriff ‚Ostmensch‘).“

Die Ausstellung

„Technoschamanismus“ läuft bis 6. März, Hartware Medienkunst Verein, Dortmund, www.hmkv.de

Der HMKV sucht deshalb andere Bezüge: den Philosophen Bruno Latour, der gegen die Trennung von Gesellschaft und Natur, Subjekt und Objekt, Produktionssystem und Umwelt argumentiert, den russischen Kosmismus oder die Transhumanismusforschung der Silicon-Valley-Konzerne. Und zuguterletzt wurde der Begriff des „Technoschamanismus“ einer dekolonial ausgerichteten brasilianischen Software- und DIV-Bewegung entlehnt, die mit Wissen der Vorfahren an einer Heilung des Planeten arbeiten will.

Wer bis hierhin schon Schwierigkeiten hatte, gedanklich zu folgen, hat eine Ahnung davon bekommen, was sie oder ihn in der Ausstellung erwartet. In ihrem Konzept klafft nämlich eine absurd große Lücke zwischen den Erklärtexten an der Wand, die nach dem aktuellen Trend in einfacher Sprache gehalten sind, und den den Arbeiten inhärenten Diskursen.

Allein um ein Kunstwerk wie „Transformella“ von J. P. Raether zu verstehen, braucht es eigentlich ein Proseminar in Transhumanismus. Der Einleitungstext im Magazin, das irgendwann im November zur bereits laufenden Ausstellung erscheinen soll, versucht es so: „Transformella, Protektorama und Schwarmwesen sind nur einige der vielen fiktionalen Identitäten und hysterisch-subversiven Drag-Charaktere, die der Künstler umsorgt.

Das Augmented-Reality-Headset ist schwer und drückt

Als SelfSisters gehören sie zu drei Lebenslinien von sich konstant ortsspezifisch weiterentwickelnden aLifveForms, die globalisierte/kapitalistische Waren- und Produktionsströme erforschen.“ Alles klar?

Um „Transformella“ zu erforschen, bekommen Be­su­che­r*in­nen, nach einem kurzen Kampf der Mitarbeiterin mit der Technik (sie muss zum Starten eine Handbewegung ausführen, die offenbar nur schwer erkannt wird), ein Augmented-Reality-Headset auf den Kopf. Es ist sehr schwer und drückt bald auf Nase und Schläfen.

Wenn man die kleineren und größeren skulpturalen Elemente J. P. Raethers damit im genau richtigen Winkel ansieht, dann werden sie von einer virtuellen Realität überschrieben, die uns erzählt, wie bald – oder möglicherweise jetzt schon – Tech-Start-ups das Leben in einen Verwertungskreislauf bringen könnten: Kohlendioxid aus der Luft filtern, In-Vitro-Fleisch züchten, Abstammung mittels DNA rekonstruieren und Diamanten aus der Asche Verstorbener herstellen.

„Transformella“ einmal zu durchlaufen dauert 20 Minuten. Damit ist es eine der am leichtesten zu konsumierenden Arbeiten in der Schau. Schätzungsweise drei bis fünf Nachmittage müsste man hier verbringen, um alles, hauptsächlich Videoarbeiten, zu sehen. Diese Informationen sollen die Ausstellung übrigens nicht abwerten, bloß die Frage stellen, an welche Art Publikum sie sich eigentlich richtet.

Demokratische Teilhabe ist kein Anliegen der Schau

Es können eigentlich nur Aka­de­mi­ke­r*in­nen mit sehr viel Zeit sein. Die Schau behandelt wichtige politische, ethische und philosophische Probleme und hat nicht weniger als die Rettung des Planeten sowie die Versöhnung mit unserer Existenz zum Ziel. Das Demokratische, das Joseph Beuys in seiner Kunst stets unbedingt einlösen wollte, geht ihr allerdings ab.

So hat die Schau ihre stärksten Momente unbedingt in Arbeiten, die die großen Fragen durch sinnliche und spielerische Erforschung thematisieren: Da beobachten wir dann endlich Beuys – mit Hirtenstab und Filzbahnen in einer Aufzeichnung seiner berühmten­ Aktion „I Like America and America Likes Me“, bei der er 1974 mehrere Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie verbrachte.

Wir folgen Tabita Rezaire, die in ihrer Videoinstallation „Mamelles Ancestrales“ Steinkreise in West­afrika auf das in sie eingeschriebene Wissen unserer Vorfahren über den Kosmos untersucht. Wir betrachten mit Anja Dornieden & Juan David González Monroy wie hypnotisiert indonesische Affendompteure, die ihre Tiere mit Masken ausstatten, um sie das Rätsel und die Absurdität unserer Existenz aufführen zu lassen.

Einerseits erscheint das fremd. Andererseits wird klar: Ihre Fragen – unsere Fragen: immer dieselben. Deshalb haben schamanische Praktiken ein Comeback in der zeitgenössischen Kunst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Was mir fehlt ist z.B. der Hinweis auf Prof. Timothy Leary, der über schamanistische Rituale mit Halluzinogenen dann zum Internet kam - und genau das als bessere Droge verstand.

  • Demokratie wie in Bewegung. Alles bewegt sich, alles fliesst.